Bau & Architektur – Brücken
Die größte Bogenbrücke der Welt
Das Neue Universum • 1900
Die Zahl der Bogenbrücken von außerordentlicher Spannweite hat sich, seit wir über die Rheinbrücken bei Bonn und Düsseldorf berichteten, wieder um ein gewaltiges Werk vermehrt. Der Niagara, der schon so manche interessante Lösung des Problems weitspannender Brücken gesehen hat, ist es diesmal, über welchem sich der weiteste Brückenbogen der Erde wölbt. In den Vereinigten Staaten, wo die Konstruktion weit gespannter Eisenbrücken sehr frühzeitig begann, ist man jetzt ziemlich oft genötigt, diese älteren Bauwerke, sei es wegen Altersschwäche, sei es weil sie dem gesteigerten Verkehr nicht mehr entsprechen, durch Neubauten zu ersetzen. So ist vor einigen Jahren die für mehrere Eisenbahnen dienende Auslegerbrücke des Niagarastroms durch eine Bogenbrücke von 167 m Spannweite ersetzt, und im verflossenen Jahr wurde auch die alte Fußgängerhängebrücke, die dicht neben den Fällen den Strom überspannt, durch die abgebildete Bogenbrücke ersetzt. Die Röblingsche Hängebrücke mit ihrer Spannweite von mehr als 200 m gehörte seinerzeit zu den bewundertsten Meisterwerken der Technik und wurde lange Jahre mit großen Kosten ausgebessert und immer wieder verstärkt, als sie sich für den wachsenden Verkehr nicht mehr stark genug erwies. Nun aber, da es notwendig wurde, die auf beiden Seiten des Stroms verlaufenden elektrischen Bahnen miteinander zu verbinden, wurde eine neue Niagarabrücke erforderlich, die neben dem gewöhnlichen Straßenverkehr auch ein doppeltes Straßenbahngleis zu tragen vermochte.
Im Jahr 1895 wurde der Bau dieser neuen Bogenbrücke, die mit 256 m Spannweite die größte bisher entworfene werden sollte, mit der Errichtung der mächtigen Widerlager begonnen, auf welche sich der Hauptbogen stützt. Die alte Hängebrücke blieb dabei bestehen, da man sie als einen höchst willkommenen Stützpunkt für die Zusammenfügung des großen Mittelbogens gut gebrauchen konnte.
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Derselbe besteht aus zwei mächtigen, für die Entfernung, welche sie überspannen, jedoch sehr leicht aussehenden Seitengurtungen, deren Oberkante im höchsten Punkt des Bogens sich fast 59 m über den Spiegel des Niagaraflusses erhebt. Dieser Scheitelpunkt des Bogens bezeichnet auch die Höhe der Fahrbahn, die sich an den Enden auf zwei hohe, im Widerlager des Mittelbogens aufgeführte Stahlpfeiler stützt. Da die Fundamente des Bogens und dieser Pfeiler natürlich in der Nähe des unteren Flussrandes liegen, so ist es nötig, die Konstruktion nach beiden Seiten hin noch bis zum oberen Rande der Schlucht fortzuführen. Dazu dienen zwei seitliche Bögen von 58 m und 64 m Spannweite, so dass die Gesamtlänge der ganzen Brücke 378 m beträgt. Die Spannweite des Mittelbogens übertrifft den bisherigen größten Brückenbogen, denjenigen der Rheinbrücke bei Bonn, um etwa 68 m. Die größten Bogenbrücken der Erde sind nunmehr: die neue Niagarabrücke mit 256 m, die Rheinbrücken bei Bonn und Düsseldorf mit 188 m und 181 m, die Dourobrücke bei Porto mit 172 m und die
Müngstener Kaiser-Wilhelmbrücke mit 170 m. Drei von den fünf größten Bogenbrücken sind also Werke deutscher Technik. Unter ihnen befinden sich auch die am höchsten und am flachsten gespannten Bogen, nämlich die Müngstener Brücke mit 107 m und die Düsseldorfer Rheinbrücke mit nur 28 m Höhe des Bogenscheitels über den Stützpunkten. Beide Fälle stellten der Technik schwierige Aufgaben, die jedoch glänzend besiegt worden sind.