Verkehr – Fernmeldewesen
Zur Geschichte der
optischen Telegrafie in Deutschland
Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie • 1909
»Der Telegraf ist eine Maschine, die von den Franzosen benutzt wird, während andere Nationen untersuchen, ob diese Erfindung neu oder alt sei!« Mit diesen bitter-sarkastischen Worten kennzeichnete Archenholz im Dezember 1794 in der Zeitschrift Minerva den Stand der optischen Telegrafie in Europa am Ende des 18. Jahrhunderts. Das Wort war speziell auf Deutschland gemünzt und behielt für dieses Land seine Berechtigung unglaublicher weise noch fast 4 Jahrzehnte hindurch. Als ältester optischer Telegraf auf heute deutschem Boden, der für dauernde Benutzung eingerichtet war, ist, wie Postrat Guido Sautter im Archiv für Post und Telegrafie nachgewiesen hat, die Linie Metz –
Von den deutschen Staaten und Gemeinwesen entschloss sich jedoch bis 1832, wo endlich Preußen sich seine erste optische Telegrafenlinie schuf (Berlin –
Gerade in Deutschland hätte man eine frühzeitige Einrichtung großzügiger optischer Telegrafenlinien um so eher erwarten sollen, weil auf deutschem Boden ein besonders großer Teil der Erfindungen und Versuche angestellt worden war, welche die optische Telegrafie erst lebensfähig machten. Hier war zur Zeit des Siebenjährigen Krieges (das Jahr steht nicht fest) durch Christoph Ludwig von Hoffmann in Burgsteinfurt ein optisches Telegrafensystem erfunden worden, das ›in Schönbusch auf der Anhöhe bei Burghorst‹ ausgeführt und erprobt wurde. Über das System selbst ist wenig bekannt geworden; es scheint aber, als habe eine Schrift, die v. Hoffmann 1782 in Münster i. W. über seine Erfindung veröffentlichte, eine gewisse Anregung zu Claude Chappes erfolgreichen Ideen gegeben. Auf deutschem Boden hatte ferner der gelehrte Hofrat Böckmann in Karlsruhe am 22. November 1794 das erste ›Geburtstags-Glückwunschtelegramm‹ zum Wiegenfest des Markgrafen Karl Friedrich von Baden aus einer Entfernung von 1½ Wegstunden nach Karlsruhe signalisiert, und nahezu gleichzeitig, am 30. Oktober 1794, hatte der Hamburger Senator Guenther öffentlich den Vorschlag gemacht, zwischen Hamburg und Cuxhaven einen optischen Telegrafen zur rascheren Übermittlung von Börsennachrichten einzurichten. Im Februar 1795 erschien ferner in Wielands neuem teutschen Merkur ein Aufsatz von Böttiger: ›Was thun die Teutschen für die Telegrafie?‹
Obwohl somit zweifellos gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Gebildeten in Deutschland mannigfach von der Möglichkeit einer optischen Telegrafie in Anspruch genommen und von dem großen Nutzen dieser Verkehrsverbesserung überzeugt war, scheint eine über das Versuchsstadium hinausgehende, praktische Anwendung der Erfindung in Deutschland damals nicht stattgefunden zu haben. Jedenfalls sind alle Bemühungen, auf deutschem Boden ältere, für ständigen Gebrauch bestimmte optische Telegrafenlinien nachzuweisen, als die preußischen von 1832 bzw. die Linie Metz –

Um so unbegreiflicher und auffälliger ist eine Notiz in dem Werk des Deutsch-Amerikaners Tal. P. Shaffner The telegraf manual (New York 1859), wonach schon 1798 in Frankfurt a. M. ein optischer Telegraf in Benutzung gewesen sein soll, von dem sonst in der Literatur nirgends die Rede zu sein scheint. Man würde die Bemerkung Shaffners ohne weiteres für unglaubwürdig erachten dürfen, aber da er ausdrücklich erklärt, er selbst habe in Frankfurt eine Zeichnung des Telegrafen in Händen gehabt, und da er auch eine Wiedergabe dieser Zeichnung bringt, aus der hervorgeht, dass es sich um ein durchaus selbstständiges, wenn auch dem Chappeschen nachgebildetes System handelte, so verdient die Behauptung doch vollste Beachtung. Da der Zeichnung ein genauer Alphabeten-Code für die Verständigung beigegeben ist, ist es wahrscheinlich, dass der geheimnisvolle Apparat nicht nur für Versuchszwecke, sondern für den praktischen Gebrauch des Alltagslebens erdacht worden war – aber wann, von wem, für welchen Zweck? Die Frage bleibt offen …
Es erscheint unbegreiflich, dass über einen öffentlichen Telegrafen von so großer Bedeutung in der ganzen zeitgenössischen Literatur keine Silbe veröffentlicht sein sollte. Die Vermutung ist daher nicht von der Hand zu weisen, dass die von Shaffner aufgefundene Zeichnung nur einen Entwurf darstellt, dessen endgültige Verwirklichung niemals zustande gekommen ist. Auch als Entwurf wäre aber die Zeichnung interessant und wertvoll, wegen der ebenso geistvollen wie einfachen Art der vorgeschlagenen Verständigung.
Es wäre für die Geschichte der Telegrafie von hohem Wert, wenn sich nähere Einzelheiten über den Frankfurter Telegrafen von 1798, sowie über die Art und den Umfang seiner Verwendung feststellen ließen. Leider aber sind bisher alle Bemühungen nach dieser Richtung erfolglos geblieben, auch Nachfragen in Frankfurt selbst, obwohl die Nachforschungen noch nicht als abgeschlossen zu betrachten sind.
• Dr. R. Hennig.
• Neuerscheinung •