Handel & Industrie – Lebensmittelproduktion
Die Fabrikation des Champagners
Die Abendschule • 5.8.1881
Bis ins früheste Geschichtsalter reichen der Anbau des Weinstocks und der Genuss des Weins. Die Behandlung der Weine zum Export datiert jedoch aus der neueren Zeit, und den Franzosen gebührt hauptsächlich das Verdienst, zuerst einen Wein für den Export geschaffen zu haben. Unter den verschiedenen Sorten, mit welchen ein ergiebiger Exporthandel getrieben wird, nimmt der Champagner den ersten Rang ein.
Bei Gärung geistiger Getränke bildet sich, wie bekannt, Kohlensäure, welche sofort bei ihrer Entstehung entweicht, daher sind bei der Fabrikation der Champagner-Weine besondere Manipulationen nötig, um die sich entwickelnde Kohlensäure so viel wie möglich an den Wein zu binden. Es wird den Lesern nicht uninteressant sein, über das Verfahren bei der Herstellung des Champagners, wie auch über die in neuerer Zeit angelegten Flaschenkeller zu Reims etwas zu erfahren.
Wie schon der Name anzeigt, stammt dieser Wein aus der Champagne, in der sich besonders Reims, Epernay, Sillery und Châlons sur Marne durch ihre Fabrikate einen Weltruf verschafft haben.
Der Wein-Distrikt, eine von sanften Talwellen durchzogene Ebene, deren Abhänge günstig nach Osten und Süden gekehrt sind, ist nichts weniger als schön, ja die weite unabsehbare Fläche wird nach der Weinlese unerträglich langweilig; man sieht nur hie und da einige verkümmerte Bäume, denn unerbittlich wird alles, was irgend einen Schatten wirft und den Reben die Sonnenstrahlen rauben könnte, vernichtet. Der ganze Distrikt befindet sich zum größten Teil im Besitz kleiner Weinbauern, die ihre Erzeugnisse den großen Fabriken abgeben, da die Herstellung des Champagners nur in Masse betrieben werden kann.
In den kreidehaltigen Hügeln von Epernay, Châlons, Reims ziehen sich meilenweit die für die Champagner-Fabrikation so günstigen Lagerkeller. Namentlich Reims ist an solchen Kellern reich. Wir glauben unseren Lesern ein lehrreiches Vergnügen zu bereiten, wenn wir einige Notizen über dieselben geben, die für alle Keller der Champagner fabrizierenden Firmen passen.
Ähnlich den Katakomben in Paris ziehen sich in den Kreidehügeln weithin unterirdische Gänge, die wahrscheinlich dadurch entstanden sind, dass Kreidesteine überall in der Champagne zum Häuserbau vorgezogen wurden. Besonders bestanden solche unterirdische Gänge bei Reims und blieben lange unbenützt, bis es einem Herrn Goulet einfiel, den Schutt, welcher ihren Eingang versperrte, wegräumen und Schächte von der Oberfläche hinuntertreiben zu lassen, welche den Gängen Licht zuführen sollten. Jetzt hat dieses Haus 50 solche Keller, von denen einige über 100 000 Flaschen lagern haben.
Der die Feuchtigkeit aufsaugende feste Kreideboden gibt dem Keller Trockenheit und Reinlichkeit; die gleichmäßige Temperatur und gute Lüftung hat einen wohltuenden Einfluss auf die Gärung des Weins in Flaschen, sowie auch auf die Gesundheit der unterirdisch schaffenden Arbeiter.
Die Gewinnung des Mostes, welcher die Grundlage des Champagners bildet, geschieht in derselben Weise, wie bei den gewöhnlichen Weinen. Je nach den wiederholten Pressungen der Beere liefert der Most verschiedene Weinsorten. Die ersten drei Pressungen werden zu Champagner, die gewöhnlich noch folgenden zwei Erschöpfungen der Beere zu gewöhnlichen Tischweinen benützt. Der Wein wird in große Fässer gezogen, wo er ein Gärungsstadium durchzumachen hat. Wenn man diesem ersten Gärungsprozess nicht die größte Aufmerksamkeit und Sorgfalt zuwendet, ist der schäumende Champagner für immer verdorben. Gewöhnlich bleiben dann die Fässer drei Monate lang unberührt liegen, bis die eintretenden Fröste der Gärung ein Ende gemacht haben. Der Wein wird mit Hilfe der immer teurer werdenden Hausenblase geklärt, die aber stets mit großer Sorgfalt durch eine genügende Quantität Wein verdünnt werden muss, bevor sie in die Fässer geschüttet wird. Sollte jedoch der Wein sich widerspenstig erweisen, so muss diese Operation aufs neue gemacht werden; selten ist es notwendig, ein drittes Mal dazu zu schreiten.
Wenn der Wein gut geklärt ist, so wird er in Flaschen abgezogen, und da die Gärung des Weins im Fass noch nicht beendet ist und erst eigentlich in den Flaschen vor sich geht, muss der Fabrikant, um durch das Zerspringen vieler Flaschen nicht sehr geschädigt zu werden, dieselben vorher durch Druck-Pumpen prüfen lassen.
Trotzdem zerspringt durch die bei der Gärung sich entwickelnde Kohlensäure noch eine große Anzahl Flaschen, die in der Regel nicht unter 8 % beträgt. Es ist schon bei Fabrikanten, die schlechte Keller besitzen, vorgekommen, dass der durch das Zerspringen von Flaschen entstandene Verlust bis 50 % anwuchs. Übrigens wird der von den zerbrochenen Flaschen ablaufende Wein so viel wie möglich durch untergestellte Behälter gesammelt, und von neuen allerdings geringeren Sorten aufgefüllt. Die gefüllten Flaschen werden mauerartig aufgestapelt, und zwar so, dass die Hälse sich ineinanderfügen und jede einzelne Flasche leicht herabgenommen werden kann.
Hat die Gärung in den Flaschen den erforderlichen Grad erreicht, so werden dieselben abgestapelt und jede für sich tüchtig geschüttelt, um die an den Wänden haftenden Niederschläge abzulösen. Hierauf werden sie in pultartige Gestelle von ziemlich steiler Neigung mit dem Kopf nach unten aufgestellt und täglich zweimal geschüttelt, wodurch sich alle Unreinlichkeiten auf den Pfropfen ablagern. Nach etwa drei Wochen nimmt ein Arbeiter, der ›Degorger‹, die Flasche von dem Gestell, schwenkt sie mit geschickter Handbewegung nach dem Pfropfen zu und schlägt letzteren rasch hinweg, indem er den Hals der Flasche in ein seitwärts geöffnetes Fass hält, wobei die heftig entweichende Kohlensäure alle angesammelten Unreinlichkeiten mit sich fortschleudert.
Diese Manipulation erfordert große Geschicklichkeit, da mit der Entfernung des Niederschlages nur wenig Wein verloren gehen darf. Um in dem Wein die verlorene Kohlensäure zu ersetzen und ihm die nötige Süßigkeit zu geben, setzt man ihm nun die erforderliche Quantität Liqueur zu, eine Auflösung von Kandis-Zucker in derselben Sorte Wein.
Der Zusatz von Liqueur richtet sich ganz darnach, für welches Land der Wein vornehmlich bestimmt ist; so lieben die Russen süße und alkoholreiche Weine, die Deutschen weniger süße, während die Engländer einen herben Champagner vorziehen. Bevor jedoch der ›Opereur‹ den Liqueur zusetzt (eine Manipulation, welche mit dem Namen ›Dosieren‹ bezeichnet wird), gießt der ›Chopineur‹ so viel von dem Wein ab, als der Liqueur an Raum beansprucht. Nun bekommt der ›Boucheur‹ die Flasche, die er mit einem vorher präparierten Kork verschließt, worauf der ›Ficeleur‹ einen Bindfaden und schließlich noch einen Draht um den Kork legt und letzteren damit an den Hals der Flasche befestigt. Endlich wird der Kopf mit Stanniol oder Lack überzogen, die Flasche mit einer Etikette versehen, und der Champagner ist zum Export bereit. Zum Verkorken und Verschließen der Champagner-Flaschen benutzt man eigens dazu konstruierte Maschinen.
Die Champagner-Fabrikation wird in neuerer Zeit auch anderswo erfolgreich betrieben, so bringen die Fabriken zu Retz und Graz wie auch am Rhein und Main ziemlich gute Produkte auf den Markt. Allerdings erreichen diese Champagner noch nicht den französischen; wenn aber deutsche Fabrikanten alle Einrichtungen nach französischem Muster einführen, so darf man mit Sicherheit annehmen, dass der deutsche Champagner bald dem französischen an die Seite zu stellen sein wird.
Außer dem erwähnten Schaumwein stellt man auch wohlfeile, imitierte Champagner her, die häufig für echte verkauft werden. Man treibt zu diesem Zwecke kohlensaures Gas durch Druckapparate, wie sie zur Fabrikation von Sodawasser dienen, in billige Weine und versetzt sie mit versüßtem Cognac. Indessen ist der Geschmack solcher Schaumweine nicht fein, und die Nachwehen lassen nur zu oft den Genuss derselben bereuen.