Verkehr – Postwesen
In der Bahnpost
Die Gartenlaube • Oktober 1875
Die für jedermann leicht verständliche Bezeichnung: Bahnpost, Post auf der Bahn, ist erst vor kurzem an die Stelle des früheren Namens: ›Eisenbahnpostbureau‹, getreten. Die letztere Bezeichnung ist mithin einer jener Ausdrücke, mit welchen, als der Ausbreitung und Verallgemeinerung des Postinstituts zuwider, der Generalpostdirektor Stephan kurzen Prozess gemacht hat.
Um nun einen Blick in den Hergang und das rege Treiben in der Bahnpost zu tun, wolle der Leser mich auf einer Fahrt von Berlin nach Breslau, auf welcher Route ich mehrere Jahre hindurch den Bahnpostdienst versehen habe, im Postwagen begleiten, und zwar wählen wir den elf Uhr abends in Berlin abgehenden Kurierzug, auf welchem die meiste Korrespondenz zusammentrifft. Damit wir den Postwagen ungestört in Augenschein nehmen können, begeben wir uns schon gegen sieben Uhr in denselben, denn bald nachher findet sich bereits das Begleitungspersonal ein. Der Wagen besteht aus zwei Räumen; der erstere kleinere dient hauptsächlich für die Empfangnahme und Abgabe der Postsachen; der weit größere zweite Raum macht das eigentliche Expeditionszimmer aus und entspricht im Wesentlichen einem solchen bei einer Ortspostanstalt. Vor allem machen sich mehrere große Sortierspinde mit einer Anzahl von Fächern bemerklich; wir zählen deren gegen hundertfünfzig, ungerechnet die viel größeren Fachwerke am Boden des Wagens, welche zur Aufbewahrung der angefertigten Briefbunde dienen.
Zu beiden Seiten des Wagens, an einer Stelle, welche dem Blick des Sortierbeamten am meisten ausgesetzt ist, befindet sich je ein Briefkasten mit einer kleinen Glastür, so dass die hineingelegten Briefe sogleich bemerkt werden müssen. Ein in einer Ecke abgestellter eigentümlich konstruierter Ofen von Eisen strömt eine behagliche Wärme aus; ihm gegenüber ladet ein bequemer Eckstuhl zur süßen Ruhe ein, unter den hier obwaltenden Verhältnissen nicht ohne einen Anflug von Ironie. Die Erleuchtung des Wagens erfolgt durch Gas. Der Boden ist mit einem gegen Kälte von unten schützenden Teppich belegt. Im Ganzen macht der Wagen einen gemütlichen Eindruck. Das Begleitungspersonal besteht aus vier Beamten und zwei Unterbeamten. Dank der Humanität des Generalpostdirektors Stephan, welcher das straffe Uniformwesen auf das Allernötigste beschränkt hat, dürfen die Beamten die Fahrt in Zivilkleidern zurücklegen. Man muss wissen, was es heißt, zehn bis zwölf Stunden zur heißen Jahreszeit in einem so engen Raume auszuhalten und dabei in höchster Anstrengung arbeiten zu müssen, um jede anscheinend auch noch so geringe Erleichterung als eine Wohltat zu begrüßen.
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