Handel & IndustrieFabrikation

Die Fabrikation der Eisenbahnschienen

Das Buch für Alle • 1869

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Unter den Großwerkstätten der Gegenwart gewährt kaum eine einen solch tiefen Eindruck und einen solchen Einblick in die gewaltigen Errungenschaften des Menschengeistes in der neueren Zeit, als die Besichtigung eines großen Hüttenwerks, wo Hochöfen, Frischfeuer, Puddelöfen, Gießwerke u. dgl. mit Streck- und Walzwerken verbunden sind. Nirgends sieht man deutlicher und überzeugender den riesigen Aufschwung, welchen die Dampfkraft der gesamten menschlichen Tätigkeit gegeben hat, als in solchen Etablissements. Selbst die gewaltigsten Wasserkräfte, von den vollkommensten Turbinen ausgenützt, wären niemals im Stande gewesen, die Resultate zu erzielen, welche man mit der verhältnismäßig wohlfeilen, tausendfältig anwendbaren und auszunützenden und in jedem Umfang herzustellenden Dampfkraft hervorbringen kann. Dampfkraft fördert Erz und Kohle aus den Tiefen der Erde und schafft sie an den Fuß des Hochofens, zerbricht das Erz, den Kalk, hebt sie zur Gicht empor, von wo der Ofen beschickt wird; Dampf treibt das Gebläse, welches den Ofen speist und im Gange erhält; Dampf bewegt die gewaltigen Hämmer, welche die weißglühenden Luppen des Roheisens in schmiedbares Eisen verwandeln; Dampf bewegt die Kreissägen, welche das gewonnene Stabeisen in die gewünschte Länge schneiden, und Dampf ist somit unentbehrlich, um die Schienen herzustellen, auf denen das Dampfross seine Lasten von Land zu Land, von Stadt zu Stadt zieht und die fernsten Zonen einander näher bringt.

Nichts aber gewährt einen so interessanten Einzelanblick in einem derartigen Hüttenwerke, als der Prozess des Streckens und Auswalzens der Eisenbahnschienen, welche in solchen Werken betrieben wird, wie z. B. in dem in jeder Hinsicht so sehenswerten Hüttenwerke Wasseralfingen, das eines der großartigsten Staatsgewerke auf dem ganzen europäischen Festland bildet. Das Roheisen, wie es vom Hochofen kommt, ist noch lange nicht rein und raffiniert genug zum Ausschmieden oder Strecken; es enthält noch zu viel Kohlenstoff, welcher es grobbrüchig und spröde machen würde. Man bringt daher die großen Klumpen des gewonnenen Roheisens, die sogenannten Luppen, noch mehrmals ins Feuer, erhitzt sie beinahe zur Weißglühhitze und setzt sie dann dem Dampfhammer aus, welcher sie nach allen Richtungen behämmert, ihnen ein dichteres Gefüge gibt und sie von Kohlenstoff reinigt, welcher in gewaltigen Funkenmassen davon abfällt. Ist dieser Prozess mehrfach wiederholt und eine solche Luppe von mehreren Zentnern etwa auf zwei Drittel ihres Volumens reduziert worden, so wird die wiederum weißglühende Luppe auf ein System von Walzen gebracht, welche sie in die Gestalt eines langen Stabes ausstrecken.

Es gewährt einen ebenso überraschenden als aufregenden und interessanten Anblick, die Sicherheit und Gewandtheit zu sehen, mit welcher diese Luppen von den Arbeitern auf das Streckwerk aufgegeben, in Gestalt von Stäben jenseits der Walze in Empfang genommen und wieder drüben aufgegeben werden, so dass sie ohne Zeitverlust, nachdem sie drei- bis viermal die Walzen passiert haben, als fertige Eisenbahnschienen von dem gewünschten Durchschnitt in Empfang genommen und im Trab noch rotglühend auf eine aus dem Boden ragende Zirkularsäge gebracht werden, welche die gequetschten Enden abschneidet und der Schiene die gewünschte Länge gibt.

Walzen der Eisenbahn-SchienenDas Walzen der Eisenbahn-Schienen.

Ist es nun schon ganz erstaunlich mit anzusehen, mit welcher Schnelligkeit und Bildsamkeit der soeben noch formlose und weißglühende, helle Funken sprühende Eisenklumpen unter dem riesigen Druck der Walze sich geschmeidig in immer längere und dünnere Stäbe verwandelt, die gleichsam von den Streckwalzen ausgespien wurden, so dass man eher an jeden anderen Stoff als an das starre Eisen dachte, so gewährt es ein noch weit interessanteres und wirklich aufregendes Schauspiel, wenn man sieht, mit welcher Behändigkeit eine solche Zirkularsäge in wenigen Minuten die glühende Schiene durchschneidet und dabei eine prachtvolle Garbe leuchtender, in allen Nuancen von Roth sprühender Funken hoch emporschleudert, wie wir es in der rechten unteren Ecke unseres Bildes sehen, – ein Feuerwerk, dessen wilde Schönheit und Wucht der genialste Feuerwerker niemals hervorzubringen vermöchte.

Wie interessant der Betrieb eines Hochofens mit dem Abstich desselben und dem Guss großer Stücke auch sein mag, die Tätigkeit eines solchen Schienenwalzwerks hat uns doch immer einen noch imposanteren Eindruck gewährt.

• Auf epilog.de am 12. Oktober 2024 veröffentlicht

Reklame