Verkehr – Schifffahrt
Kanäle über Berg und Stadt
Eine Verkehrsfantasie von Hans Dominik
Die Woche • 8.4.1922
Bei Innsbruck verließ der Schleppzug den Inn und bog in den Brennerkanal ein. Die kräftige Treidellokomotive zog die drei gewaltigen Frachtschiffe in das Hafenbecken, welches den Übergang zwischen dem Inn und dem Kanal vermittelt, dem Kanal, von dem keine Spur zu erblicken war. Nur eine riesenhafte eiserne Wand bildete den Abschluss des Hafenbeckens nach der Richtung hin, in welcher der Kanal liegen musste. Und ein stählernes, tunnelartiges Bauwerk zog sich dahinter die steile Felswand in der Richtung nach Süden empor.
Doch es blieb nicht viel Zeit zum Überlegen. Während die Frachtschiffe die transportablen elektrischen Scheinwerfer von der Kanalverwaltung leihweise an Bord nahmen, öffnete sich bereits ein breites Tor in der eisernen Wand, und während die Scheinwerfer im Licht der Mittagssonne schüchtern die ersten Strahlen spielen ließen, holte die Lokomotive die einzelnen Schiffe bereits durch das Tor in einen weiten, dunklen Raum. Schon lief sie leer zurück, und die Tore schlossen sich, während das Wasser unter den Schiffsböden dumpf zu brausen und zu brodeln begann. Jetzt konnten die Scheinwerfer voll zur Geltung kommen. Schräg vorwärts und aufwärtsgerichtet leuchteten ihre Strahlenbündel in eine riesenhafte Tunnelröhre und verloren sich in unerkennbare und unabsehbare Fernen. Stärker rauschte das Wasser und begann über die mit roter Farbe an der Tunnelwand markierten Höhenmarken zu steigen. 600 m, 700 m, 800 m und schließlich 1000 m. Jetzt standen die Schiffe schon 500 m über Innsbruck, und ganz fern von vorn leuchtete es wie ein heller Stern in den Tunnel. Und dann kam volles Tageslicht. Zwischen Stafflach und Gries mündete der Steigetunnel wieder in ein Hafenbecken.
In kühner Eisenkonstruktion klebte das ganze Becken an der Bergwand, und als eiserne Rinne zog der Kanal von ihm aus über den Brennerpass nach Sterzing hin. Eine andere Treidellokomotive fasste die Schiffe, verband sie zum Schleppzug und führte sie über Kanalbrücken von schwindelnder Höhe immer weiter nach Süden.
Es war kalt in diesen Höhen und im Vorfrühling hoher Schnee bedeckte die Bergwände. Vereist tobte die Etsch 200 m unter einer der Brücken, auf denen der Kanal gerade jetzt wieder einmal das Etschtal übersetzte. Aber das Kanalwasser zeigte keine Spur von Eisbildung Klar, leicht grünlich blau stand es vollkommen durchsichtig in der weiß auszementierten eisernen Kanalrinne. Durch den Zusatz einer geringen Menge eines bestimmten Salzes war es gelungen, den Gefrierpunkt bis auf 10° unter null hinabzudrücken, und nur bei ungewöhnlich starkem Frost brauchte die Dampfbeheizung der Kanalrinne in Tätigkeit gesetzt zu werden. Wie Frühling im Winter mutete das offene helle Fahrwasser in der weiten Schneewüste an.
Nun begann der Abstieg nach Süden. Drei Tunnel derselben Art, von denen ein einziger den Aufstieg von Innsbruck her ermöglicht hatte. Kanalrinnen dazwischen und dann bei Riva die Einfahrt in den Gardasee. Bei Peschiera der Austritt durch eine letzte kurze Tunnelröhre in den Anschlusshafen an das Kanalsystem der Po-Ebene.
Eine Kanalschifffahrt über die Alpen. Ein Vorgang, der heute vielleicht gerade denen unfassbar erscheint, die gesehen haben, wie die Züge der Brennerbahn sich unter der Wucht zweier schwerer Lokomotiven den Berg hinaufarbeiten müssen. Und doch physikalisch das denkbar Einfachste. Es war nur nötig, eine Wassermasse vom doppelten Gewicht des Schleppzugs von der Brennerhöhe bis nach Innsbruck fallenzulassen, um den Schleppzug in der Tunnelröhre bis zum Brenner zu heben, und mit dem gleichen Wasseraufwand vollzog sich der Abstieg nach Italien. Einfache physikalische Gesetze, weitsichtig und genial angewandt, hatten das Meisterwerk des Brennerkanals geschaffen, durch den das deutsche und das italienische Kanalnetz in direkte Verbindung gekommen sind.
In dieselbe Zeit fällt auch die Verlegung des ersten Unterseetunnels zwischen Deutschland und Schweden. Man sprach bei dieser Gelegenheit viel von der alten umständlichen und unmenschlich teuren Anlage des englischen Kanaltunnels, der wirklich noch durch den Fels unter dem Meere gebohrt worden war. Die Technik hatte diese Dinge in einer verblüffend einfachen Weise längst überholt. Genau genommen war man dabei eigentlich von den biegsamen Metallschläuchen ausgegangen, die schon in der Technik des 20. Jahrhunderts eine große Rolle spielten. Es war ja nur nötig, einen solchen Schlauch mit einem Durchmesser von 5 m zu nehmen und wie ein Kabel in der See auszulegen, und man hatte den Seetunnel ohne alle teuren Tunnelbohrungen. Das Auslegen eines Schlauches mit einem äußeren Durchmesser von 6 m erforderte ganz andere Hilfsmittel, als das Verlegen eines harmlosen Telegrafenkabels von Handgelenkstärke. Die zuverlässige Fixierung des: Tunnelschlauches auf dem Seegrunde und seine Auszementierung nötigten zur Entwicklung einer Spezialtechnik. Die Verlegung des ganzen Tunnelschlauchs von Rügen bis Trälleborg in einer Länge von 75 km war im. Laufe von 14 Tagen ohne alle Schwierigkeiten vonstattengegangen, und man hoffte, die Fixierung und Auskleidung der Tunnelröhre noch im Laufe des Sommers zu vollenden und am 1. Oktober den Bahnverkehr aufnehmen zu können.