Handel & IndustrieFabrikation

Die Fabrik für Eisenbahnausrüstung

von François Pauwels in Brüssel

Die Gartenlaube • 1858

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Zu den bedeutendsten industriellen Etablissements in Belgien gehört unstreitig die vor dem Brüsseler Ninove Tor in der Vorstadt gleichen Namens gelegene Pauwelsche Fabrik für Anfertigung aller wesentlichen, die Eisenbahnen betreffenden Materialien aus Holz und Eisen, als Wagen, Schienen, Brücken usw., doch sind im Ganzen keinerlei Werke, die aus jenen beiden Stoffen gefertigt werden, ausgeschlossen, so dass eine Aufzählung aller Produkte, die aus dieser großen Werkstätte des Gewerbefleißes hervorgehen, beinahe eben so unmöglich als überflüssig sein würde. Wie vielfach aber ihre Tätigkeit und weit verbreitet ihr Name ist, erschließt sich schon daraus, dass in dieser Fabrik vollständige Blockhäuser aus Eisen für Kalifornien zumeist und andere Länder Amerikas gearbeitet werden, dass hier vor kurzer Zeit für den Herzog von Aremberg ein eisernes Gewächshaus vollendet ward und der Zar von Russland, so wie der junge König von Portugal ihre eigenen Staatswagen, wie sie auf Eisenbahnen dienen sollen, hier fertigen ließen. Diese Fabrik mit ihren weiten Hofräumen, ausgedehnten Werkstätten und sonstigen Gebäuden nimmt aber auch einen Flächenraum ein, der mindestens zweimal so groß ist, als der des großen Brüsseler Marktes; 1000 Arbeiter sind hier täglich beschäftigt, mit Hilfe von 75 Maschinen aller Art Werke auszuführen, die das stets sich steigernde Bedürfnis ihnen aufträgt, während die Zahl der außerhalb der Fabrik für dieselbe tätigen Arbeiter auf 4000 wenigstens anzuschlagen ist.

Fabrik für EisenbahnausrüstungDie Fabrik für Eisenbahnausrüstung von Francois Pauwels in Brüssel.

Doch beschauen wir jetzt die Einzelheiten selbst. Im Innern des Hofraums finden wir zuerst einen höchst geräumigen Schuppen für feine und geschnittene Hölzer, dann den Gasapparat, der der Fabrik selbst eigen ist und dessen Gasometer die für das Ganze nötigen 1000 Flammen liefert. Von hier aus wenden wir uns links nach der Holzwerkstätte in dem ersten Hauptgebäude der Fabrik; hier finden wir zuerst 150 – 200 Arbeiter, eingeteilt in drei verschiedene Klassen: Modellmacher, Stellmacher und Möbelschreiner, die der Natur ihrer Beschäftigungen nach ein zusammengehöriges Ganzes bilden und bei ihren Arbeiten von sieben Scheibensägen, einer sechsblätterigen Säge, einer Stechmaschine, einer Bohrmaschine, zwei Hobelmaschinen und einer Garnierbank bedient werden; alle diese Maschinen setzt eine horizontale 20 PS-Dampfmaschine in Bewegung. An diese Werkstatt grenzt die der Wagenlackierer, deren Zahl ungefähr 50 beträgt, während die der Wagentapezierer, die im oberen Geschoss arbeiten, nur auf 20 anzusetzen ist.

Die rechte Seite desselben Gebäudes bildet eine Eisendrechslerwerkstatt, wie sie wohl vollständiger kaum mehr anzutreffen sein möchte; eine Pyramidalmaschine von 25 PS treibt an mehr als 40 Bänke, zur verschiedenartigsten Bearbeitung des Eisens bestimmt, wie 20 Eisendrehbänke, unterschieden in Zylinderdrehbänke, Räderdrehbänke und Filtrierbänke; hierauf vier Hobelbänke, eine Fräsmaschine, 15 Bohrmaschinen verschiedener Systeme, zehn Schraubschneidemaschinen, endlich, als das Sehenswürdigste, die neue ›presse à bascule‹, welche die Räder an die Achse setzt und einen Druck von 40 Tonnen ausübt. Zum eigenen Behufe der hier auszuführenden Arbeiten besteht noch im oberen Geschoss eine Holzdrechslerwerkstatt, worin aus Holz, Elfenbein und Horn die für Wagen nötigen Materialien geliefert werden. Aus dem Eisenatelier gelangen wir zu verschiedenen Schmieden, unterhalten von sechs Gebläsen, die durch eine horizontale 20 PS-Dampfmaschine in Bewegung gesetzt werden; es sind hier im Ganzen 40 Essen und daran durchschnittlich 100 Mann beschäftigt. Sehr zu bemerken sind hier die vier sogenannten Dampfhämmer, die durch ihren eigenen Dampf getrieben werden und von denen zwei 500 kg schwer sind; im Raum zwischen den zwei Reihen bildenden Schmieden beachten wir sechs große Öfen, zur Bearbeitung von Eisenrädern bestimmt.

Endlich haben wir noch die neben diesem ersten Hauptgebäude der Fabrik liegende Eisengießerei zu beachten, in der schon kolossale Stücke von einer Tonne gegossen worden sind und zu welcher die schweren Kessel auf einer besonders erbauten Eisenbahn geführt werden.

Im zweiten Hauptgebäude der Fabrik werden im linken Flügel die Wagen zusammengesetzt und in Ordnung aufgestellt, im rechten geschieht dasselbe mit den für Zuckersiedereien oder anderen Beruf bestimmten Kesseln und großen Baustücken, wie eisernen Gebäuden usw. Auf diese Räume folgt wiederum eine Schmiede, die ebenfalls von einer eigenen Maschine bedient wird, und in der mit Hilfe großer Öfen die Wagenfedern gehärtet und gebogen werden. Zu diesem Ende wendet man verschiedene Pressen, einige Bohrmaschinen und Planierhämmer an. Treten wir jetzt aus diesem zweiten Gebäude heraus, so haben wir einen zweiten großen Holzplatz vor uns, auf dem von durchschnittlich 24 Arbeitern die Bäume aus dem Groben gesägt werden; links bemerken wir einen gewaltigen Wagenschuppen, in dem Hunderte von Wagen zum Abholen bereitstehen, und endlich finden wir jenseits des Holzplatzes noch eine Gelbgießerei und Feilenhauerei, in welcher letzterer durchschnittlich zehn Mann beschäftigt sind.

So viel wird hinreichen, um nach diesen allgemeinen Angaben sich eine Vorstellung von der Ausdehnung dieser Pauwelschen Fabrik machen zu können. Noch mögen einige weitere Bemerkungen hinzugefügt werden. Von den Arbeitern arbeiten höchstens 100 auf Tagelohn, alle anderen auf Stück; die Löhne werden monatlich ausgezahlt; von je einem Franken wird ein Cent abgezogen zur Unterhaltung der Krankenkasse, wodurch gesorgt wird, dass dem Arbeiter in Krankheitsfällen ärztliche Behandlung und Medizin unentgeltlich geboten werden, und er noch außerdem etwas mehr, als die Hälfte seines Tagelohns, beziehen kann. Der Betrag der Löhne ist natürlich nach den Arbeitern sehr verschieden: Schmiede verdienen von 3 – 10 Franken*, *) Eine Umrechnung in heutige Kaufkraft ist nur mit großen Ungenauigkeiten möglich. Der Monatslohn eines einfachen Arbeiters betrug 1860 durchschnittlich rund 1000 € in heutiger Kaufkraft. Facharbeiter wie z. B. Schmiede erhielten aber mehr als das Doppelte. Drechsler von 2 – 7, Bankarbeiter von 2 – 6, Gelbgießer von 2 – 7, Kupfergießer dasselbe, Wappenzeichner bis über 10 Franken, Tapezierer von 2 – 5, Modellmacher, Schreiner und alle Maschinenarbeiter bis 4 Franken. Die Verwaltung der Geschäfte ist in den Händen von rund 20 Bürobeamten, welche zunächst mit den Ober- und Unterwerkmeistern zu verkehren haben. An der Spitze der Verwaltung befindet sich François Pauwels, doch ist derselbe seit einigen Jahren nicht mehr Haupteigentümer der Fabrik, die vor 20 Jahren durch ihn erst im kleinsten Maßstab begründet ward, aber in kurzer Zeit durch seine Tätigkeit, Gewandtheit und talentvolle Leitung zu hoher Bedeutung sich erhob, sondern nur noch eingesetzter Beamter der Aktiengesellschaft, an welche die Fabrik übergegangen ist, und zu deren hauptsächlichsten Mitgliedern er durch Beschießung eines großen Teils seines Vermögens mit Recht zählt. Das Stammkapital dieses großen Unternehmens beträgt 10 Mill. Franken.

Entnommen aus dem Buch:
Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ersetzten Dampfmaschinen zunehmend die Muskelkraft und ermöglichten eine zunehmende Mechanisierung der bis dahin handwerklich geprägten Güterproduktion. Der Abbau von Handelshemmnissen und neue Verkehrswege eröffneten überregionale Märkte, immer mehr Produkte mussten immer schneller und billiger produziert werden. Arbeitsteilung und Spezialisierung veränderten ganze Wirtschaftszweige. Die historischen Originalbeiträge und Abbildungen in diesem Buch geben einen unverfälschten Einblick in die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 106 Seiten | ISBN: 978-3-7583-0344-9

• Auf epilog.de am 11. September 2024 veröffentlicht

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