VerkehrFernmeldewesen

Fernschrift

Plauderei von Hans Dominik

Die Woche • 28.12.1907

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

»Fernschrift«, werden die humanistisch gebildeten Leser sagen, »heißt auf griechisch Telegrafie. Telegrafie ist doch aber eine altbekannte Sache und kann uns wenig Neues bieten.«

Hier stimmt nun aber die wörtliche Übersetzung einmal nicht mit dem wörtlichen Sinn. Gewiss übermitteln auch unsere Telegrafen Botschaften aller Art wortgetreu in die Ferne. Dabei findet aber in jedem Fall eine Umschreibung statt. Der telegrafierende Beamte liest die Originaldepesche und drückt dann beispielsweise den Buchstaben dieser Depesche entsprechend auf die Buchstabentasten des Hughes-Apparates. Wenn er auf die A-Taste drückt, so typt der Apparat auf der Empfangsstation ebenfalls ein lateinisches A. Dabei ist es ganz egal, ob die Originaldepesche in zierlicher Damenhandschrift oder in ausgeschriebener Kaufmannshandschrift hergestellt war. An der Empfangsstation erhalten wir in jedem Fall eine ganz unpersönliche Typenschrift des Empfangsapparates. Wenn beispielsweise irgendein schwerer Junge eine kleine Scheckfälschung vorhat und im Besitz der nötigen Stichwörter ist, kann er sich selbst in der vertrauenswürdigsten Weise zur Präsentation des falschen Schecks anmelden, und kein Mensch wird es der Depesche ansehen, dass sie ebenfalls gefälscht ist. Wenn uns ein anderer Einbrecher seinen schätzbaren Besuch zugedacht hat und zu diesem Zweck ebenfalls den Tod irgendeines Nahestehenden telegrafiert, um uns zur bestimmten Zeit aus der Wohnung zu entfernen, so werden wir ebenfalls von dieser Fälschung keine Ahnung haben.

Solche und ähnliche Gründe haben schon seit Jahren den Wunsch rege werden lassen, neben dieser rein objektiven Telegrafie auch eine subjektive Art der Fernschreibung einzuführen, eine Fernschreibung, die nicht nur den Wortlaut der Botschaft, sondern auch die Originalschrift selbst mit all ihren Einzelheiten faksimilegetreu überträgt. Wir können diese Bestrebungen bis in die Anfangsjahre der Telegrafie selbst zurückverfolgen, wirklich gute Erfolge haben indes erst die letzten Jahre gezeitigt. Im Folgenden soll nun näher auf den Fernschreiber von Gustav Erzanna – System Licht­strahl­schrift – eingegangen werden, einen Apparat, der wohl die beste, zurzeit überhaupt existierende Lösung des Problems darstellt.

Gehen wir von der Bezeichnung ›Lichtstrahlschrift‹ aus. Unsere Aufgabe eines Fernschreibers wird beinah gelöst sein, wenn wir es vermögen, einen feinen Lichtstrahl auf der Empfangsstation zu genau den gleichen Bewegungen zu zwingen, die wir beispielsweise auf der Geberstation mit einem Bleistift auf einem Stück Papier ausführen. Wenn wir dann eben jenen Lichtstrahl auf der Empfängerstation in einen dunklen Kasten sperren, ihn hier seine Bewegungen auf einem Stück lichtempfindlichen fotografischen Papiers ausführen lassen und dies Papier nachher in bekannter Weise entwickeln, so müssen wir ja in der Tat genau die gleichen Linien, Figuren, Buchstaben usw. vor uns sehen, die wir auf der anderen Station mit einem Bleistift geschrieben haben.

Nun bietet die Elektrotechnik uns die Mittel, um solch einen seinen Lichtstrahl in hundert und mehr Kilometer Entfernung tatsächlich unserem Willen dienstbar zu machen. Dort befindet sich in der Empfängerstation eine kleine Glühlampe, deren Licht durch eine Blende und eine Linse zu einem haarfeinen Strahl gesammelt wird und nun erst auf einen kleinen Spiegel, dann auf einen zweiten Spiegel und endlich auf das lichtempfindliche Papier fällt. Solange die beiden Spiegelchen sich nicht bewegen, wird auch der Lichtstrahl ruhig bleiben. Tatsächlich aber werden diese Spiegel durch kleine Elektromagnete bewegt, und zwar bewirkt die Bewegung des einen Spiegels eine Verrückung des Lichtstrahls von oben nach unten, die Bewegung des anderen Spiegels eine solche von rechts nach links. Bewegen sich beide Spiegel gleichzeitig, so wird der Lichtstrahl auf dem lichtempfindlichen Papier irgendeine krumme oder schräge Linie beschreiben, die von der Bewegung der Spiegel abhängig ist. Auf der Geberstation haben wir nun tatsächlich einen Bleistift, aber dieser Bleistift ist nicht frei. Dicht über seiner Schreibspitze ist gelenkig eine leichte Metallstange befestigt. Diese ist an ihrem anderen Ende drehbar mit dem Apparat verbunden, und sie kann ferner, ähnlich wie ein Teleskop, in die Länge gezogen oder zusammengeschoben werden. So können wir also mit unserer Bleistiftspitze jeden Punkt auf dem Papier erreichen. Durch Ausziehen oder Zusammenschieben der Stange können wir beliebig von rechts nach links, durch ihre Drehung beliebig nach oben oder unten gelangen und das Blatt Papier nach Wunsch mit Schriftzeichen oder Skizzen bedecken. Während wir aber derart schreiben oder zeichnen, tun wir, ohne es zu wissen, gleichzeitig noch etwas anderes. Jene Metallstange ist nämlich ein feiner Doppelschalter. Durch ihre Drehung schalten wir an einem Widerstand herum, durch ihre Verlängerung oder Verkürzung an einem anderen. Durch diese beiden Widerstände aber fließen Ströme, die zu den Elektromagneten der beiden Spiegel auf der Empfängerstation führen. Entsprechend der Veränderung der Widerstände schwanken nun die Stromstärken dieser beiden Ströme und schwanken weiter auch die Spiegel. Der Lichtstrahl aber tut unter dem Einfluss dieser Spiegelbewegungen genau das Gleiche, was wir mit der Bleistiftspitze machten: er malt getreulich die gleichen Buchstaben und Bilder, die wir auf unserer Station auf das weiße Papier zeichneten, hundert und mehr Kilometer von uns entfernt in seinem dunklen Kasten auf das lichtempfindliche Papier.

Jetzt sind wir mit unserer Malerei fertig, heben den Bleistift vom Papier ab und legen ihn auf eine besondere Halteklemme. Dadurch geben wir einen neuen Stromimpuls auf der Empfängerstation beginnt ein Motor zu arbeiten, das lichtempfindliche Papier wird ganz selbsttätig durch ein Entwicklerbad gezogen und erscheint nach 5 Sekunden mit den faksimilegetreuen Schriftzügen.

Der ganze sinnreiche Apparat ist nur wenig umfangreicher als eins der gebräuchlichen Tischtelefone und zeigt endlich einen Umstand von ganz besonderer Wichtigkeit, dass man nämlich auf derselben Doppelleitung gleichzeitig telefonieren und fernschreiben kann. Gerade dadurch aber verspricht der Apparat, besonders wertvoll zu werden. Wir können beispielsweise ein Telefongespräch mit irgendeinem Geschäftsfreund beginnen und können während der Besprechungen fortwährend schriftliche Nachrichten austauschen, wobei jeder der beiden Korrespondierenden seine eigenen Notizen im Original und die schriftlichen Mitteilungen des Kontrahenten sofort im Faksimile besitzt. Wir können auf diese Weise sogar rechtlich bindende Verträge abschließen, indem jeder der beiden Kontrahenten durch Hinzufügung seiner eigenen Unterschrift in den Besitz eines beiderseitig vollzogenen Exemplars gelangt.

Durch vierzehntägige Versuche auf der staatlichen Telefonleitung Berlin-Dresden (etwa 200 Kilometer) sind recht befriedigende Resultate mit diesem Apparat erzielt worden, und es wäre wohl zu wünschen, dass er ähnlich wie das Telefon und auf Wunsch in Verbindung mit diesem zur allgemeinen Einführung durch die Post gelangte. Leider hat unsere Reichspost zurzeit noch derartig mit den Umbauschwierigkeiten für das neue Fernsprechsystem zu kämpfen, dass eine baldige Einführung des Fernschreibers in den öffentlichen Dienst nicht wahrscheinlich ist. Ob ein Stephan* *) Heinrich von Stephan (1831 – 1897) war Deutschlands erster Postminister, Mitbegründer des Weltpostvereins und sorgte dafür, dass sich das Telefon durchsetzte. nicht trotz solcher Schwierigkeiten sofort zugegriffen hätte, soll hier nicht näher untersucht werden. In jedem Falle bleibt der Apparat auch für große Privatbetriebe, wie Banken, industrielle Etablissements und dergleichen, ein wertvolles Hilfsmittel. Er gestattet es z. B., einen zu Bruch gegangenen Maschinenteil in schnellster und alle Missverständnisse ausschließender Weise durch Übersendung einer Skizze zu bestellen. Er ermöglicht im Bankbetrieb die Nachprüfung von Zahlungsanweisungen und dergleichen, und er kann auch für militärische Zwecke zur schnellen Übermittlung von Krokis und dergleichen gute Dienste leisten. Es wäre wohl zu wünschen, dass der geistvolle Apparat eine seiner Leistungsfähigkeit entsprechende Anwendung findet.

Entnommen aus dem Buch:
Der Ingenieur Hans Dominik (1872 – 1945) ist vor allem durch seine technisch-utopischen Romane bekanntgeworden. Dominik war aber in erster Linie Wissenschaftsjournalist und verfasste zahlreiche populärwissenschaftliche Beiträge für verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen. Dabei brachte er im lockeren Plauderton dem interessierten Laien wissenschaftliche Grundlagen und neue technische Errungenschaften näher. Dieses Buch versammelt eine repräsentative Auswahl seiner wissenschaftlichen und technischen Plaudereien.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 116 Seiten | ISBN: 978-3-7597-8354-7

• Auf epilog.de am 5. April 2025 veröffentlicht

Reklame