Bau & Architektur – Brücken
Entwurf einer Hochbrücke
mit Schwebefährenbetrieb
über den Hamburger Hafen
Prometheus • 24.4.1895
Die Anlage von Brücken über Ströme mit lebhafter Schifffahrt stößt innerhalb verkehrsreicher und dicht bebauter Städte überall auf große Schwierigkeiten, weil der bequeme ununterbrochene Verkehr über den Strom nicht mit Einschränkungen des Verkehrs auf dem Strom erkauft werden darf und umgekehrt. Diese Forderung bedingt eine Höhenlage der Brückenfahrbahn, welche auch den Schiffen mit höchsten Masten gestattet, ungehindert bei Hochwasser unter der Brücke hindurchzufahren. Solche Hochbrücken erfordern aber lange Anfahrtsrampen, die nicht selten das Niederreißen ganzer Häuserreihen notwendig machen, deren Ankauf ungeheure Geldsummen verschlingt. Trotz alledem bringt die Anlage solcher Rampen für den Verkehr die oft sehr fühlbare Unbequemlichkeit eines Zeitverlustes mit sich, da der Zugang zur Brücke über den Fuß der Rampe genommen werden muss. Wo solche weit ausgreifenden Rampenanlagen nicht angängig oder zu kostspielig waren, ist man zu eigenartigen, den Verhältnissen angepassten Konstruktionen, wie die der Tower Bridge in London oder der South Halsted Street Lift-Bridge in Chicago, gekommen, die zwar den Verkehr auf dem Wasser nicht behindern, aber den auf der Brücke zeitweise unterbrechen. An dem letzteren Übelstand, der bei regem Verkehr, abgesehen vom Zeitverlust, zu bedenklichen Verkehrsstockungen führen kann, leiden auch die Dreh- oder Klappbrücken. Wo das Umgehen aller dieser Übelstände notwendig war, hat man den Verkehrsstrom durch einen unter dem Fluss fortgeführten Tunnel zum anderen Ufer hinüber geleitet. Aber auch der Tunnel hat bei großer Stromtiefe den Nachteil langer Anfahrtsrampen, ähnlich den Hochbrücken.
Alle diese Umstände haben in Hamburg Erwägung gefunden, als es sich darum handelte, die südlich der Elbe gelegenen Stadtteile Steinwerder und Kleiner Grasbrook durch eine Überbrückung der hier 400 m breiten Elbe vom Grevendamm nach den St. Pauli-Landungsbrücken an das Schnellverkehrsnetz von Hamburg-Altona anzuschließen. Die Herstellung eines eisernen Röhrentunnels von 6,8 m Durchmesser mit einem 4 m breiten Fußweg in seinem oberen Teil und einer zweigleisigen Straßenbahn darunter sollte 20 Mill. Mark kosten. Eine Hochbrücke mit einem 6,5 m breiten Fahrdamm und zwei 2 m breiten Fußwegen wurde auf 19,5 Mill Mark veranschlagt. Da selbst eine mäßige Verzinsung dieser hohen Baukosten unerreichbar schien, so wurde von der Ausführung beider Entwürfe Abstand genommen. Ein Ersatz der langen Rampen durch Aufzüge an den Brückenköpfen würde zwar die Baukosten des Tunnels um 6 Mill., der Hochbrücke um etwa 10 Mill. Mark sowie die Zeit zum Überschreiten der Brücke von etwa 25 auf 6 Minuten in vorteilhafter Weise vermindert haben, immerhin blieb es wünschenswert, das Heben und Senken der Personen und Wagen in den Aufzügen zu vermeiden. Der Wunsch, die gestellte Aufgabe in dieser Weise zu lösen, hat den Entwurf einer Hochbrücke mit elektrischer Schwebefähre, ähnlich der Schwebebahn nach dem System Langen, hervorgerufen, der in unsern Abbildungen dargestellt ist.
Abb. 1. Aufriss und Querschnitt der Hochbrücke über den Hamburger Hafen.Eine Hochbrücke, in der äußeren Erscheinung ähnlich derjenigen zwischen New York und Brooklyn, soll mit 400 m Weite zwischen den Uferpfeilern den Strom überspannen. Die Unterkante der Brückenbahn liegt etwa 45 m über dem Wasserspiegel, so dass die größten Schiffe sie mit ihren Mastspitzen nicht erreichen können. Die Eisenkonstruktion trägt unterhalb ihrer Längsschwellen (s. Abb. 1 links) Schienengleise, auf welchen Radgestelle zwangsläufig und entgleisungssicher geführt werden. An diesen Radgestellen sind mit leichten Fachwerkgerüsten zwei Fahrzeuge derart aufgehängt, dass die auf dem inneren Gleis laufende Fähre innerhalb des Hängegerüstes des auf dem äußeren Gleis geführten Fahrzeugs hindurchfahren kann, so dass beide in ihrem Verkehr über den Strom unabhängig voneinander sind. Die Wasserstraße bleibt dabei vollständig frei für den Schiffsverkehr. Zusammenstöße der Schwebefähre mit Schiffen lassen sich in einfacher Weise dadurch verhüten, dass erstere ihre Fahrt mäßigt oder unterbricht, bis das Schiff vorbei ist. Der dadurch verursachte Zeitverlust kann selbstredend nur gering sein. Um aber durch Rücksichtnahme auf die kleinen Hafendampfer im Betrieb der Schwebefähre nicht allzu oft gestört zu werden, soll die Unterkante der letzteren so hoch gelegt werden, dass Fährboote und dergleichen unter der Schwebefähre ungehindert hindurchfahren können.
Die mittlere Fähre ist 12 m lang, 5 m breit und 7 m hoch. Unter der Deck trägt sie ein Gleis für einen Schwebebahnwagen, darunter ist Platz für zwei lange Arbeitsfuhrwerke oder vier Droschken und Marktwagen. An Stelle der Wagen bietet die Fähre Platz für 240 Personen. Die äußere Fähre ist mit ihren beiden Hallen nur für den Personenverkehr bestimmt; jede Halle hat vier Sitzreihen mit zusammen 50 Plätzen. Die Dauer der Fahrt wird einschließlich Anfahren und Anhalten nicht ganz eine Minute betragen. Beide Fähren können daher zusammen einen Stundenverkehr von 6000 Personen in jeder Richtung bewältigen.
Bei Bilbao, zwischen Portugalete und Las Arenas, den eigentlichen Hafenorten von Bilbao, befindet sich bereits eine ähnliche Schwebefähre, jedoch mit nur einem Fahrzeug und mit elektrischem Seilzug, im Betrieb, welche bisher als Höchstleistung an einem Tage 16 200 Personen und 100 Wagen befördert hat, wobei sich keinerlei Übelstände bemerkbar gemacht haben. Allerdings ist weder der Schiffs- noch der Personenverkehr im Hafen von Bilbao so stark wie in Hamburg und muss deshalb die Schwebefähre am letzteren Ort für eine wesentlich größere Leistung befähigt sein. Es soll deshalb von vornherein vorgesehen werden, dass ein Teil des Verkehrs, nötigenfalls der gesamte Personenverkehr, mittelst leistungsfähiger elektrischer Aufzüge über die Brücke geleitet werden kann, obgleich, der Zeitersparnis wegen, die Fährbeförderung stets vorangehen soll. Im Anschluss an die Aufzüge sind zu beiden Seiten außerhalb der Hochbrücke (s. Abb. 1 rechts) 2 m breite Fußwege hergerichtet. Die Aufzüge würden namentlich dann in Betrieb treten, wenn bei Nacht, dichtem Nebel oder bei besonders regem Verkehr großer Schiffe der Fährbetrieb eingeschränkt oder gar eingestellt werden müsste. Einige Aufzüge werden jedoch stets in Betrieb zu halten sein, um sowohl eine Reserve bereitzuhaben, als auch diejenigen Personen zu befördern, welche den Weg über die 50 m über dem Hafen liegende und deshalb einen prachtvollen Ausblick auf das ganze Hafengebiet, die Stadt und ihre Umgebung gewährende Brücke vorziehen.
Für jedes Brückenende sind vier Förderkörbe von je 4 m² Grundfläche vorgesehen, deren jeder 16 Personen aufnehmen kann. Bei einer Fahrgeschwindigkeit von 3 m/s dauert die Auffahrt 13 Sekunden, für Ein- und Aussteigen sind 17 Sekunden reichlich bemessen, so dass die einzelne Fahrt des Aufzuges ½ Minute dauert. In einer Stunde können die vier Aufzüge daher in jeder Richtung 3840 Personen befördern, so dass durch sie der ganze Personenverkehr bewältigt werden könnte.
Abb. 2. Entwurf der Hochbrücke mit Schwebefährenbetrieb über dem Hamburger Hafen vom Hafentor nach Steinwerder.Die Eisenkonstruktion der Hochbrücke ist mit solchen Sicherheits-Koeffizienten berechnet, dass sie eine beträchtliche Vergrößerung der Fähren verträgt, wenn eine solche bei wachsendem Verkehr notwendig werden sollte, was einstweilen aber nicht zu erwarten ist.
Das Bauwerk, welches die Gleise für die Schwebefähren trägt, ist eine Hängebrücke mit Versteifungsbalken und eisernen Pendelpfeilern von 400 m Abstand. Die Unterkante der Eisenkonstruktion liegt 50 m, der Pfeilerkopf etwa 100 m über null des Hamburger Pegels. Zwei Tragseile mit 42 m Pfeilhöhe gehen über die mit 26 m Abstand aufragenden Pfeilerköpfe und tragen einen Fachwerkbau von 5 m Höhe und 20 m Breite, dessen senkrechte Wände eine Biegungsänderung des Seils durch die Verkehrslasten hindern, deren waagerechte Wände der Brücke Widerstandsfähigkeit gegen den Winddruck geben. Dieses Fachwerk wird der Brücke, im Gegensatz zu den meisten älteren Hängebrücken, denen dasselbe fehlt, eine außerordentliche Steifigkeit verleihen. Die 90 m hohen Pfeiler sind derart angeordnet, dass den Einflüssen der Temperatur auf die Eisenkonstruktionen freies Spiel gelassen ist.
Die Schienen, auf welchen die Radgestelle laufen, sind an den Enden der Brücke aufwärts gekrümmt, um das Anlaufen durch eine Abwärts-, das Bremsen durch eine Aufwärtsbewegung der Räder zu unterstützen. Durch getrennte Führung der Hinter- und Vorderachsen ist es möglich, das schräge Ab- und Auflaufen ohne Schrägstellung der an den Radgestellen hängenden Fähren geschehen zu lassen,
Jedes Radgestell besitzt drei Achsen, welche durch einen Balancier verbunden sind. Die beiden äußeren Achsen laufen auf einer von unten gestützten Schiene; die mittlere Achse wird an einer von oben gehaltenen Schiene geführt, so dass ein Entgleisen der Laufachsen unmöglich ist. Die innere Fähre besitzt durchgehende Achsen, bei der äußeren Fähre wird die Gleichmäßigkeit der Bewegung auf beiden Seiten durch eine Zahnradübertragung gesichert. Die Fähren sind ineinander gehängt, um eine möglichst breite Stützung und damit eine große Widerstandsfähigkeit gegen seitlichen Winddruck zu gewinnen.
Die beiden Personenhallen der äußeren Fähre stehen auf gemeinsamer Plattform, welche von dem in gleicher Höhe liegenden Fahrsteig an den Ufern betreten wird, um in die Fährhallen zu gelangen.
Die Gesamtkosten der Brücke sind auf rund 2,8 Mill. Mark [rd. 23 Mill. € in 2023] veranschlagt, sie sind wesentlich geringer als die einer Straßenbrücke, weil diese bei fortlaufendem Verkehr eine sehr viel größere Belastung zu tragen hat und deshalb auch ein sehr viel größeres Eigengewicht erhalten muss. Die Schwebefähre belastet die Brücke nur mit einem Höchstgewicht von 64 t, dem noch die Fußgänger auf den beiden Fußwegen hinzutreten.