Forschung & TechnikWissenschaft

Namen

Plauderei von Hans Dominik

Die Woche • 19.12.1908

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

»Einen Denkstein habe ich mir errichtet«, singt der alte Quintus Horatius Flaccus, »den nicht der nagende Regen noch der eisige Nordsturm zu zerstören vermag noch eine unzählige Reihe von Jahren.« Er behielt recht. Die stolzen Siegesbogen und Triumphsäulen römischer Cäsaren unterlagen im Kampf mit den Elementen, aber des Horatius Namen klingt heute noch so frisch und lebendig, wie er zur altrömischen Kaiserzeit erscholl und in den tausend Jahren des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Klang und Ansehen besaß.

Der lebendige Name ist das beste, das ewig bleibende Denkmal. Sie haben es alle gefühlt, die ihrer Zeit und der Menschheit dienten nicht um irdischer Schätze willen, sondern der Kunst oder der Wissenschaft halber mit ureigenstem Können, sie alle, die ihr Herzblut an ihr Lebenswerk setzten. Da darf es nicht wundernehmen, dass auch die Wissenschaft, und zwar eine Disziplin, die wohl gemeiniglich als eine der allertrockensten und unpoetischsten verschrien ist, dass die physikalische Messkunde den Weg betrat, ihre am meisten verdienten Forscher durch die Verewigung des Namens zu ehren.

Als in den Sturmjahren der französischen Revolution der junge Marie François Ampère nach der Guillotinierung seines Vaters schier am Leben verzweifeln wollte, lenkten ihn wohlmeinende Freunde auf die Tröstungen der reinen, exakten und absoluten Wissenschaft, und der Jüngling erforschte die dynamischen Wirkungen des elektrischen Stroms, widmete ihnen sein Mannesalter und legte die Grundsteine zur elektromagnetischen Theorie.

Daher beschlossen seine Nachfolger, die Einheit der elektrischen Stromstärke, die aus ihren magnetischen Wirkungen abgeleitet wird, als das Ampere zu bezeichnen, und die Praxis folgte den Wissenschaften. Sie nahm den zehnten Teil dieser Größe als praktisches Ampere an, und nach Ampere bezahlt heute so mancher Stromverbraucher seine Monatsrechnung in Europa, Australien, Amerika und Afrika.

Der Physiker weiß, dass Alessandro Volta die Kontaktelektrizität erforschte, den Gesetzen nachging, die zwischen verschiedenen Metallen elektrische Spannungen entstehen lassen, und die Spannungsreihe der Metalle aufstellte.

Darum messen wir heute die elektrische Spannung auf der zivilisierten Welt in Volt, und auf allen Schaltbrettern der Welt hängt neben dem Amperemeter, dem Stromzeiger, das Voltmeter, der Spannungsmesser. Volta und Ampere stehen an guter Stelle, aber das Produkt aus Stromstärke und Spannung, die elektrische Arbeit, das Voltampere, kommt noch häufiger in der Praxis vor. Die meisten Rechnungen der Elektrizitätswerke werden auf elektrische Arbeit ausgeschrieben. Doch Voltampere ist ein allzu langer Name. Daher nahm man hier das mechanische Äquivalent der elektrischen Arbeit, das dem Erfinder der Dampfmaschine, dem sehr ehrenwerten James Watt zu Ehren, das Watt genannt ist, und weil immer sehr viele Watt auf der Rechnung stehen, wie jeder Stromverbraucher sattsam weiß, so fasste man 1000 Watt zusammen und nannte sie ein Kilowatt. So kam der Erfinder der Dampfmaschine ganz zufällig in die Stromrechnungen, und alltäglich wird sein Name umgesetzt und bezahlt.

Das soll nun anders werden. Sir William Thomson, der mit den Siemens und Helmholtz die moderne Elektrotechnik ausbeutete und von der Königin Viktoria zum Lord Kelvin ernannt wurde, soll mit auf jener Tafel prangen, welche die Unsterblichkeit so sicher verleiht wie Horazens Dichtkünste oder Cäsars Siege. Für das Voltampere oder Watt soll es in Zukunft das Kelvin heißen, und der Konsument elektrischen Stroms wird seine Rechnungen nicht mehr nach Kilowattstunden, sondern nach Kilokelvinstunden bezahlen.

Das mag zunächst trivial klingen, aber die Unsterblichkeit des Namens ist dadurch jedenfalls besser verbürgt als durch Stein oder Eisen.

Solcher Denkmäler wurden noch mehrere errichtet. Die Einheit der Elektrizitätsmenge, eine Größe, etwa vergleichbar mit dem Liter Wasser, wurde dem französischen Physiker Coulomb zu Ehren das Coulomb genannt. Es ist also ein Strom, der ein Coulomb in einer Sekunde durch den Draht transportiert, ein Ampere stark. Die Einheit des elektrischen Widerstandes hat man dem deutschen Physiker Ohm zu Ehren als Ohm bezeichnet, und auch das Ohmmeter ist in den Händen der Elektromonteure, die irgendwo Leitungen prüfen, ein vielgebrauchter Apparat.

Weniger schön ist es, dass man den armen, alten Physikprofessor auch umgekrempelt hat und die Leistungsfähigkeit, d. h. den reziproken Wert des Widerstandes, als ›Mho‹ bezeichnet. Eine Begriffsumdrehung im wahrsten Sinne des Wortes.

Auch des Michael Faraday ist zu gedenken, jenes Engländers, der sich vom Buchbindergesellen zum Physikprofessor emporarbeitete, und nach dem heute die elektrische Kapazität, d. h. das Fassungsvermögen eines Körpers für Elektrizität, gemessen wird. Ampere war zehnmal zu groß für die Praxis, aber Faraday war tausendmal zu groß, denn in der Praxis wird nicht nach Farad, sondern nach Mikrofarad gemessen. Und dann Joule und Henry, zwei Engländer, deren Namen für das elektrische Potenzial und den induktiven elektrischen Widerstand gesetzt werden, in der Wissenschaft wohl bekannt, aber der Praxis ferner liegend.

Und endlich Weber, der deutsche Professor, einer von den Göttinger Sieben, der Schöpfer des ganzen elektrischen Maßsystems, in dem alle die anderen Rang und Namen haben. Für ihn hat sich kein Plätzchen gefunden, obwohl sein Name für viele Einheiten vorgeschlagen wurde. Deutschland ist wie gewöhnlich zu kurz gekommen. Die alte Queckssilber-Siemens-Einheit ist aufgegeben, und Weber fiel aus. Beide haben den Trost, dass ihre Namen auch ohnedem unsterblich sind*, dass auch ohne Rechnungen und Messungen für sie das Dichterwort gilt:

»Wenn der Leib in Staub zerfallen,
Lebt der große Name fort.«

*) Weber und Siemens kamen später doch noch zu Ehren. Weber ist die Maßeinheit des magnetischen Flusses. Siemens ersetzte das ›Mho‹ und bezeichnet den elektrischen Leitwert.

Entnommen aus dem Buch:

Neuerscheinung

Der Ingenieur Hans Dominik (1872 – 1945) ist vor allem durch seine technisch-utopischen Romane bekanntgeworden. Dominik war aber in erster Linie Wissenschaftsjournalist und verfasste zahlreiche populärwissenschaftliche Beiträge für verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen. Dabei brachte er im lockeren Plauderton dem interessierten Laien wissenschaftliche Grundlagen und neue technische Errungenschaften näher. Dieses Buch versammelt eine repräsentative Auswahl seiner wissenschaftlichen und technischen Plaudereien.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 116 Seiten | ISBN: 978-3-7597-8354-7

• Auf epilog.de am 23. September 2024 veröffentlicht

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