VerkehrFernmeldewesen

Das drahtlose Amerika

Von Hans Dominik

Die Woche • 29.7.1922

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.
Radiophon im EisenbahnwagenDas Radiophon im Eisenbahnwagen.

In Deutschland fällt die drahtlose Nachrichtenübermittlung jeglicher Art unter das Postregal. Die Inbetriebnahme drahtloser Stationen, sei es zum Senden oder zum Empfangen, ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung der Postbehörde zulässig, und die Genehmigung wird nur für ganz bestimmte Zwecke erteilt. In den Vereinigten Staaten ist es anders.

Die Errichtung und Inbetriebsetzung von Geberstationen ist Privatleuten drüben im Allgemeinen seit etwa zehn Jahren auch verboten, weil derartige Stationen, die natürlich fortgesetzt und unkontrolliert elektrische Raumwellen aller möglichen Längen und Stärken in den Äther spritzen, den regulären Verkehr ernstlich stören können und vor dem Erlass dieses Verbotes den Leuchtturm- und Schiffsdienst stellenweise gestört haben. Dagegen ist die Benutzung von Empfangsstationen und das Abhören der von den verschiedensten Sendestationen durch den Raum flatternden Nachrichten jedermann freigegeben, und von dieser Erlaubnis wird namentlich seitens der amerikanischen Jugend ein erstaunlich großer Gebrauch gemacht.

Tanz nach drahtloser MusikDer Tanz nach drahtloser Musik.

Für die amerikanische Gesetzgebung sprechen vor allen Dingen zwei Gründe. Erstens soll man nicht verbieten, was man doch nicht verhindern kann. Die drahtlose Technik ist heute namentlich infolge der Elektronenverstärker und der Rahmenantennen so weit entwickelt, dass man Empfangsstationen, die sogar noch aus Amerika empfangen, bei uns bequem in einem Zimmer unterbringen kann. Wer also ernstlich für irgendwelche lichtscheuen Zwecke eine solche Empfangsstation haben will, der kann sie auch heute in seiner Wohnung errichten und betreiben, ohne dass die Reichspost eine Ahnung davon hat. Zweitens soll man nicht verbieten, was niemand schadet. Die Aufnahme drahtloser Depeschen mit Hilfe der ungebunden durch den Raum flatternden Schwingungen stört den ordnungsgemäßen Empfang durch die amtlichen Empfangsstationen in keiner Weise. Der Hinweis auf das Telegrammgeheimnis und auf die Notwendigkeit seines Schutzes erscheint aber auch wenig stichhaltig, denn durch Code-Benutzung und Schnelltelegrafie wird dies Geheimnis gegen Amateure genügend geschützt, und gegen Leute, die aus dem unbefugten Abhören einen Betrieb machen, ist es überhaupt nicht zu schützen. Die deutsche Gesetzgebung sollte daher der amerikanischen auf diesem Gebiet schleunigst folgen, die Empfangsstationen unbedenklich freigeben und allenfalls eine geringe Anerkennungsgebühr verlangen. Ein solches Vorgehen würde auch uns die Vorteile bringen, die Amerika schon seit langem genießt.

VorlesungStudenten und Studentinnen hören die Vorlesung eines Professors.

In den Vereinigten Staaten hat sich die männliche Jugend mit großem Enthusiasmus auf die drahtlose Technik geworfen. Die populären Zeitschriften bringen fortlaufend Anweisungen, wie man sich gute Empfangsstationen unter möglichst geringem Zukauf fertiger Teile selbst herstellen kann, und die Jugend baut und bastelt nach diesen Anweisungen, dass es erstaunlich ist. Wie alles andere wird auch dies höchst sportlich betrieben. Die Jungen eines Ortes oder Distrikts schließen sich zu einem ›wireless club‹ zusammen, und zwischen diesen Clubs werden ernsthafte, von Unparteiischen überwachte und begutachtete Wettkämpfe darüber ausgefochten, welcher Club etwa ein sensationelles drahtloses Ereignis, wie die Rede des Präsidenten oder ein berühmtes Konzert, am besten und auf der größten Zahl seiner Vereinsstationen aufgenommen hat. Die Zahl dieser privaten Empfangsstationen wird heute auf rund eine Million geschätzt; solcher Clubs existieren mehrere tausend, und die jugendlichen Mitglieder tragen ihr Vereinsabzeichen zum mindesten mit dem gleichen Selbstbewusstsein wie etwa ein deutscher Student seine Farben.

Präsident HardingPräsident Harding spricht. Vor ihm die Aufnahme-Apparate, die seine Reden in den größeren Städten radiophonisch wiedergeben.

Unter diesen Stationen findet man natürlich Sorten aller Art. Es beginnt mit den primitivsten Einrichtungen, die irgendeinen hohen Baum oder die Dachrinne des väterlichen Hauses als Antenne benutzen und eben nur langsame Morsetelegramme aus nächster Nähe aufzunehmen vermögen, und endet bei hochmodernen Telefonstationen mit allen Schikanen moderner Verstärkungs- und Überlagerungstechnik, die den Empfang sämtlicher in den Vereinigten Staaten aufgegebenen drahtlosen Telefonate gestatten. Eine Million solcher Privatstationen bedeutet zum mindesten eine Million junger Leute, die sich praktisch mit der drahtlosen Technik beschäftigen und allen Fortschritten mit größter Aufmerksamkeit folgen. Es bedeutet eine Million Familien, die naturnotwendig Interesse für diese Versuche gewinnen. Die amerikanische Familie, einschließlich diverser Onkel und Tanten zu zehn Personen gerechnet, sind das 10 Millionen Menschen, die für die drahtlose Technik gewonnen werden. Und so gibt es einen gewaltigen Resonanzboden für jede drahtlose Veranstaltung. Wenn heute Präsident Harding irgendwo eine Rede in das Aufnahmetelefon nach der großen Sendestation Marion hin spricht oder wenn ein europäischer Star in der Metropolitan-Opera singt, so lauschen tatsächlich Millionen von Menschen in der Union diesen Vorgängen. An den geschilderten Privatstationen der Jugend, in den vielen Hunderten von Unterhaltungswagen der Eisenbahnen und noch an tausend anderen Stellen. Wenn dagegen bei uns Königs Wusterhausen ein drahtloses Konzert veranstaltet, so lesen wir wohl in den Zeitungen, dass es an dieser oder jener Stelle aufgenommen wurde, aber wirklich gehört hat es kaum einer von uns allen.

Schließlich noch die wirtschaftlichen Wirkungen. Gerade diese Privatstationen geben der Industrie bedeutende Beschäftigung und führen ihr gewaltige Mittel zu, die schließlich doch wieder der gedeihlichen Weiterentwicklung dieser Technik allgemein zugutekommen.

SportzentraleEine Sportzentrale, die die Mitteilungen von den Sportplätzen radiophonisch aufnimmt und sofort an die Zeitungen und Interessenten weiterleitet.

Zurzeit ist die Nachfrage nach solchen Kleinstationen so bedeutend, dass die amerikanische Industrie sie nicht mehr befriedigen kann und sehr erhebliche Lieferungen auch von Deutschland nach den Vereinigten Staaten gehen. Auch diesen Punkt sollte man bei uns im Auge behalten, wenn man an eine zeitgemäße Regelung der Postgesetze für den drahtlosen Verkehr geht.

Die Industrie der drahtlosen Verkehrsmittel braucht ja unbedingt Aufträge auf eine große Anzahl Apparate der gleichen Type, wenn sie erhebliche Einnahmen erzielen will. Die Erbauung großer Stationen ist kein großes Geschäft für sie. Im Gegenteil wird die Erwerbung neuer Erfahrungen und die Gewinnung neuer Konstruktionen im Allgemeinen so teuer bezahlt, dass derartige Bauten gewöhnlich mit einer Unterbilanz für die erbauende Gesellschaft abschließen.

Die Lieferung von Tausenden und sogar Hunderttausenden von kleinen Privatstationen würde dagegen das Mittel sein, diese Verluste auszugleichen und diese Industrie gut rentabel zu gestalten. Was an den Serienaufträgen gewonnen wird, würde aber letzten Endes der Fortentwicklung der ganzen drahtlosen Technik zugutekommen. Der Gewinn aus diesen Massenaufträgen würde der Förderung der Technik und der Erschließung immer neuer drahtloser Verkehrsmöglichkeiten dienen.

Entnommen aus dem Buch:
Der Ingenieur Hans Dominik (1872 – 1945) ist vor allem durch seine technisch-utopischen Romane bekanntgeworden. Dominik war aber in erster Linie Wissenschaftsjournalist und verfasste zahlreiche populärwissenschaftliche Beiträge für verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen. Dabei brachte er im lockeren Plauderton dem interessierten Laien wissenschaftliche Grundlagen und neue technische Errungenschaften näher. Dieses Buch versammelt eine repräsentative Auswahl seiner wissenschaftlichen und technischen Plaudereien.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 116 Seiten | ISBN: 978-3-7597-8354-7

• Auf epilog.de am 4. Dezember 2024 veröffentlicht

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