Bau & ArchitekturBrücken

Hänge- oder Kettenbrücken

Pfennig Magazin • 24.10.1835

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Unter die wichtigeren Gegenstände der neueren Mechanik und Baukunst gehören die Hänge- oder Kettenbrücken. Man nennt nämlich so Brücken, deren Fahrweg nicht von einer festen Unterlage getragen wird, sondern an einer biegsamen Verbindung beider Ufer aufgehängt ist. Diese Verbindung besteht gewöhnlich aus eisernen Ketten, seltener aus Seilen von Eisendraht. Die Ansicht der Findhorn-Kettenbrücke in der Grafschaft Murrayshire in Schottland gibt einen allgemeinen Begriff von der Konstruktion einer solchen Brücke. Findhorn-HängebrückeDie Findhorn-Hängebrücke. Die einfachste Art dieser Brücken besteht bereits seit Jahrhunderten in Asien und Südamerika, wo sie angewendet wurde, um über Flüsse und Abgründe zuführen; man spannte nämlich quer über dieselben hinreichende Seile und hing eine Brückenbahn daran, welche gewöhnlich nur für Fußgänger bestimmt war. Ähnliche Brücken sollen schon seit langer Zeit auch in China erbaut und daselbst auch eiserne Ketten statt der Seile angewendet worden sein. Über den Fluss Sampu in Hindostan soll sich, Reisebeschreibungen zufolge, eine an fünf eisernen Ketten, deren jede aus 500 Gliedern besteht, hängende Brücke von 145 m Länge befinden.

In Nordamerika waren im Jahr 1811 bereits acht Kettenbrücken ausgeführt, worunter die um das Jahr 1809 in Massachusetts über den Fluss Merrimak erbaute eine Spannung von 68 m hat. Den Engländern gehört inzwischen der Ruhm, die größten und vollkommensten Bauwerke dieser Art ausgeführt zu haben. Die älteste Kettenbrücke in England ist die über den Fluss Tees angelegte Winchbrücke, welche im Jahr 1741 errichtet wurde; diese Brücke führt über einen beinahe 18 m tiefen Abgrund, hat 21 m Länge, 60 cm Breite und die Ketten sind in den zu beiden Seiten vorhandenen Felsen befestigt.

Versuche mit geschmiedeten Eisenstangen und Ketten von 9 – 275 m Länge, die an zwei Punkten aufgehängt und an verschiedenen Punkten belastet wurden, welche 1814 und in den folgenden Jahren von den englischen Architekten Telford, Donkin, Chapman und Rennie und vom Professor Barlow angestellt wurden, lieferten den Beweis, dass Kettenbrücken für die größten Spannungen ausführbar sind, dass sie dieselbe Sicherheit wie die steinernen oder gusseisernen Brücken gewähren und dass sie in den meisten Fällen einen weit geringeren Kostenaufwand als die letzteren verursachen.

In der Tat gewähren Kettenbrücken, wo es wegen der Tiefe der Abgründe oder wegen der Tiefe und Schnelligkeit der Ströme unmöglich oder doch außerordentlich kostspielig wäre, Mittelpfeiler zu erbauen, die größten Vorteile, indem man sie mit weit größeren Spannweiten anlegen kann, als es bei hölzernen, steinernen oder gusseisernen Brücken für möglich erachtet wird. Der französische Architekt Navier stellt die Meinung auf, dass eine Kettenbrücke ohne Schwierigkeit in einem Bogen von 450 m Spannung erbaut werden könnte, wenn nur die Unterstützung der Ketten durch 27 m hohe Tragpfeiler geschieht, und es waltet kein Grund ob, dieser Ansicht zu widersprechen. Kettenbrücken gewähren aber überdies noch den Vorteil, dass ihre Aufstellung selbst bei den größten Spannweiten in einer viel kürzeren Zeit bewirkt werden kann, als es bei der Aufstellung steinerner Brückenbögen der Fall ist, dass demnach die Schifffahrt in Flüssen hierbei weit weniger als bei dem Bau anderer Brücken unterbrochen wird. Sollte endlich, was jedoch bis jetzt noch nirgend stattgefunden hat, mit der Zeit eine oder die andere Kette schadhaft werden, so können ohne Anstand nicht bloß einzelne Glieder aus einer Kette herausgenommen und durch neue ersetzt, sondern auch die Ketten verkürzt und der Fahrweg erhöht werden, ohne deshalb die Verbindung, wie es bei Vornahme solcher Ausbesserungen an steinernen oder gusseisernen Bögen der Fall ist, zu hemmen.

Seit der Zeit, dass die oben genannten Architekten die entscheidenden Versuche über die Tragkraft des Eisens angestellt haben, wurde die öffentliche Aufmerksamkeit immer mehr und mehr auf diesen Gegenstand gerichtet und mehrere der größten Bauten dieser Art ausgeführt.

Kettenbrücke über den MenaiKettenbrücke über den Menai.

Zu den imposantesten Bauwerken, die sich in England vorfinden, gehört die Kettenbrücke über den Meeresarm Menai Strait zur Verbindung der Insel Anglesey bei Bangor mit dem festen Land von England. Der kürzeste Weg von London nach Dublin führt nämlich über diesen Meeresarm und Holyhead auf der Insel Anglesey; da nun die Verbindung mit dieser Insel bisher durch eine beschwerliche und oft gefahrvolle Überfahrt unterbrochen wurde, so war die Anlage einer Brücke über diesen Meeresarm schon seit vielen Jahren in Verhandlung. Der Umstand, dass dort Seeschiffe ungehindert passieren müssen, machte es notwendig, der Brücke eine Höhe von 30 m zu geben. Im Jahr 1818 entschied sich das Parlament, eine Kettenbrücke nach dem Plan Telfords ausführen zu lassen; der Bau wurde unter seiner Leitung in demselben Jahr begonnen und im Jahr 1826 vollendet.

Die Menai-Kettenbrücke besteht aus einem Hauptbogen, welcher zwischen den Tragpfeilern 177 m lang ist. Die untere Fläche dieses Bogens liegt 30½ m über dem höchsten Wasserspiegel zur Zeit der Frühjahrsfluten, um den Durchgang der größten Seeschiffe unter der Brücke zu gestatten. Da die Aufdämmung der Straße zu beiden Seiten der Tragpfeiler zu hoch und zu kostspielig geworden wäre, so sind diese Pfeiler mit den Dämmen am Ufer durch sieben steinerne Bögen von 16 m Spannung verbunden. Die Tragpfeiler sind über der Brückenbahn 16 m hoch. Die Brückenbahn hängt an 16 Spannketten, wovon immer vier übereinander laufen. Die Glieder sind 8,3 cm hoch, 2,5 cm dick und 2,75 m lang. Von den Spannketten gehen in einer Entfernung von 1½ m zu 1½ m die vertikalen Tragstangen von einem 2,5 × 2,5 cm im Querschnitt herab. An denselben hängt die Brückenbahn, welche in zwei Fahrbahnen für die hin-und herfahrenden Wagen und einen dazwischen liegenden Fußweg abgeteilt ist. Die Breite der Brücke misst 8½ m. Die Brückenbahn liegt auf Querstangen von Schmiedeeisen, auf denen zwei Lagen Bohlen ruhen; in den Fahrbahnen liegt noch eine dritte Lage Bohlen und zwischen allen Lagen Filz, zur Bewahrung des Holzes.

Kettenbrücke zu BereyKettenbrücke zu Berey bei Paris.

Um die Schwingungen bei Stürmen zu vermindern, sind an acht Punkten zwischen den Spannketten eiserne Rahmen angebracht. Wenn daher Postkutschen im Trab über die Brücke fahren, so sind kaum noch Bewegungen derselben zu bemerken; bei starken Stürmen hebt sich die Bahn in der Mitte noch 30 – 60 cm. An den Seiten der Brücke ist ein 180 cm hohes Geländer von gewalzten Eisenstäben befindlich.

Kettenbrücke zwischen Lyon und BarbeKettenbrücke zwischen Lyon und der Insel Barbe.

Die ganze Länge einer Spannkette, zwischen ihren beiderseitigen Endpunkten gemessen, beträgt 518 m. Die Enden wurden tief in den Felsenriffen, die auf dem Festland von England und auf der Insel Anglesey vorhanden sind, verankert, zu welchem Ende zu jeder Seite der Brücke drei Stollen in dieselben eingesprengt wurden. Das Gewicht der Menai-Kettenbrücke beträgt ungefähr 500 Tonnen.

Auch in Frankreich wurden in den letzten Jahrzehnten an vielen Orten Kettenbrücken erbaut, die erste der hier dargestellten zu Bercy bei Paris; die andere verbindet die Insel Barbe mit Lyon. Ebenso wurden auch in Deutschland einige solcher Bauten ausgeführt, unter diesen auch mehre Stahl- und Drahtbrücken, welche jedoch den Kettenbrücken aus Stabeisen weit nachstehen, indem sie teurer sind und bei jedem Fußgänger, der darüber geht, in Schwingungen geraten, die bei Stürmen sehr bedeutend sind.

• Auf epilog.de am 28. Juli 2024 veröffentlicht

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