Berliner Bauwerke

Der Industriepalast Warschauer Brücke
in Berlin

Die Welt der Technik • 1.9.1907

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Nicht nur im Westen Berlins, auch im Osten entfaltete sich in jüngster Zeit die regste Bautätigkeit, freilich entstanden dort nicht luxuriöse Mietshäuser, Theater und Konzerthallen, sondern die Industrie, die dort unermüdlich wirkt und schafft, schuf sich ihre neuen bedeutsamen Heimstätten. Rastlos geht es ja in jenen Gegenden von früh bis spät im emsigsten Wettbewerb her, gewaltig recken sich dort zahllose Schornsteine auf. Industriepalast Warschauer Brücke Es hämmert und dröhnt und schwirrt und summt von zahllosen Maschinen und Rädern, aber dem Ganzen haftet trotzdem viel Freundlichkeit an, dank der Spree mit ihren abwechselnden Bildern und dank den breiten Straßenzügen und Plätzen, denen es nicht an parkähnlichem Schmuck fehlt. Dort wo sich Spree und Hochbahn kreuzen und in unmittelbarer Nähe die Stadtbahnzüge dröhnend dahinrollen, direkt am Endpunkt der Hoch- und Untergrundbahn, sind von der bekannten Firma Boswau & Knauer in Berlin vor kurzem fünf Riesenbauten vollendet worden, von denen weithin die Aufschrift leuchtet: ›Industriepalast Warschauer Brücke‹. Auch die Industrie errichtet sich also ihre Paläste! Und die gewaltige Anlage verdient diesen Namen, denn schon der äußere Eindruck der 200 m langen Fassaden – die gesamte Fläche beträgt 8040 m², von denen 5730 m² bebaut wurden – die in fünf architektonisch wirksame Angliederungen zerfallen, ist mit wuchtigen Granitquadern, den Sandsteinflächen, dem roten Ziegelzwischenbau ober- und unterhalb der vier Geschosse sowie dem grauen Schieferdach, ein durchaus monumentaler, zumal der rechte Flügel mit einem massigen Turmbau abschließt.

Besonders interessant jedoch ist, wie bei dieser Neuschöpfung alle Bedingungen des Handels und Wandels berücksichtigt wurden, in einer Ausdehnung, wie man sie ähnlich hier kaum kennt. Nicht nur ist diese Industriestätte durch die Hoch-, Untergrund-, Stadt- und die verschiedenen elektrischen Straßenbahnen bequem zu erreichen und können durch die in der Nähe befindlichen Spree und den in absehbarer Zeit an der Oberbaumbrücke zu erbauenden Hafen leicht Warenposten und Güter auf dem Schifffahrtsweg herangeschafft und abgesandt werden, sondern der Hauptwert beruht in dem unter den Quergebäuden befindlichen Eisenbahntunnel mit einer eigenen Gleisanlage und direktem Anschluss an die Niederschlesisch-Märkische Staatseisenbahn. Durch diese einzig in Berlin dastehende Gleisanlage wird es jedem einzelnen Mieter möglich, seine Produkte mittels der in der Nähe des Tunnels praktisch angeordneten Rampenanlagen an- und abfahren zu lassen, auch mit Hilfe von Kränen direkt aus den oberen Räumen.

Mächtige Durchfahrten führen auf die hellen großen Höfe, in alle Innenräume flutet durch hohe und breite Fenster das Licht hell hinein, überall wurde besonderer Wert auf vorzügliche Ventilation gelegt. Bei Feuersgefahr wird im Tunnel durch die Anordnung eines neutralen Raumes zwischen diesem und den Kellerräumen alles abgeschlossen durch feuersichere Türen und Tore, sowie durch schmiedeeiserne Rolljalousien ein Weiterumsichgreifen des Feuers im Gebäude selbst verhindert. Ebenso umsichtig wurden auf Grund neuester Erfahrungen im Dachplateau der gesamten Treppenhäuser die Rauchabzüge angebracht, ferner in sämtlichen Stockwerken jedes Treppenhauses, sowie auf den Höfen und im Tunnel Feuerlösch-Hydranten eingebaut. Industriepalast Warschauer Brücke Neu ist bei diesem Bau auch, dass zwei Kellergeschosse untereinanderliegen; früher gestattete dies die Baupolizei nicht wegen der Feuergefahr, man besiegte aber diese Bedenken dadurch, dass jeder Keller besondere Ausgänge auf breiten Treppen und auf Korridoren hat. Mit Rücksicht auf einen eventuellen Brand müssen auch die wichtigsten Eisenteile mit einem Zementmantel umkleidet sein, weil letzterer das Eisen vor dem Erglühen und bei der Berührung mit Wasser vor dem Bersten schützt. Dieser Verordnung verdanken wir es, dass die Berliner Industriestätten auch äußerlich einen gefälligen Eindruck machen, im Gegensatz zu den gleichen amerikanischen Bauten, die kalt und nüchtern wirken. So freut man sich auch über die reich und farbig gegliederte Fassade des Industriepalastes an der Warschauer Brücke, denn trotz des Gigantischen mangelt es ihm nicht an malerischer Abwechslung, die das Auge fesselt.

Schließlich sei hervorgehoben, dass die gesamte Bauausführung, ungeachtet der sehr schwierigen Terrain- und Bauverhältnisse, in einer verhältnismäßig kurzen Zeit, nämlich in 7 Monaten, fertiggestellt worden ist.

Das ist freilich nur möglich, wenn die vielseitigen Kräfte unter einer zielbewussten Leitung stehen und eine straffe Organisation das Ganze beherrscht.

• Auf epilog.de am 19. Februar 2025 veröffentlicht

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