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Zur Geschichte der
optischen Telegrafie in Deutschland

Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie • 1909

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

»Der Telegraf ist eine Maschine, die von den Franzosen benutzt wird, während andere Nationen untersuchen, ob diese Erfindung neu oder alt sei!« Mit diesen bitter-sarkastischen Worten kennzeichnete Archenholz im Dezember 1794 in der Zeitschrift Minerva den Stand der optischen Telegrafie in Europa am Ende des 18. Jahrhunderts. Das Wort war speziell auf Deutschland gemünzt und behielt für dieses Land seine Berechtigung unglaublicher weise noch fast 4 Jahrzehnte hindurch. Als ältester optischer Telegraf auf heute deutschem Boden, der für dauernde Benutzung eingerichtet war, ist, wie Postrat Guido Sautter im Archiv für Post und Telegrafie  nachgewiesen hat, die Linie Metz – Mainz zu betrachten, die auf Befehl Napoleons im Frühjahr 1813 hergestellt und am 29. Mai desselben Jahres dem Betrieb übergeben wurde. Allerdings berührten auch schon die 1794, in der allerersten Zeit der Chappe-Telegrafie, geschaffenen Telegrafenlinien Paris – Landau und Paris – Straßburg streckenweise Gebiete, die heute zum Deutschen Reich gehören, aber die genannte Strecke Metz – Mainz war doch die erste, die in ihrem ganzen Verlauf über ein Gelände führt, das gegenwärtig deutscher Boden ist.

Von den deutschen Staaten und Gemeinwesen entschloss sich jedoch bis 1832, wo endlich Preußen sich seine erste optische Telegrafenlinie schuf (Berlin – Magdeburg, angelegt auf Grund einer Kabinettsorder vom 21. Juli 1832, eröffnet – jedoch nur für amtliche Depeschen – im November 1832), kein einziger, aus eigener Initiative einen Telegrafen herzustellen, der dauernd zwischen bestimmten Orten einen Nachrichten-Schnellverkehr vermitteln konnte. Angesichts der außerordentlich großen und allgemein anerkannten Erfolge, die der Tele­grafen­dienst Chappeschen Systems seit 1794 dauernd, am meisten aber während der Regierungszeit Napoleons, zu verzeichnen hatte, muss diese Schwerfälligkeit der deutschen Staaten (einschließlich Österreichs) überaus befremdlich erscheinen, um so mehr, als England und Schweden schon 1795, Spanien 1800, Dänemark 1802, Italien 1810 Archenholz’ Spott widerlegt und den optischen Telegrafen Einlass gewährt hatten, ebenso sogar schon Indien und Ägypten im Jahr 1823.

Gerade in Deutschland hätte man eine frühzeitige Einrichtung großzügiger optischer Telegrafenlinien um so eher erwarten sollen, weil auf deutschem Boden ein besonders großer Teil der Erfindungen und Versuche angestellt worden war, welche die optische Telegrafie erst lebensfähig machten. Hier war zur Zeit des Siebenjährigen Krieges (das Jahr steht nicht fest) durch Christoph Ludwig von Hoffmann in Burgsteinfurt ein optisches Telegrafensystem erfunden worden, das ›in Schönbusch auf der Anhöhe bei Burghorst‹ ausgeführt und erprobt wurde. Über das System selbst ist wenig bekannt geworden; es scheint aber, als habe eine Schrift, die v. Hoffmann 1782 in Münster i. W. über seine Erfindung veröffentlichte, eine gewisse Anregung zu Claude Chappes erfolgreichen Ideen gegeben. Auf deutschem Boden hatte ferner der gelehrte Hofrat Böckmann in Karlsruhe am 22. November 1794 das erste ›Geburts­tags-Glück­wunsch­tele­gramm‹ zum Wiegenfest des Markgrafen Karl Friedrich von Baden aus einer Entfernung von 1½ Wegstunden nach Karlsruhe signalisiert, und nahezu gleichzeitig, am 30. Oktober 1794, hatte der Hamburger Senator Guenther öffentlich den Vorschlag gemacht, zwischen Hamburg und Cuxhaven einen optischen Telegrafen zur rascheren Übermittlung von Börsennachrichten einzurichten. Im Februar 1795 erschien ferner in Wielands neuem teutschen Merkur ein Aufsatz von Böttiger: ›Was thun die Teutschen für die Telegrafie?‹

Obwohl somit zweifellos gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Gebildeten in Deutschland mannigfach von der Möglichkeit einer optischen Telegrafie in Anspruch genommen und von dem großen Nutzen dieser Verkehrsverbesserung überzeugt war, scheint eine über das Versuchsstadium hinausgehende, praktische Anwendung der Erfindung in Deutschland damals nicht stattgefunden zu haben. Jedenfalls sind alle Bemühungen, auf deutschem Boden ältere, für ständigen Gebrauch bestimmte optische Telegrafenlinien nachzuweisen, als die preußischen von 1832 bzw. die Linie Metz – Mainz von 1813, vergeblich gewesen.

Frankfurter Telegraf 1798Frankfurter Telegraf 1798.

Um so unbegreiflicher und auffälliger ist eine Notiz in dem Werk des Deutsch-Amerikaners Tal. P. Shaffner The telegraf manual (New York 1859), wonach schon 1798 in Frankfurt a. M. ein optischer Telegraf in Benutzung gewesen sein soll, von dem sonst in der Literatur nirgends die Rede zu sein scheint. Man würde die Bemerkung Shaffners ohne weiteres für unglaubwürdig erachten dürfen, aber da er ausdrücklich erklärt, er selbst habe in Frankfurt eine Zeichnung des Telegrafen in Händen gehabt, und da er auch eine Wiedergabe dieser Zeichnung bringt, aus der hervorgeht, dass es sich um ein durchaus selbstständiges, wenn auch dem Chappe­schen nachgebildetes System handelte, so verdient die Behauptung doch vollste Beachtung. Da der Zeichnung ein genauer Alphabeten-Code für die Verständigung beigegeben ist, ist es wahrscheinlich, dass der geheimnisvolle Apparat nicht nur für Versuchszwecke, sondern für den praktischen Gebrauch des Alltagslebens erdacht worden war – aber wann, von wem, für welchen Zweck? Die Frage bleibt offen …

Es erscheint unbegreiflich, dass über einen öffentlichen Telegrafen von so großer Bedeutung in der ganzen zeitgenössischen Literatur keine Silbe veröffentlicht sein sollte. Die Vermutung ist daher nicht von der Hand zu weisen, dass die von Shaffner aufgefundene Zeichnung nur einen Entwurf darstellt, dessen endgültige Verwirklichung niemals zustande gekommen ist. Auch als Entwurf wäre aber die Zeichnung interessant und wertvoll, wegen der ebenso geistvollen wie einfachen Art der vorgeschlagenen Verständigung.

Es wäre für die Geschichte der Telegrafie von hohem Wert, wenn sich nähere Einzelheiten über den Frankfurter Telegrafen von 1798, sowie über die Art und den Umfang seiner Verwendung feststellen ließen. Leider aber sind bisher alle Bemühungen nach dieser Richtung erfolglos geblieben, auch Nachfragen in Frankfurt selbst, obwohl die Nachforschungen noch nicht als abgeschlossen zu betrachten sind.

• Dr. R. Hennig.

Entnommen aus dem Buch:

Neuerscheinung

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden die ersten optischen Telegrafenlinien eingerichtet, auf denen Nachrichten dann mehrere Hundert Kilometer innerhalb weniger Minuten zurücklegten. Ausgehend von Paris erbaute Claude Chappe ein Netz aus Signaltürmen, dass bis nach Mainz reichte. Auch in England, Schweden, Dänemark sowie Russland entstanden ausgedehnte Telegrafenanlagen und in Deutschland eine Verbindung zwischen Berlin und Koblenz.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 110 Seiten | ISBN: 978-3-7693-5322-8

• Auf epilog.de am 16. Januar 2025 veröffentlicht

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