Handel & Industrie – Lebensmittelproduktion
Die größte Brauerei der Welt
Eine Bierstudie von Christian Benkard
Illustrirte Welt • April 1896
Gemütlicher geht es da zu, wo über der Bar mächtige Bierplakate prangen mit den Firmen amerikanischer Großbrauer. Pabst, Anheuser-Busch, Schlitz, Blatz, Obermann – wie diese Namen den Deutschen anheimeln! Einer der genannten Bierfürsten führt ein reich verziertes Riesenfass im Wappen, der andere einen mächtigen Globus, auf dem Gambrinus thront; ganz besonders fällt aber das meterhohe, stark vergoldete Reliefbild einer kleinen Fabrikstadt in die Augen, welches die Aufschrift trägt: ›Pabst Brewing Company, Milwaukee. Capacity 1 500 000 Barrels per Annum.‹ Was diese Zahl bedeutet? Sie ergibt die schier unglaublich erscheinende Tatsache, dass die genannte Firma jährlich eine Biermenge erzeugt, groß genug, um 25 Ozeandampfer à 6000 Tonnen zu tragen.
Im Bereiche der Pabstschen Brauerei zu Milwaukee steht noch das wahrhaft liliputanische Holzhäuschen, in dem Jakob Best, der Begründer des Unternehmens, wohnte. Damals, 1844, zählte Chicago 5000 Einwohner, Milwaukee kaum halb so viele, so dass fürs erste 200 bis 300 Barrels Bier jährlich für den lokalen Bedarf genügten. Mit der Stadt wuchs auch die Brauerei, und der Inhaber hatte bereits einen Jahresumsatz von 11 000 Barrels erzielt, als er seinen Schwiegersohn Fritz Pabst, einen Thüringer von Geburt, als Teilhaber in seine Firma aufnahm. Pabst hatte bis dahin als Dampferkapitän den Michigansee befahren, aber, obgleich nicht ›vom Fach‹, griff er doch so zielbewusst ein, dass der Konsum stetig zunahm und die Brauerei öfter erweitert werden musste. In neuerer Zeit ist sie in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und mit vollem Rechte ›Pabst Brewing Company‹ genannt worden. Heute wird das Pabstbier in ganz Amerika getrunken, aber auch nach Asien, Afrika (Kapland) und Australien verschickt. Die Leiter des Unternehmens führen deutsche Namen: Pabst, Schandein, Best, Falk und so weiter. Amerikanisch großartig produziert es, wie schon bemerkt, jährlich 1 500 000 Barrels = 2 000 000 Hektoliter Bier.

1. Maschinenhaus. | 2. Abfüllraum. | 3. ›Käpt’n‹ Pabst. | 4. Mälzerei. | 5. Villa Pabst. | 6. Der Pabst. | 7. Gesamtansicht der Brauerei.
Das in der Hauptverwaltung ausliegende Fremdenbuch weist durchschnittlich dreihundert Eintragungen pro Tag auf, daher ist es nötig, dass die Firma drei Leute zum Herumführen der Besucher hält. Zunächst geht es in das Maschinenhaus, wo die Dampfkraft und die kalte Luft für die Lagerräume erzeugt werden. Das Bier wird hier nämlich nur mittelst kalter Luft gekühlt, für die mächtige Eismaschinen sorgen, indem sie täglich ein Kälte-Äquivalent von 750 Tonnen Eis hervorbringen. Weiß überfrorene eiserne Röhren absorbieren die in anderen Maschinenhäusern oft so lästige Hitze und führen den Kältestrom dahin, wo man seiner benötigt.
Ein größeres Interesse erweckt das eigenartige Leben und Treiben in der Bottlerei, wo Bierflaschen gefüllt und versandbereit gemacht werden. Auf Rädern, durch eine unsichtbare Kraft vorwärts bewegt, rollen große, mit leeren Flaschen gefüllte Körbe heran, flinke Hände nehmen die Flaschen heraus und stellen dieselben unter Röhrenmündungen, aus denen das Bier nur so lange strömt, bis die Flaschen gefüllt sind. Während die gefüllten durch leere ersetzt werden, wandern erstere in beweglichen Flaschengestellen vor eine Maschine mit einer unablässig sich drehenden Scheibe, auf der je sechs Flaschen Platz finden. Nun beginnen die menschlichen Armen vergleichbaren Maschinenteile zu arbeiten, einer setzt den Kork auf, der zweite treibt ihn in den Flaschenhals, der dritte legt den Draht darum und so geht es weiter, bis die Flaschen vollständig verkorkt, gedrahtet und gekapselt sind. Jede dieser Maschinen macht in einer Minute 25 Flaschen versandbereit, und da sechs Maschinen beständig arbeiten, ist es der Brauerei möglich, jährlich weit über zwanzig Millionen Flaschen Bier zu versenden.
Nun geht es treppauf und ab durch die Spülräume und Lagerhäuser, über weite Höfe nach den großen, sauberen Stallungen und endlich nach der Mälzerei, dem riesigsten aller zur Brauerei gehörenden Riesenbauten. Von seiner Ausdehnung kann man sich ein Bild machen, wenn man hört, dass die Pabst Brewing Company jährlich 60 000 t Malz, 500 t Hopfen und 1500 t Reis verarbeitet. Der Reis dient zur Herstellung des sehr beliebten, außerordentlich hellen ›böhmischen‹ Bieres, das berauschender wirkt, als die übrigen Biersorten: ›Export‹, ›Selekt‹, ›Bavarian‹, ›Hofbräu‹ und ›Standard‹. Später wird beim ›Sternenwirt‹ eine große Zungenprobe stattfinden, versichern die mich begleitenden Milwaukeer Kollegen, einstweilen soll ich mich an der Aussicht laben, die sich von der Dachhöhe der Mälzerei aus dem Blick darbietet. Mit dem elektrischen Aufzug hinauf aufs ›Observatorium‹. Wie schön sie doch da liegt, die deutscheste Stadt Amerikas, einem duftenden Waldblumenstrauß vergleichbar, den der Michigansee sich an die Brust steckte. Um das eigentliche Geschäftsviertel schließt sich ein Kranz von Gärten mit hocheleganten Villen und unzähligen hübschen Holzhäusern im Kottagestil. Die Villa Pabst und Villa Schandein sind die schönsten, und ganz Chicago hat keinen so gefälligen Wolkenkratzer aufzuweisen, wie ihn Milwaukee in seinem zwölfstöckigen ›Pabstbau‹ besitzt. Derselbe enthält ein großes Restaurant, mehrere Kaufläden, eine Bank, sowie einige hundert Büroräume, alles gut vermietet. Auch das deutsche Stadttheater hat Pabst erbaut und er verliert daran freiwillig Geld, indem er es einer tüchtigen deutschen Schauspielertruppe, die sonst nicht bestehen könnte, pachtfrei überlässt. Auch das ›Künstlerheim‹, eine prächtige altdeutsche Bierstube, und das reizende Ausflugsziel ›Whitefishbay‹ sind uneigennützige Pabstsche Gründungen.
Doch nun zum Sternenwirt, dem es an freundlichem Zuspruch niemals fehlt. Er schenkt an die bei ihm einkehrenden Beamten, Arbeiter und Besucher des Etablissements täglich hundert Fässer Bier im Werte von je 6 Dollars aus, das bedeutet per Jahr eine Summe von 180 000 Dollar, die im Handlungskostenkonto zu verbuchen sind. Saßen wir nun und tranken, der Worte unseres Führers kaum achtend, der uns von den weiteren Wundern des gewaltigen Bierreichs erzählte, von dem großartigen Brauhaus, der Fässerfabrik und von den 2000 Eisenbahnwagen der Firma, deren hundert gefüllt täglich Milwaukee verlassen. Das war ja alles recht schön und gut, aber hier beim Sternenwirt war es noch besser, zumal jetzt auch noch der ›Herr vons Ganze‹ dazukam, ein stattlicher Mann, mit scharf geschnittenen und dabei freundlich gewinnenden Zügen, der seine helle Freude hatte an dem Durst seiner Gäste. Als ›Käpt’n‹ Pabst – unter diesem Namen ist er fast in ganz Amerika bekannt – in mir einen früheren Berufsgenossen, einen alten Seemann, erkannte, meinte er, wir müssten uns öfter sehen, und dies geschah denn auch, in der Brauerei sowohl, wie in seinem fürstlich eingerichteten Heim, in der Grand Avenue. Auch dort fühlte ich niemals das Bedürfnis, nach der Uhr zu sehen.