Forschung & Technik – Technik
Elektrische Uhren
Das Neue Universum • 1880
Die Elektrizität, insbesondere der Elektromagnetismus ist für Uhrzwecke seit Ende der 1830er Jahre stets in zweierlei Weise angewandt worden. Einerseits um von einer Normaluhr aus die Zeitangabe übereinstimmend auf eine beliebige Anzahl Zeigerwerke und Zifferblätter fortzupflanzen; anderseits um bei einem selbstständigen Uhrwerke, die sonst durch Gewicht oder Feder ausgeübte bewegende Kraft mittelst des elektrischen Stroms zu erzeugen. Letztere Gattung von Uhren ist es aber, die man als elektrisch im eigentlichen Sinne des Wortes bezeichnen muss, und zwar sind es dann (in der Regel) Pendeluhren.
Leider haben sich diese letzteren Uhren weder für die Zwecke der Astronomie noch für die des bürgerlichen Lebens irgendwie bewährt. Vortreffliche Dienste leistet dagegen die erst genannte, und zwar älteste (von Steinheil in München 1839) in Anwendung gebrachte Methode, den elektromagnetischen Strom für Uhrzwecke derartig zu verwenden, dass man damit Gewichts- oder Feder-Uhren reguliert oder überwacht.
Das Prinzip dieser Uhren kommt aber darauf hinaus, das Zeigerwerk in entsprechenden Intervallen durch einen Elektromagneten auf genaue Zeit von einer Normaluhr einzurücken.
Das Vollkommenste von Uhren letzterer Art sind die, welche in jüngster Zeit aus dem mechanischen Institut des Dr. Hipp in Neuchatel (Schweiz) hervorgegangen sind und wovon u. A. die preußischen Eisenbahnverwaltungen, namentlich in Berlin und Hannover, an den betreffenden Zentralstellen, sowie die Städte Genf, Basel, Zürich etc., ferner die Bahnhöfe in Stuttgart, Magdeburg, Chemnitz, Haag etc., Gebrauch machen.
In jeder betreffenden Linie sind, bei diesem System, die darin enthaltenen Uhren so eingeschaltet, dass jeder durch einen von der Linie abzweigenden Draht der für sie erforderliche Stromteil zugeführt wird und hinter der Uhr zur Erde geht. Dadurch werden die Uhren voneinander unabhängig, so dass eine in einer Uhr auftretende Unterbrechung auf den Gang der anderen im Allgemeinen keinen Einfluss hat. Doch müssen die Widerstände in jeder Uhr genau berechnet werden, wenn der Strom in allen Uhren gleich stark sein soll.
Um alle beträchtlichen Reibungen zu vermeiden, die nicht ohne Störungen des Ganges zu überwinden sein würden, hat Dr. Hipp das den elektrischen Kontakt machende Laufwerk von dem das Steigrad der betreffenden Pendeluhr bewegenden Werke getrennt. Während 59 Sekunden sind beide Werke vollkommen unabhängig voneinander; in der 60. Sekunde wirken sie mittelst eines sehr kleinen Fallhebels aufeinander, welcher nur eine unmerkliche und den Gang des Regulators nicht störende Reibung veranlasst. Hierzu steckt auf der Steigradwelle ein kleines Zahngetriebe, in welches ein größeres Rad, das Triebrad greift. Letzteres Rad dreht sich nicht um eine feste Achse, sondern hängt frei zwischen zwei Getrieben. Eins dieser Getriebe (rechts liegend) ist das bereits erwähnte, auf der Steigradwelle befestigte, während das andere (links liegend) mit der Achse des Stromgebers in Verbindung steht. Das Steigrad wird nur durch das Gewicht des Triebrades bewegt etc.
Das vorzügliche Werk hat nur einige Fehler, die für eine allgemeine Verwendung höchst unangenehm und hinderlich sind, nämlich die hohen Anschaffungskosten und dem entsprechend das Beschränken auf eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Stationen, deren Stunden- und Minutenzeigerwerke von der Normaluhr aus reguliert werden können.
Beispielsweise kosten die betreffenden Einrichtungen für den Zentralbahnhof Hannover, obwohl von der Normaluhr aus acht verschiedene Stationszeiger in Tätigkeit gesetzt werden können, nicht weniger als 9477 Mark [rd. € 130 000 in 2024]. Hiervon kommen allerdings auf die Normaluhr (den Regulator) allein, inkl. Laufwerk, Quecksilber, Kompensation und besonderem Kommutator, nur 2115 Mark, während vier Perron-Uhren mit 3728 Mark und fünf Uhren, eine im Vestibül, eine beim Billeteur und drei Uhren in den Wartesälen, mit 2017 Mark in obiger – fast 10 000 Mark betragenden) – Summe inbegriffen sind.
Ungeachtet dieser in der Tat hohen Anschaffungskosten, gehört das im Zentralbahnhof Hannover aufgestellte und im Gang befindliche elektrische Uhrwerk zu den ausgezeichneten Arbeiten und Leistungen der Präzisions-Mechanik und darf solches als ein wahres Musterwerk seiner Art (nach Konstruktion und Ausführung) bezeichnet werden.
Dies zugestanden, wird man die Frage im Sinne der guten Sache gewiss ganz gerecht finden, ob sich derartige Werke, wodurch die Pendel verschiedener Uhren nahezu absolut gleichschwingend werden (deshalb sympathische Pendeluhren genannt), nicht in einfacherer, viel wohlfeilerer Weise herstellen lassen?
In der Tat hat man solche Werke nicht bloß versucht, sondern bereits auch zur praktischen Verwendung gebracht, u. A. in Hamburg durch den Chronometermacher Bröcking daselbst und durch den Hofuhrmacher Thiede jun. in Berlin.
Bröcking hat derartige, mit gleichschwingenden Pendeln ausgestattete Uhren bereits 1873 zur Weltausstellung nach Wien gesandt und nachher auch in Hamburg für öffentliche Zwecke in Ausführung gebracht, während Thiede in gleicher Weise die Stadt Berlin mit solchen sympathischen Pendeluhren versorgt hat, deren Normaluhr (astronomische Pendeluhr) auf der Berliner Sternwarte, der Pflege und Wartung des dortigen Astronomen Prof. Dr. Förster unterstellt ist.
Wir beschränken uns hier auf die Beschreibung der Bröckingschen Uhr. Unter der Voraussetzung, dass jedem Leser eine gewöhnliche astronomische Pendeluhr als Normaluhr bekannt sein wird, ist die hierdurch, unter Verwendung elektrischer Ströme zu regulierende Stations-(Turm-, Haus-, Hof-, etc.) Uhr entfernt von der Normaluhr, eine ganz gewöhnliche Pendeluhr (Zimmer-Wanduhr, in mehr oder weniger gefälligem rechteckigen Gehäuse mit Glastür etc.), die durch Gewichte (oder durch Federkraft) in Bewegung mit einem hohlen Zylinder, einer Rolle ausgestattet, deren Mantel mit einem aus vielen Windungen bestehenden Kupferdraht umwunden ist, den man sorgfältig durch umsponnene Seide isoliert hat. Außerdem hängt das betreffende Pendel an zwei Federn, die zur Leitung elektrischer Ströme dienen können, welche die gedachten Drahtwindungen zu durchlaufen haben.
Zu beiden Seiten der mit dem isolierten Kupferdraht umwundenen Rolle (Pendellinse) sind in dem Uhrkasten, links und rechts vom Pendel zwei permanente Magnetstäbe so angebracht, dass sie beim Hin- und Herschwingen der hohlen Rolle in diese ungehindert eindringen können.
Da man nun auch eine derartige von einem elektrischen Strom durchflossene Rolle als einen Magnetstab betrachten kann, so wird nur ein elektrischer Stromwechsel zu erzeugen sein, um bald die Anziehung und respektive Abstoßung des einen oder des anderen der genannten (im Uhrgehäuse befestigten) Magnete und damit das Schwingen des Pendels (der Stations- d. i. der zu regulierenden Uhr) zu veranlassen.