Verkehr – Straßenverkehr
Von der deutschen Automobilwoche
Plauderei von Hans Dominik
Die Woche • 22.6.1907
Die großen Zuverlässigkeits- und Schnelligkeitskonkurrenzen Deutschlands sind vorüber, und um die Ergebnisse wird in Rede und Gegenrede gestritten. Während die Resultate der Fahrt den Techniker vollauf befriedigen müssen, haben die nicht unerheblichen Unfälle, die sich während der Veranstaltungen ereigneten, leider auch wieder Wasser auf die Mühlen der Automobilfeinde geliefert. Man wird daher darauf bedacht sein müssen, die Propositionen für das nächste Jahr so zu gestalten, dass Unfälle vermieden werden.
Die diesjährigen Konkurrenzen bestanden aus der eigentlichen Zuverlässigkeitsfahrt für Tourenwagen jeder Art und Größe, der Herkomerfahrt, und ferner in einem reinen, absoluten Schnelligkeitsrennen für Tourenwagen von rund acht Liter Zylinderinhalt.
Die Herkomerfahrt ging über eine Strecke von rund 1600 km, die in sechs Tagesetappen zurückgelegt werden mussten. Auf dieser Fahrt wurde die Schnelligkeit in keiner Weise gewertet, dafür aber jede Havarie, die einen unfreiwilligen Aufenthalt bedingte, in ganz empfindlicher Weise mit Strafpunkten bedacht. Noch vor wenigen Jahren wäre wohl kaum ein einziger Wagen ohne ganz erhebliche Belastungen mit schlechten Punkten über solche lange Strecke ans Ziel gekommen. Gegenwärtig aber steht die Kraftfahrzeugindustrie bereits auf einer derartigen technischen Höhe, dass auch solche scharfe Konkurrenz nicht zum Ausscheiden der meisten Teilnehmer führen kann. Man war daher genötigt, in die zunächst als reine Zuverlässigkeitsfahrt für Tourenwagen gedachte Herkomerkonkurrenz sehr scharfe und ausschlaggebende Schnelligkeitsprüfungen einzuschalten. Aus der Gruppe der absolut zuverlässigen Wagen sollten dann die relativ schnellsten als Sieger gelten. Um die Güte der Wagen als Bergsteiger zu erproben, war also das Rennen am Kesselberg eingeschoben, für die Geschwindigkeitsprüfung in der Ebene diente das Rennen im Forstenrieder Park bei München.
Nun ist es eine alte Erfahrung, dass die Propositionen einer angesehenen Konkurrenz stets zu Konstruktionen ad hoc führen. So ging es auch bei der Herkomerfahrt und mehr noch bei dem später zu besprechenden Taunusrennen. Es entstanden absolut zuverlässige und extrem schnelle Fahrzeuge, die jedoch kaum noch als Tourenwagen angesprochen werden und in der Hand manch eines Amateurfahrers nur zu leicht Unheil anrichten konnten. Es trat hier wieder einmal der alte Satz in die Erscheinung, dass nicht das Automobil, sondern der Chauffeur gefährlich ist. Neben tadellosen Fahrern traten andere auf, die nur ungern an Gartenzäunen und Telegrafenstangen vorbeifuhren, ohne ein Stück davon mitzunehmen. Vielleicht wird man doch bei der nächsten Herkomerkonkurrenz, falls die übrigen Propositionen so wie bisher bleiben, an eine schärfere Aussiebung des Fahrermaterials gehen müssen. Gegenwärtig kann jeder, der seinen Fahrschein vom Sachverständigen erhalten hat, in dieser Konkurrenz mitfahren, und bei aller Achtung vor dem Begriff des Amateur- oder Herrenfahrers erscheint dies doch bedenklich. Der Verfasser dieser Zeilen kontrollierte während der vorjährigen Herkomerfahrt einen englischen 70 PS-Daimlerwagen, dessen Führer, ein brillanter Fahrer vom Stamm der Nazarro und Lancia, ein Mitglied des römischen Automobilclubs war. Der Wagen fuhr damals auf der Strecke Frankfurt – München geraume Zeit mit Geschwindigkeiten von 110 km/h, ohne dass dem Verfasser auch nur der Gedanke an eine Gefahr gekommen wäre. Es ist eben ein Unterschied zwischen Fahrer und Fahrer, den der Mitfahrende an jeder Kurve deutlich spürt. Bei der diesjährigen Herkomerfahrt lag die Steuerung sehr schneller Wagen stellenweise in den Händen von Fahrern, die besser erst mit schwächeren Wagen ein Jahr hätten trainieren sollen.
Etwas Ähnliches gilt für das Taunusrennen um den Kaiserpreis. Auch dies ist ja seinen Propositionen nach ein Rennen für Tourenwagen. Das alte Gordon-Bennett-Rennen schrieb nur ein Höchstgewicht von 1000 kg vor, und sonst konnten die Konstrukteure machen, was sie wollten. Der Effekt war die Erbauung von Rennungetümen, die nachher auf keiner Landstraße zu gebrauchen waren, und an denen der Konstrukteur von Tourenwagen auch nichts mehr lernen konnte. So trat für Deutschland an die Stelle des Gordon-Bennett-Pokals der Taunus-Kaiserpreis. Es wurde ein Minimalgewicht von 1175 kg vorgeschrieben und ein Zylinderinhalt von höchstens acht Litern. Diese Propositionen mussten nach menschlichem Ermessen einen guten Tourenwagen von etwa 60 PS. ergeben. Mit einem solchen lassen sich in der Ebene Geschwindigkeiten von etwas über 100 km/h erreichen, man befand sich also immerhin in einem Schnelligkeitsrennen, das den alten Gordon-Bennett-Veranstaltungen kaum etwas nachgab.
Auch hier verstand es aber die Technik mit Leichtigkeit, aus den Bedingungen noch mehr herauszuwirtschaften, als ursprünglich darin liegen sollte. Die Leistung eines Motors steigt innerhalb ziemlich weiter Grenzen ja nicht nur mit dem Zylinderinhalt, sondern auch mit der Tourenzahl. Durch Verwendung sehr schnell laufender Motoren kam man daher auf Leistungen bis zu 80 PS. Nun ist aber ein sehr schnell laufender Motor keineswegs das Ideal einer zuverlässigen Maschine, da Verschleiß usw. natürlich stärker einsetzen als wie bei dem langsamer laufenden Motor. Ferner aber war der jetzt entstehende Wagen für viele der Fahrer zu schnell. Es erfordert eine langjährige Übung, um Maschinen mit Geschwindigkeiten von mehr als 100 km/h über kurvenreiche, unübersichtliche Wege sicher steuern zu lernen. So ging es denn leider auch hier nicht ohne Unfälle ab, wozu die regennasse Straße noch einiges beigetragen haben mag. Es wurden mehrfach Steine und Telegrafenstangen angefahren, und einer der Fahrer wurde schwer verletzt, ein Mechaniker getötet. Diese Umstände werden begreiflich, wenn man die gefahrenen Zeiten berücksichtigt. Die einzelne Runde war 118 km lang und wurde beispielsweise von dem Gewinner des Preises, dem Italiener Nazarro, einmal in einer Stunde 25 Minuten zurückgelegt. Es entspricht das einer Reisegeschwindigkeit von über 85 km/h, so dass angesichts der vielen Kurven, die notwendig geringere Geschwindigkeiten verlangen, mit Höchstgeschwindigkeiten von 120 und mehr km/h auf offener Strecke zu rechnen ist. Es scheint also, als ob auch dieses Tourenwagenrennen noch über die Bedürfnisse des idealen Tourenwagens herausgeht, und dass man auch hier für das kommende Jahr die Propositionen revidieren müssen wird, damit aus der Konkurrenz nicht, ähnlich wie beim Gordon-Bennett-Rennen, gefährliche Rennmaschinen, sondern ideale Tourenwagen erwachsen.
Der Mittel dazu gibt es zahlreiche. Man hat bis jetzt weder den Preis des Wagens, noch auch seine Wirtschaftlichkeit, d. h. seinen Benzinverbrauch, irgendwie bei diesen Konkurrenzen bewertet. Eine logische Weiterentwicklung der Dinge wird jedoch eines Tags dazu zwingen, auch diese Faktoren zu berücksichtigen. In der Hauptsache hat ja die Geschichte sämtlicher Automobilkonkurrenzen den folgenden Verlauf genommen: Im Anfang waren die Kraftfahrzeuge weder schnell noch zuverlässig, noch wirtschaftlich, noch billig. Unter solchen Umständen begannen um die Mitte der 1890er Jahre die ersten Fernfahrten, bei denen einfach der als Sieger galt, der das gesteckte Ziel, z. B. von Paris aus die Städte Bordeaux oder Brest, zuerst erreichte. Die Geschwindigkeiten waren sehr mäßig, im Jahr 1895 etwa 22 km/h, und es galt für ehrenvoll, überhaupt an das Ziel zu kommen. In den folgenden Jahren stiegen die Geschwindigkeiten jedoch enorm. Während die Automobilisten 1895 noch mit den Radfahrern konkurrierten, waren sie 1900 bereits mit 72 km/h Reisegeschwindigkeit Wettbewerber der Eisenbahn. Die folgenden Gordon-Bennett-Rennen steigerten die Geschwindigkeiten bis über 90 km/h, die amerikanischen Strandrennen, ohne Kurven und dergleichen, ergaben Höchstgeschwindigkeiten von über 150 km/h. Damit war die Epoche der reinen Schnelligkeitsrennen geschlossen, und in den Propositionen der Herkomer- und Taunuskonkurrenzen trat die Zuverlässigkeit und eine vernünftige Abgrenzung der Dimensionen in die Erscheinung. Zeigt sich nun, dass auch hierbei noch zu große Geschwindigkeiten erzielt werden, dass bei absoluter Zuverlässigkeit die Geschwindigkeit über die Maßen hoch wird, so wird man folgerichtig die beiden nächsten Faktoren von Wichtigkeit, nämlich den Preis des Wagens und den Benzinverbrauch, mit in die Propositionen hineinziehen müssen. Das geschieht z. B. bereits seitens der Deutschen Motorradfahrer-Vereinigung bei der bekannten Motorfahrt rund um Berlin. Auch hier wird nicht mehr die reine Geschwindigkeit, sondern die Wirtschaftlichkeit, d. h. der Benzinverbrauch, in bestimmten Beziehungen zur Geschwindigkeit und zum Zylinderinhalt bewertet. Der praktische Erfolg besteht darin, dass die übertrieben schnellen und schweren Motorzweiräder gegenüber einem leichten Gebrauchsmotorrad immer mehr verschwinden. Vielleicht zeigt sich hier der Weg auch für die zukünftigen Veranstaltungen mit großen Wagen.