Eisenbahnstadt Berlin

Die Erleuchtung der Bahnhofs-Halle des Königlichen Ostbahnhofes in Berlin durch elektrisches Licht

Deutsche Bauzeitung • 12.7.1879

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Der Verkehr des infolge Umbaues zeitweise geschlossenen Bahnhofs der Niederschlesisch-Märkische Eisenbahn hat, voraussichtlich für die Zeit vom September 1879 bis März 1880, dem Ostbahnhof zugewiesen werden müssen, so dass dieser neben den Zügen der Ostbahn sämtliche Züge erst genannter Bahn einschließlich der Züge der Ringbahn aufzunehmen hat.

Königlicher Ostbahnhof

Wenn für diesen Zweck auch eine Änderung der Gleise zur Ausführung kam, so blieb doch die Anlage gegenüber dem zu bewältigenden Verkehr beschränkt, und es musste für die Sicherheit der Verkehrs- und Betriebsverhältnisse als ein unabweisbares Erfordernis gelten, eine möglichst vollkommene Beleuchtung der Halle herzustellen.

Die bisher vorhandenen zwei Seitenperrons hätten durch die an den Wänden angebrachten Gasflammen, der neu angelegte schmale Mittelperron und die zwischen den Perrons befindlichen Gleise indessen nur durch von dem Dachscheitel herab hängende Gaskronen genügende Beleuchtung erhalten können. Da die Anlage und Unterhaltungs-Kosten für die erforderliche bedeutende Vermehrung der Flammen sehr erheblich gewesen sein würden und der Erfolg demnach ein zweifelhafter geblieben wäre, so wurde die Beleuchtung mit elektrischem Licht in Erwägung gezogen und es ist dieselbe nach günstiger Erledigung der Vorfragen durch die Firma Siemens & Halske zur Ausführung gebracht worden.

Das angewendete System ist das der gedachten Firma neu patentierte, welches geteiltes elektrisches Licht unter Anwendung der v. Hefner-Alten­eck­schen sogenannten Differential-Lampen und Maschinen zur Erzeugung von Wechselstrom herstellt. Die Vorzüge dieses Systems gegenüber dem System Jablochkoff, des einzigen, welches bisher ebenfalls geteiltes elektrisches Licht mit Erfolg erzeugt hat, bestehen in:

  1. Sicherheit gegen das zufällige Erlöschen, welche bei der Kerzenbeleuchtung niemals vollständig zu erreichen war und
  2. einfacherer Montage und Bedienung durch den Wegfall der Umschalter und Drahtverbindungen, welche zur Auswechselung der abgebrannten Kerzen nötig waren.

Da die erhöhten Ansprüche am Ostbahnhof nur während einer beschränkten Zeitdauer (ca. 7 Monate) gestellt werden sollten, so konnte selbstredend die Beleuchtungs-Einrichtung nur in provisorischer Weise zur Ausführung gelangen und es musste insbesondere auch, weil eben nur geringe Zeit für die Fertigstellung zu verfügen war, eine Maschine benutzt werden, wie sie gerade in der Fabrik von Siemens & Halske disponibel war.

Königlicher Ostbahnhof

Es kam sonach eine ursprünglich für militärische Zwecke konstruierte ambulante Maschineneinrichtung in Anwendung, bestehend aus einem im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit außerordentlich kleinen 10 PS-Lokomobile von Borsig, welches mit den elektrischen Maschinen zusammen auf einem fahrbaren Gestell montiert ist. Die Maschine ist ca. 50 m vom offenen Ende der Bahnhofshalle in einem kleinen Schuppen aufgestellt worden.

Die Maschinen zur Erzeugung des elektrischen Stromes bestehen aus einer weitaus kleineren dynamoelektrischen Maschine und einer größeren Wechselstrom-Maschine. Die kleinere Maschine liefert den kontinuierlichen Strom, der die im ganzen System tätigen Elektromagnete erregt; die größere Maschine entsendet Wechselströme mit ganz außerordentlich rascher Aufeinanderfolge der Ströme. Die Ströme sind in zwei von einander getrennten Stromkreisen durch die Differential-Lampen geleitet.

Es sind im ganzen 14 Lampen vorhanden, welche in 2 Reihen, zu je 7 über den Borden der Seitenperrons aufgehängt sind. Je eine Reihe von Lampen, also je 7, liegen in einem Stromkreise und es ist der Leitungsdraht unmittelbar durch den Raum von einer Lampe zur anderen geführt, und zwar mit so viel Durchhang, dass das Herablassen einer Laterne nicht behindert wird. Hinter der 7. Lampe jeder Reihe sind beide Stromkreise an das eiserne Dach geführt, welches zur gemeinsamen Rückleitung zur Maschine mit benutzt ist. Die Laternen hängen an über Rollen gehenden und nach den Wänden geführten Seilen, welche das Herablassen der Laternen behufs Einsetzen neuer Stäbe gestatten. Jede Laterne trägt zur Milderung des Lichtglanzes eine Kugel von 50 cm Durchmesser aus Alabaster-Glas.

Das wesentliche Neue an den Lampen (Regulatoren) besteht darin, dass in Folge einer eigentümlichen, bei denselben zur Anwendung gebrachten Differential-Wirkung des elektrischen Stroms in zwei Zweigen, jede Lampe die passendste Länge des elektrischen Lichtbogens einreguliert, unabhängig von äußeren Vorgängen im Stromkreis. Es ist dadurch das Hintereinanderschalten mehrerer Lampen in einem Stromkreis, d. h. die Teilung des elektrischen Lichtes ermöglicht, was bei den älteren Regulatoren, wegen der gegenseitigen Beeinflussung, nicht angängig war.

Die Entfernung der einzelnen Lampen in einer Reihe beträgt durchschnittlich 23 m und der Abstand der beiden Reihen ebenfalls etwa 23 m. Da die Bahnhofshalle 187,65 m lang und 37,66 m breit ist, so hat jede Lampe eine Grundfläche von rund 505 m² zu erhellen. Es geschieht dies in solcher Stärke, dass man an allen Stellen der Halle Diamantdruck zu lesen vermag. Mit Bestimmtheit ist zu behaupten, dass die vorhandenen und die früher in Aussicht genommenen 160 Gasflammen mit 0,154 m³ Konsum pro Stunde und Flamme, eine Helle, wie sie jetzt erzeugt wird, nicht zu verbreiten im Stande gewesen wären.

Die Kohlenstäbe in den Lampen brennen etwa 4 Stunden lang. Das Auswechseln derselben wird im Allgemeinen in den Beleuchtungs-Pausen vorgenommen; es kann aber auch jede einzelne Lampe herunter gelassen und mit neuen Stäben versehen werden, während die übrigen Lampen weiter brennen. Das Entzünden und Verlöschen der Lampen geht gleichzeitig und selbsttätig vor sich, sobald die Maschine in Gang gesetzt oder angehalten wird.

Der Betrieb der Beleuchtung wird von der Firma Siemens & Halske gestellt und nach einem bestimmten Zeitplan ausgeführt. Abweichungen von dem Zeitplan etwa durch Verspätungen etc. der Züge veranlasst, werden mittels einer elektrischen Glockenleitung vom Stationsbüro dem Maschinisten mitgeteilt. Die Verwaltung vergütet der Firma Siemens & Halske für die Betriebsstunde 7,50 Mark, in welcher Entschädigung etwaige Reparaturkosten für Maschinen etc. einbegriffen sind. Es war auf die Normierung dieses Satzes der provisorische Charakter der Anlage von bedeutendem Einfluss, namentlich der erhebliche Wertverlust der kostbaren Maschineneinrichtung, welcher bei der Zurücknahme nach dem Gebrauche der Firma Siemens & Halske zur Last fällt. Bei einer dauernden Anlage mit stabilen Maschinen und Kesseln würden sich die Betriebskosten selbstverständlich reduzieren.

Die getroffene Einrichtung fordert es nicht, dass beide Reihen Flammen gleichzeitig brennen – wenn auch die lokalen Verhältnisse es bis jetzt nicht gestatteten, von dem alternierenden Brennen Gebrauch zu machen – wohl aber ist es Erfordernis, dass mindestens die sieben Flammen einer Reihe gleichzeitig brennen. Das benutzte System schließt indes bei etwas veränderter Anlage der Drahtleitung, ein Anzünden und Auslöschen der Flammen in noch kleineren Gruppen als die hier verwendeten nicht aus.

Hiernach, und nach den bei dieser, nunmehr seit zwei Monaten im Betrieb befindlichen Beleuchtung gemachten Wahrnehmungen erscheint es ganz unbedenklich, bei Neuanlagen die elektrische Beleuchtung, auch ohne eine Gasbeleuchtungsanlage in Reserve zu halten, einzuführen. Um ganz sicher zu gehen, wird es nur notwendig sein, je nach dem Umfang der Anlage, mehre voneinander unabhängige Systeme der elektrischen Beleuchtung mit besonderen Motoren anzuordnen und die Beleuchtungskörper derart miteinander wechseln zu lassen, dass, wenn eins der vorhandenen Systeme versagen sollte, die Beleuchtung nicht ganz erlischt, sondern in Folge Ausfalls eines Teils der Lampen nur entsprechend schwächer wird. Die Anlagekosten werden bei Fortfall einer Reserve-Gasbeleuchtungsanlage – welche bislang noch meistens für unentbehrlich gehalten wird – erheblich herabgemindert und andererseits wird bei Anordnung mehrerer Systeme der elektrischen Beleuchtung die Möglichkeit erzielt, dem zeitweiligen Bedürfnis nach mehr oder weniger Licht in ökonomischer weise Rechnung zu tragen. Nur für den Fall des Bedarfs der hellsten Beleuchtung wird man dann alle Systeme gleichzeitig in Betrieb setzen, übrigens aber mit schwächerer Beleuchtung, welche eventuell der Betrieb eines Systems bietet, sich begnügen können.

• Auf epilog.de am 12. Dezember 2024 veröffentlicht

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