Verkehr – Transport
Die Erschließung der nordargentinischen Kordilleren mittels einer Bleichertschen Drahtseilbahn für Güter und Personen
Von Oberingenieur G. Dieterich
Verein Deutscher Ingenieure • 3.11.1906
Von den Ländern der südlichen Halbkugel berechtigt Argentinien zu den höchsten Erwartungen in Bezug auf seine wirtschaftliche Zukunft. Nicht allein, dass es am meisten Getreide, am meisten Vieh hervorbringt, auch auf dem Gebiete der Technik, der Industrie scheint es bestimmt zu sein, eine führende Rolle zu spielen.
Es ist wohl bekannt, dass in den weiten Gebirgsgegenden besonders des Nordens von Argentinien ungeheure Metallschätze lagern, Metallmassen, wie sie an keinem anderen Punkte der Welt beisammen sind; aber gehoben sind diese Schätze erst zu einem verschwindend kleinen Teil, vielleicht erst zu dem Bruchteil eines Prozents. Das ist ja auch nicht verwunderlich, wenn man sich die Schwierigkeiten vor Augen führt, welche die Entfernungen und die Arbeiterfrage in diesem Lande bereiten.

Die Republik Argentinien ist mit beinahe 3 000 000 km³ über fünfmal so groß wie Deutschland und hat demgegenüber kaum 6 Millionen Einwohner, also nur den zehnten Teil des Deutschen Reiches. Während das gesamte Eisenbahnnetz Argentiniens (Abb. 1) 16 – 17 000 km umfasst, hat Deutschland rd. 56 000 km Bahnlinien. Diese Zahlen lassen deutlich erkennen, welcher Entwicklung der südamerikanische Staat noch fähig ist.
Es sind namentlich wertvolle Erze, außer Eisenerzen Kupfer-, Silber- und Golderze, die in den nördlichen Gegenden Argentiniens, in den nach Chile hin abgrenzenden Kordilleren, mächtige Lager bilden, insbesondere Kupferlager, die schon von den Ureinwohnern Chiles ausgebeutet wurden, also seit Jahrtausenden bekannt sind, und die, obwohl aus ihnen schon ungeheure Mengen des wertvollen Erzes entnommen worden sind, kaum eine Spur von Abbau aufweisen.
Fast alle bisherigen Regierungen Argentiniens – und es sind deren nicht wenige – haben es eine ihrer Hauptsorgen seinlassen, die nördlichen Provinzen, namentlich die Provinz Rioja, wirtschaftlich zu erschließen und die am Gebirgsabhang liegenden Famatina-Gruben an das nach mancherlei Schwierigkeiten nach Chilecito fortgeführte Eisenbahnnetz anzuschließen. Aber lange kam man zu keinem greifbaren Ergebnis. Vor Chilecito, das ungefähr 1100 m hoch liegt, baut sich als unübersteigliche Mauer die ganze Kette der Anden auf, die sich stellenweise über 7000 m erheben. Jeder Versuch, dieses Gebirge, das mit zu den wildesten der Erde zählt, durch einen Schienenstrang mit der übrigen Welt in Verbindung zu bringen, scheidet von vornherein aus wegen der gewaltigen Kosten, die ein solches Unternehmen fordert. Wäre es eines jener zahmen Gebirge, wie wir sie in Europa gewöhnt sind, mit langgestreckten Tälern oder fast regelmäßigen Höhenzügen, so hätten diese Bestrebungen der früheren Regierungen Argentiniens vielleicht zu einem Ziel geführt. So aber zeigt das Gebirge wilde, regellose Zerklüftung; riesige Erhebungen wechseln mit kurzen, kessel- oder schluchtartigen Tälern, die nach allen Seiten von fast senkrechten Wänden eingeschlossen sind; das Ganze bietet ein wüstes Bild von Unzugänglichkeit und Zerrissenheit. Man musste sich wohl oder übel davon überzeugen, dass für eine mit dem Boden verbundene Schieneneisenbahn, die verlangt, dass man ihr zuliebe die natürlichen Verhältnisse ändert, dass man gewissermaßen die Natur der Bahn anpasst, indem man ihr durch Tunnel und Brücken eine gleichmäßige Oberflächenform darbietet, hier kein Platz sei, dass das einzige Mittel nur darin gefunden werden könne, ohne Rücksicht auf die Gestaltung des Geländes mittels einer Schwebebahn über Schluchten und Höhen hinwegzugehen. Es konnte dies natürlich, der Entwicklung der Technik entsprechend, nur eine Drahtseilbahn sein, die ja in sich selbst Brücke und Damm, Fahrgleis und Tragkonstruktion und dadurch von der Bodengestaltung fast ganz unabhängig ist.
Die Eisenbahn nach Chilecito, dem westlichsten Punkt der argentinischen Bahn (Abb. 1) wurde erst im Jahr 1899 vollendet. Sie bildet eine unmittelbare Verbindung dieses Ortes mit Buenos Aires, das ja bekanntermaßen einen der besten Häfen der Welt besitzt, wie überhaupt die Küstengestaltung Argentiniens für große Hafenanlagen nicht günstiger sein kann. Liegt doch Rosario, bis zu welcher Stadt Schiffe von größtem Tiefgang hinauffahren können, etwa 500 km von der Küste entfernt, d. h. mit deutschen Verhältnissen verglichen, etwa wie Dresden zur Nordsee.
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