U-Bahn in Berlin
Zur Führung der elektrischen Stadtbahn am Nollendorfplatz in Berlin
Zentralblatt der Bauverwaltung • 25.2.1899
Die Arbeiten zur Feststellung des endgültigen Entwurfes für die Höhenlage der elektrischen Stadtbahn im Westen Berlins sind augenblicklich anscheinend auf einem toten Punkte angelangt. Nachdem die Stadt Charlottenburg sich mit der Bahngesellschaft dahin geeinigt hatte, die Bahn vom Nollendorfplatz ab westwärts als Unterpflasterbahn weiterzuführen, lag es nahe, die Unterpflasterbahn bis zur Potsdamer Eisenbahn auszudehnen und den Übergang von der Hochbahn zur unterirdischen Bahn auf das Gelände zwischen Dresdener und Potsdamer Bahn, südlich von dem bekannten Bogendreieck, zu verlegen. Durch diese Lösung würde nicht nur der Westen Berlins ganz von der Hochbahn befreit worden sein, es wäre auch die für den Bahnbetrieb und für künftige Umbauten immerhin unerwünschte Überführung der Hochbahn über die Gleise der Potsdamer Bahn vermieden worden. Diese für den Eisenbahntechniker nächstliegende Lösung ist aber, nachdem man ihr weitergehende, unausführbare Entwürfe gegenübergestellt hatte, von der Stadt Berlin wegen der Kosten endgültig abgelehnt.
Nachdem auch andere Versuche, den Übergang in der Kleiststraße zwischen Eisenacher und Lutherstraße oder in der Bülowstraße zwischen Potsdamer Straße und Nollendorfplatz mit Rampen bis zu Neigungen von 1 : 28 zu bewirken, mit Rücksicht auf die zu erwartende Verunstaltung der Straßen gescheitert zu sein scheinen, plant jetzt die Stadt Charlottenburg den Übergang auf dem Nollendorfplatz selbst mittels einer Rampe, die den Platz durchschneiden und sich noch in die Kleiststraße hinein erstrecken soll. Zwar soll die Rampe beiderseits verhüllt werden, aber es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass durch solche Anlage der Platz noch in erheblich größerem Maße entstellt werden würde, als durch Weiterführung der Hochbahn nach dem genehmigten Entwurf. Der gegen die Rampe auf dem Nollendorfplatz erhobene Einspruch der Stadt Schöneberg (zu deren Stadtgebiet ein Teil des Nollendorfplatzes gehört) unterliegt dem Vernehmen nach z. Z. der Entscheidung des Bezirksausschusses. Vielleicht ist die Entscheidung schon gefallen. Es sei daher gestattet, noch in zwölfter Stunde einen Vorschlag zu machen, der vielleicht dazu dienen kann, den Westen Berlins vor einer Verunstaltung zu bewahren.
Wo bei einer Gebirgsbahn die zur Überwindung eines Höhenunterschiedes erforderliche Länge fehlt, verlängert man die Bahnlinie künstlich, indem man sie an Ort und Stelle einen Kreis, eine Schleife oder eine andere den örtlichen Verhältnissen angepasste Krümmung beschreiben lässt. Es liegt nahe, das Gleiche auch hier zu versuchen. Der Nollendorfplatz selbst bietet den erforderlichen Raum, um die elektrische Bahn eine in sich zurückkehrende Kreislinie beschreiben lassen und so die für den Abstieg erforderliche Länge zu gewinnen. Der spiralförmige Bahnkörper wäre durch Mauerwerk in geeigneter Weise tunnelartig zu verhüllen, der mittlere Teil des Platzes vollzuschütten und das Ganze in einen hochliegenden Garten zu verwandeln. Man könnte daran denken, diesen Garten durch Mauerwerk in architektonischer Ausgestaltung einzuschließen und würde hiermit sicher eine reizvolle Wirkung erzielen können. Man braucht nur an die durch ihre Schönheit berühmten Terrassengärten auf Isola bella zu denken. Ratsamer erscheint es indessen, im vorliegenden Fall dem die Bahnlinie verhüllenden Körper die Form einer Felsinsel zu geben. Dass Felspartien auch inmitten bebauter Stadtteile gut wirken, wird jeder bestätigen, der die nordischen Städte gesehen hat. Die beistehende Abbildung zeigt, wie die Verwirklichung gedacht ist. Die Brücke der aus der Bülowstraße kommenden Hochbahn endigt bei A an der Felsinsel. Die Bahn verschwindet an dieser Stelle in einem Tunnel, in welchem sie den Nollendorfplatz annähernd ein- und einhalbmal umkreist, um bei B, wo sie den Abstieg beendet hat, in den gewöhnlichen Tunnel der Unterpflasterbahn überzugehen. Hier würde sich zweckmäßig der Haltepunkt Nollendorfplatz – unterirdisch – anschließen. Man würde dann von der Straße aus nur etwa 3 m hinunterzusteigen brauchen, während bei einem hochliegenden Haltepunkt 6 m zu erklimmen sind. Die von der Bahn beschriebene Kreislinie hat mit 40 m keinen kleineren Halbmesser, als er in Budapest anstandslos betrieben wird. Für den Abstieg von etwa 9,5 m stehen 380 m Länge zur Verfügung, so dass man mit der Neigung 1 : 40 auskommt. Das Zusammentreffen der starken Krümmung mit der Neigung 1 : 40 ist ja nicht gerade günstig, aber wohl kaum ungünstiger, als die bisher geplanten erheblich steileren Rampen in der Geraden und bei einer elektrischen Bahn jedenfalls kein Betriebshindernis. Die Verlängerung der Bahnlinie um etwa 250 m wird die Fahrzeit um ½ Minute verlängern, was selbst bei einem städtischen Verkehr als unwesentlich bezeichnet werden muss. Die Abbildung zeigt auch, wie die Gestaltung der Straßen zu denken ist. An den kurzen Fronten der Nord- und Südseite des Platzes wären die Vorgärten zu beseitigen, um die Straßen näher an die Häuser rücken zu können. Die Straßen behalten im Allgemeinen ihre jetzigen Breiten. Dass an den Stellen, wo jetzt übermäßige Breiten vorhanden sind, eine Einschränkung auf gleich breite Straßenzüge vorgesehen ist, dürfte für die Regelung des Verkehrs zum mindesten kein Nachteil sein. Namentlich lassen sich auch die Gleise der Straßenbahnen, welche in der Abbildung nicht wiedergegeben sind, bei den stumpfen Winkeln und den reichlichen Straßenbreiten anstandslos durchführen.
Es ist angenommen, dass der Raum rings um die Felsinsel bis zu dem umgrenzenden Fußwege mit Bäumen und Buschwerk bepflanzt wird, zwischen welchen an verschiedenen Stellen Fußsteige oder Grottenwege – je nach der Höhenlage der Bahn – auf die Höhe der Felsinsel führen, die durch Verteilung von Fels- und Baumgruppen, durch kleine Wasserfälle und dgl. malerisch gestaltet werden kann.
Schließlich sei die Kostenfrage kurz berührt. Gewisse Mehrkosten werden ja durch die Verlängerung der Linie um 250 m entstehen. Im Übrigen dürfte die Anlage eher weniger kosten als die jetzt geplante Rampe, da diese eine zweiseitige Verkleidung erfordert, und da die Ausfüllung des Kreisinneren durch Gestattung des Schuttabladens nahezu kostenlos erfolgen kann. Jedenfalls können Mehrkosten, die gegen eine solche Ausführung ausschlaggebend wären, wohl nicht in Frage kommen.
So sei denn der Hoffnung Raum gegeben, dass die elektrische Stadtbahn, statt einen der schönsten Plätze Berlins zu verunstalten, wie dies nach den bisherigen Entwürfen unausbleiblich sein würde, ihn im Gegenteil zu einer Zierde der Umgegend machen möge.
• Cauer.
Eisenbahn-Bau- und Betriebsinspektor.