Handel & IndustrieFabrikation

Die Holzspielwaren-Fabrikation
im sächsischen Erzgebirge

Die Abendschule • 21.7.1898

Es war ein sehr heißer Tag, als ich von Olbernhau aus einen größeren Spaziergang durch den herrlichen Wald unternahm. Hier im kühlen Schatten der duftenden Fichten ließ es sich angenehm wandern. Bald sah ich vor mir an einem kleinen Bach ein niedriges Gebäude liegen, aus dessen Inneren ein eigentümlich knarrendes Geräusch hervordrang. Ich trat näher und befand mich in einem sogenannten Drehwerke, einer Drechslerwerkstatt ähnlich, wo größere Klötze aus Fichten- und Ahornholz auf Drehbänken, die durch Wasserkraft getrieben wurden, zu runden Walzen sich formten. Die erste Holzart dient zur Anfertigung von Tierkörpern, während aus dem härteren Ahornholz Möbel für Puppenstuben gemacht werden.

Wie aber gewinnt man die niedlichen Tierfiguren? Die vollkommen rund abgedrehten Walzen werden quer durchschnitten, so dass man zunächst Holzscheiben vor sich hat. Aus denselben dreht man die sogenannten Ringe mit den gewissen Einschnitten und Vertiefungen, wozu besondere Messer erforderlich sind, und wozu große Geschicklichkeit gehört. Diese Ringe oder Reifen, die ungespalten noch nicht die Figur verraten, welche daraus gewonnen wird, empfängt nun der Arbeiter. Bei einem solchen trat ich nach Besichtigung des Drehwerks ein. Freundlich wurde ich von einer zahlreichen Familie empfangen, und das jüngste Kind von kaum fünf Jahren zeigte mir eine Handvoll allerliebster Schäfchen, die der ältere Knabe soeben gefertigt hatte. Hier muss jedes Glied der Familie mithelfen, den Unterhalt zu erwerben. Der Vater prüfte die Arbeit jedes der Kinder, welche die Reifen in gleiche Teile zerspalteten, und jeder Teil war ein hölzerner Tierkörper. Freilich ist derselbe noch roh. Die Figuren werden nach dem Schock (60 Stück) abgezählt und kommen in heißes Wasser, damit das Holz weich und elastisch wird. Nun schnitzte der Vater Maul, Ohren und Füße zurecht, besserte an dem Rumpf nach, und das kleine Mädchen nahm die fertigen Stücke, um sie vors Haus zu tragen, wo alle sorglich auf ein Brett gelegt wurden, damit sie an der Luft trockneten. Wenn die Figuren trocken sind, werden ihnen, je nach der Art, die fehlenden Körperteile, welche gewöhnlich ein Erwachsener aus dem Abfallholz schneidet, angeleimt, so der Schwanz beim Fuchse oder Hunde, Pferde usw. Aber noch sind unsere Tiere nicht fertig. Sie müssen auch ihre bestimmte Färbung erhalten. Alle werden mit weißer Farbe grundiert. Ist dieser Anstrich gut getrocknet, so kommt die Leibesfarbe nebst der Schattierung darauf und die Malerei am Kopf. Manche Figuren erhalten Brettchen an die Füße, die gewöhnlich grün angestrichen sind.

Die Arbeit geht schnell vonstatten, da eines dem anderen in die Hände arbeitet, und jedes genau weiß, was es zu tun hat. Der eine ist Dreher, der andere Schnitzer, der dritte Maler, ein vierter Packer. Der letztere prüft noch einmal jedes Stück, ehe er es in die Schachtel legt, die aus dünnem Spanholz gemacht ist. Diese Schachteln nimmt der Großhändler ab und versieht sie mit Nummern. Im Geschäft sortiert man dann die Tiere aus und bildet die beliebten Spielschachteln, welche verschiedene Figuren enthalten können. Dieselben sind gut in Moos oder Papierspäne eingepackt, damit sie nicht zerbrechen oder abfärben. Wer denkt wohl, wenn er sich an einer Jagd, einer Schäferei, einer Viehtrift usw. erfreut, an die Mühe und dem Fleiß armer Kinder des Erzgebirges, die verwendet wurden, ehe ein so allerliebstes Spielzeug entstehen konnte?

Außer diesen Spielwaren fertigt der kunstverständige Drechsler Nadelbüchsen und Federbüchsen, Kegel, die nicht mit Farbe, sondern durch Einbrennen gefärbt werden. Und das geschieht so: Der Kegel wird in die Drehbank gespannt, schnell gedreht und an gewissen Stellen mit einem Stück Eichenholz berührt. Da hartes und weiches Holz sich reiben, entsteht Hitze, welche braune und schwarze Streifen und Flecke zurücklässt. Größere Tierstücke erhalten oft keinen Anstrich, sondern man gibt die Bekleidung durch Tuchstaub. Stoff wird fein gerieben und der mit Leim überstrichenen Figur aufgestäubt, oder dieselbe wird darin gewälzt. Große Stücke, wie Schaukelpferde, macht man aus Pfosten. Die einzelnen Glieder, wie Kopf und Beine, nebst den Kufen, sind eingedreht. Die Ohren werden aus Leder, der Schweif und die Mähne von echten Pferdehaaren gefertigt.

Außer Fichte und Ahorn liefern Buche, Ulme und Erle ihr Holz zur Spielwarenfabrikation. Obgleich zu dem Anstrich in unserer Zeit keine giftigen Farben mehr verwendet werden dürfen, so soll man doch kleinen Kindern verbieten, das Spielzeug in den Mund zu nehmen, da dies unsauber und auch schädlich ist.

• P. Benndorf.

Entnommen aus dem Buch:
Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ersetzten Dampfmaschinen zunehmend die Muskelkraft und ermöglichten eine zunehmende Mechanisierung der bis dahin handwerklich geprägten Güterproduktion. Der Abbau von Handelshemmnissen und neue Verkehrswege eröffneten überregionale Märkte, immer mehr Produkte mussten immer schneller und billiger produziert werden. Arbeitsteilung und Spezialisierung veränderten ganze Wirtschaftszweige. Die historischen Originalbeiträge und Abbildungen in diesem Buch geben einen unverfälschten Einblick in die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 104 Seiten | ISBN: 978-3-7578-2490-7

• Auf epilog.de am 25. Dezember 2024 veröffentlicht

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