Handel & IndustrieMaschinenbau

Die Entwicklung der Lokomobile

Maschinenfabrik R.Wolf • 1912

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Als vor 200 Jahren die Dampfkraft in der Gestalt der atmosphärischen Maschine, der sogenannten Feuermaschine, anfing, nutzbringende Arbeit zu leisten, war man damit zufrieden, sie zunächst für ein einziges Arbeitsgebiet zu verwenden. Jahrzehntelang haben diese plumpen Maschinen mit ihren Gliedern aus Holz und Eisen dem Bergmann geholfen, sich der unterirdischen Wasser zu erwehren. Auf diese Aufgabe hat sich die Dampfkraft für lange Zeit fast ausschließlich beschränkt. Erst dem genialen Schotten James Watt gelang es dann, aus dieser atmosphärischen Maschine die eigentliche Dampfmaschine, wie wir sie kennen, zu entwickeln. Als Watt die doppeltwirkende Dampfmaschine geschaffen hatte, erweiterte er damit ihr Arbeitsgebiet in außerordentlich großem Maße, denn jetzt war es möglich, sie für alle Betriebe als Kraftquelle zu verwenden. Lange beherrschte die Dampfniederdruckmaschine, wie sie James Watt der Welt gegeben hatte, das ganze industrielle Leben. Die Konstruktionsform war gekennzeichnet durch die Verwendung stehender Zylinder, von denen aus die Dampfkraft mit Hilfe eines großen Hebels, des Balanciers, mit Schubstange und Kurbel auf die Welle und von hier aus auf die anzutreibenden Arbeitsmaschinen übertragen wurde. Alle diese Dampfmaschinen arbeiteten mit Kondensation. Es wurde abwechselnd bald über, bald unter dem Kolben ein luftleerer Raum hergestellt, so dass ein sehr niedriger Dampfdruck zum Betrieb der Maschine genügte. Da man auch mit sehr geringen Umdrehungszahlen arbeitete, so war es natürlich, dass die Abmessungen dieser ersten Niederdruckdampfmaschine im Verhältnis zu ihrer Leistung noch außergewöhnlich groß waren. Keiner konnte auf den ungewöhnlichen Gedanken kommen, so gewaltige Eisenmassen ortsbeweglich zu machen, diente doch damals gewöhnlich noch sogar das große Maschinenhaus selbst als Gestell, das die einzelnen Teile der Dampfmaschine erst zu einem Ganzen vereinigte.

Lokomobile von 1862Foto: Waldemar TitzenthalerErste von R. Wolf 1862 gebaute und 1887 zurückerworbene Lokomobile. 1904 dem Deutschen Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik in München überwiesen.

Der große englische Ingenieur Richard Trevithick unternahm es als einer der ersten, gegen die damals alles beherrschende Autorität James Watts Hochdruckdampfmaschinen auszuführen. Er verzichtete auf die Kondensation, die man für ganz unentbehrlich hielt, und wandte Kesseldrücke von 4 – 8 at an, die für einen geordneten Betrieb als unbrauchbar galten. War es doch sogar schwer, die Kessel für den geringen Druck der Niederdruckmaschine dampfdicht herzustellen. Trevithick überwand auch diese fast unüberwindlich erscheinenden Schwierigkeiten. Seine im Verhältnis zu den alten Maschinen überaus leichte Hochdruckmaschine, bei der er den Zylinder unmittelbar in den Kessel einbaute, machte es möglich, sie auch an Orten zu verwenden, wohin man niemals die schweren Eisenmassen der Dampfniederdruckmaschine hätte befördern können. Der Silberbergbau Perus sollte dieser ersten Lokomobile auf Tragfüßen sein Fortbestehen zu verdanken haben. In den wegelosen Gebirgshöhen der Anden ließen sich die unterirdischen Wasser nur mit Hilfe von Dampfkraft bewältigen, und die Trevithickschen leichten Maschinen konnten allein auf den Rücken der Maulesel, dem einzigen Verkehrsmittel in der dortigen Gegend, zum Betriebsort hingeschafft werden. Seine Hochdruckdampfmaschinen haben nachher Trevithick die Möglichkeit gegeben, auch Dampfautomobile und die erste Eisenbahnlokomotive, welche die Welt gesehen hat, zu konstruieren und auszuführen. In ihm können wir auch den Erbauer der ersten Lokomobile sehen, der ersten Dampfmaschine, die für landwirtschaftliche Zwecke Verwendung gefunden hat.

Eine dieser mit dem Kessel vereinigten Trevithickschen Hochdruckdampfmaschinen wurde 1811 in Cornwall zum ersten Mal in der Landwirtschaft zum Antrieb einer Dreschmaschine benutzt. Ein einfachwirkender, oben offener Zylinder von 229 mm Durchmesser war stehend in den liegenden Kessel eingebaut, seine Arbeitsleistung wurde auf eine über dem Kessel befindliche Kurbelwelle übertragen, die 30 U/min machte. Die Dreschmaschine, die von dem als Seilscheibe ausgebildeten Schwungrad unmittelbar angetrieben wurde, lief mit 360 U/min. Diese erste Lokomobile sollte die Arbeit von 4 Pferden ersetzen und kostete 1600 Mark. Trevithick stellte auch bereits eine sehr interessante vergleichende Kostenberechnung zwischen Dampf- und Pferdebetrieb auf, aus der sich die große wirtschaftliche Überlegenheit der Benutzung der Dampfkraft ergab. Trevithiks Erfindung bewährte sich glänzend. Drei angesehene Fachmänner stellten ihr das Zeugnis aus, dass ein einfacher Arbeiter die Maschine bedienen könne, dass man mit der Gleichmäßigkeit des Ganges und der Geschwindigkeit durchaus zufrieden sei und dass in jeder Hinsicht die Dampfkraft dem Pferdebetrieb vorzuziehen sei. Auf der Ausstellung der englischen Landwirtschaftsgesellschaft 1879 konnte noch diese erste landwirtschaftliche Betriebsmaschine vorgeführt werden.

Im Jahr 1812 baute Trevithick eine etwas kleinere Maschine, die er auf einem Radgestell fahrbar anordnete. Sie wog 760 kg und kostete 63 £; ihr Kessel stand aufrecht, ähnlich wie später bei den Dampfkränen. Einige dieser Maschinen lieferte Trevithick auch ortsfest mit eingemauertem Kessel. Solche Maschinen kosteten damals frei London 100, die fahrbaren 160 Guineen. Einige von ihnen sind über 40 Jahre im Betrieb gewesen. Trevithicks kühne Erfinderfantasie ging weit über das hinaus, was man damals für erreichbar hielt. Er schrieb am 26. April 1812 an einen Freund, dass er überzeugt wäre, jede landwirtschaftliche Tätigkeit würde sich durch Dampf ausführen lassen. Er plante damals bereits Maschinen, die 100 Pferde ersetzen sollten. Andere große Aufgaben, besonders auf dem Gebiet des bergbaulichen Maschinenwesens, lenkten ihn von der weiteren Entwicklung der Lokomobile ab. Das Samenkorn aber, das er dem Boden der Technik anvertraut hatte, ging auf, und wenn auch der Baum, der daraus emporwuchs, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht ahnen ließ, welch gewaltiges Wachstum ihm in unserer Zeit bevorstehen sollte, so ist es doch interessant festzustellen, wie nutzbringend sich schon in der ersten Entwicklungsperiode diese Konstruktionsform der Dampfmaschine für die verschiedensten Zwecke erwiesen hat.

Lokomobile Nr 2Foto: Waldemar TitzenthalerLokomobile Nr. 2 der Maschinenfabrik R. Wolf von 1862 auf Tragfüßen. Von der Firma zurückerworben und noch 1912 im Betrieb der Zimmerei des Werkes Buckau.

In den 1820er Jahren hatte man in der englischen Landwirtschaft schon ortsfeste Dampfmaschinen zum Antrieb von Dreschmaschinen benutzt. Die heutige Lokomobile, die durch die unmittelbare Verbindung des Kessels mit der Maschine gekennzeichnet ist, entstand erst in den 1840er Jahren. Die englische Landwirtschaftsgesellschaft hat das Verdienst, durch regelmäßige Ausstellungen, durch Leistungsversuche und Preisausschreiben auch die konservativsten Landwirte endlich von den Vorteilen des maschinellen Betriebes überzeugt zu haben. Diese Ausstellungen gewannen dann seit 1847 für die Entwicklung der englischen Lokomobile größere Bedeutung. Die ersten englischen Lokomobilen aus dieser Zeit verwendeten zum Teil noch stehende Maschinen, die neben dem Kessel angeordnet waren. Bald aber entstanden jene Formen, die für die weitere Entwicklung vorbildlich geblieben sind. Der Kessel wurde den Lokomotivkesseln nachgebildet, es war ein Röhrenkessel mit Feuerbüchse und Rauchkammer. Die Maschine legte man unmittelbar auf den Kessel.

In der ersten Zeit wollte man der Lokomobile noch alle möglichen anderen Aufgaben aufbürden. Sie sollte zugleich auch als Straßenlokomotive dienen, mit ihr wollte man den Verkehr zwischen dem Gutshof und den Feldern bewerkstelligen, womöglich auch den Pflug durch den Acker ziehen. Bald stellte sich jedoch heraus, dass es auch für eine Maschine nicht zweckmäßig ist, ihr allzu viel verschiedene Aufgaben zu übertragen. Man verzichtete auf die Straßenlokomotive und baute die Lokomobile immer mehr zu einer für die mannigfachsten Zwecke brauchbaren Betriebsmaschine aus. Neben den englischen Ingenieuren und Fabrikanten der Lokomobilen, die sich in kurzer Zeit auch außerhalb Englands ein sehr großes Absatzgebiet eroberten, haben sich frühzeitig Franzosen mit der Entwicklung der Lokomobile beschäftigt.

Auch in Deutschland sind während der 1840er Jahre schon von einzelnen Maschinenfabrikanten gute Lokomobilen ausgeführt worden. Man hielt sich an englische oder französische Vorbilder, ging aber hier und da auch bereits eigene Wege. Der Berliner Maschinenfabrikant Hoppe, einer der genialsten deutschen Ingenieure, hat schon um 1850 sehr interessante Konstruktionen von Lokomobilen, bei denen er ausziehbare Röhrenkessel gebrauchte, ausgeführt.

Hier bei Hoppe hatte der Stuttgarter Fabrikant G. Kuhn die für seine weitere Tätigkeit maßgebende Lehrzeit verbracht, und Hoppe hatte ihm auch Zeichnungen seiner Lokomobilen mit nach Stuttgart gegeben, um ihm den Anfang in der eigenen Maschinenfabrik zu erleichtern. R. Wolfs war es dann beschieden, in der Kuhnschen Fabrik Lokomobilen auszuführen und weiter zu vervollkommnen, wie ihm dann hier auch zuerst der Gedanke kam, diese Konstruktionsform der Dampfmaschine zu dem Spezialgebiet seiner neu zu begründenden Maschinenfabrik zu machen. So wurde R. Wolf dann der erste deutsche Maschinenbauer, der planmäßig daran ging, die Lokomobile zu einer für die verschiedensten landwirtschaftlichen und gewerblichen Zwecke brauchbaren Betriebsmaschine zu entwickeln. Seine Maschinenfabrik wurde die erste Spezialfabrik für Lokomobilen.

• Conrad Matschoss

Entnommen aus dem Buch:
Die Geschichte der Firma R. Wolf steht beispielhaft für den Aufstieg der deutschen Maschinenindustrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie zeigt, wie bleibende Erfolge nur durch Güte der Arbeit, durch unermüdliches Streben, das Beste zu erreichen, erlangt werden können. Die Lebensgeschichte des Begründers lässt besonders deutlich erkennen, wie technisches Können, vereint mit kaufmännischer und organisatorischer Begabung, und getragen von hingebender Liebe zum selbsterwählten Beruf, für die Verhältnisse des wirklichen Lebens letzten Endes die Triebkräfte sind, die alle Schwierigkeiten überwinden.
Der Technikhistoriker Conrad Matschoss (1871 – 1942) verfasste diese Denkschrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens der Maschinenfabrik R. Wolf in Magdeburg-Buckau und schuf damit ein ausführliches und mit über 150 Fotos und Zeichnungen reichhaltig illustriertes Zeitdokument der Industriegeschichte.
  PDF-Leseprobe € 19,90 | 172 Seiten | ISBN: 978-3-7597-2237-9

• Auf epilog.de am 12. März 2025 veröffentlicht

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