VerkehrSchifffahrt

Segeln ohne Segel

Von Hans Dominik

Die Woche • 15.11.1924

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Die älteste, uns überkommene Abbildung eines Segelschiffes stammt aus dem Jahr 3000 v. Chr. Sie findet sich auf einer Wandmalerei und zeigt fast genau die gleichen Segelformen und Segelwölbungen, die heute noch allgemein gebräuchlich sind und sich auch in der Tat als die besten und wirksamsten erwiesen haben. Rund fünftausend Jahre ist diese Art der Beseglung für die Zwecke der Schifffahrt beibehalten worden. Die Änderung kam erst auf dem Weg über die Luftschifffahrt, als man genötigt war, die Luftstromverhältnisse, Wirbel- und Sogbildungen, Widerstände usw. systematisch und gründlich zu erforschen.

FlettnerruderAbb. 1. Dreiteiliges Flettnerruder.

Die nachstehend behandelten Flettnerschen Erfindungen und Konstruktionen nahmen ihren Ausgang während des Krieges vom Großflugzeug-Bau. Die Betätigung der bis dahin üblichen Steuerflächen oder Ruder beanspruchte bei den Großflugzeugen derartige Kräfte, dass man auf eine Entlastung des Piloten sinnen musste. Diesem Bestreben verdankte die sogenannte Flettner-Flosse ihre Entstehung. Das Prinzip dieser Flosse besteht darin, dass die eigentliche große Steuerfläche vollkommen frei drehbar am Flugzeugkörper befestigt ist und an ihrem freien Rand eine sehr viel kleinere Steuerfläche trägt, die nun erst ihrerseits mit sehr viel geringerer Kraft gesteuert wird und dadurch die große Steuerfläche in einem bestimmten Winkel zur Strömung und nicht, wie bei den früheren Rudern, zum Schiffskörper einstellt. Dieses neuartige Ruder bewährte sich in der Luftschifffahrt gut und kam bei den meisten Großflugzeugen zur Anwendung.

Magnus-EffektAbb. 2. Schematische Darstellung des Magnus-Effektes.

Nach dem Friedensvertrag hörte die deutsche Aviatik auf, und Flettner übertrug sein Ruder auf die Wasser-Schifffahrt. Auch hier bewährte es sich derart, dass es heute immer mehr Anwendung findet. Unsere Abb. 1 zeigt ein dreiteiliges Flettner-Ruder an einem großen Schraubendampfer.

Der Erfinder ging nun einen Schritt weiter und versuchte, das Prinzip der Flettner-Flosse für eine selbsttätige Einstellung von Schiffssegeln in den Windstrom nutzbar zu machen. Dabei lag der Leitgedanke zugrunde, bei Segelschiffen genau den gleichen Weg zu gehen, wie bei Flugzeugen, d. h. die Stoffflächen durch Metallflächen zu ersetzen.

FlettnerschiffAbb. 3. Das Flettnerschiff mit den eigenartigen Türmen an Stelle der Segel.

Diese Versuche glückten zwar auch, aber unter Zuhilfenahme des sogenannten Magnus-Effekts kam der Erfinder alsbald einen großen Schritt weiter. Das Wesen des Magnus-Effekts veranschaulicht die schematische Darstellung Abb. 2. Dreht man in einem Luftstrom einen Zylinder, wie der Pfeil andeutet, so werden die Luftstromlinien, wie in der Figur dargestellt, auf der einen Seite des Zylinders stark zusammengedrängt, auf der anderen bleiben sie fast unverändert, es gibt also auf der einen Seite einen starken Sog. Dieser Effekt, den der Physiker Magnus zuerst bei rotierenden Geschossen beobachtete und untersuchte, wird nun bei dem hier im Bild vorgeführten Rotor-Schiff für die Erzielung von Segelwirkungen ausgenutzt.

An Stelle der sonst üblichen Takelage trägt das Rotor-Schiff zwei einfache runde Stahlblechzylinder, die durch Elektromotoren um ihre Achse gedreht werden.

RotorschiffAbb. 4. Seitenansicht des Rotorschiffes.

Der praktische Effekt dieser verblüffend einfachen Einrichtung besteht darin, dass das Rotorboot, ein Sechshundert-Tonnen-Schiff, bei einem Kraftaufwande von 20 PS für die drehenden Elektromotoren bei gutem Wind eine Geschwindigkeit erreicht, für die ein gleich großes Motorboot 1000 PS aufwenden müsste. Selbstverständlich braucht das Rotorschiff, wie jedes andere Segelboot, ordentlichen Wind. Mit diesem aber erreicht es eine erheblich höhere Geschwindigkeit als ein Segelboot gewöhnlicher Art. Dabei besitzt es die Segelfähigkeiten einer Yacht, d. h. es kann bis zweieinhalb Strich an den Wind gehen. Bemerkenswert ist weiter seine Wendigkeit. Indem man die beiden Türme gegenläufig rotieren lässt, ist man imstande, das Rotorboot wie einen Zweischrauben-Dampfer auf der Stelle zu drehen. Erwähnung verdient schließlich die große Stabilität des Rotorbootes gegenüber plötzlichen Böen. Die Regulierung der aus dem natürlichen Strom des Windes aufgenommenen Energie erfolgt durch die Tourenzahl, mit der man die Türme rotieren lässt. Die ganze Anordnung kommt nicht etwa auf irgendein verkapptes Perpetuum mobile heraus, sondern wirkt gewissermaßen wie eine Steuerung des vom Wind gelieferten Energiestroms ähnlich etwa wie eine Dampfmaschinensteuerung, die Energie des zuströmenden Dampfes beeinflusst und wirken lässt. So verblüffend und unwahrscheinlich die Erfindung auf den ersten Blick wirkt, so sehr hat sie doch bei den Probefahrten alles gehalten, was sie nach der Absicht des Erfinders leisten sollte.

Entnommen aus dem Buch:
Der Ingenieur, Journalist und Schriftsteller Hans Dominik (1872 – 1945) gehört zu den erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren Deutschlands. Neben zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten verfasste er vor allem auch populärwissenschaftliche Beiträge für Zeitschriften und Jahrbücher. Für dieses Buch wurden seine verkehrstechnischen Plaudereien und Betrachtungen zusammengetragen und vermitteln dem Leser einen unverfälschten Blick auf die Verkehrsgeschichte des jungen 20. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 12,90 | 92 Seiten | ISBN: 978-3-7534-7686-5

• Auf epilog.de am 1. September 2024 veröffentlicht

Reklame