Feuilleton – Küche & Haushalt
Eisschränke
Daheim • 17.8.1867
Das Eis, die missachtete Stiefschwester des erdeumgürtenden Wassers und des maschinentreibenden Dampfes, fängt an neuerdings auch etwas zu Ehren zu kommen. Es hatte, nach Versicherung der Geologen, eine berühmte Vergangenheit, ermöglichte in der nach ihm genannten Eiszeit Lustreisen von Eisbären und Rentieren nach dem Rigi Kulm und der Furka, transportierte skandinavische Felsblöcke bis auf das Lützener Schlachtfeld und den Berliner Schlossplatz. Späterhin ward es jedoch durch ungünstige Verhältnisse in der Familie gezwungen, sich einzuschränken. Es zog sich nach den Polen und den höheren Gebirgen zurück und unternahm nur in günstigen Wintern Erholungsreisen über die Seen, Tümpel und Fensterscheiben seines früheren Besitztums. Dabei diente es dann dem jungen Volk zum Schlittschuhlaufen, gesetzten Leuten zu Betrachtungen über die Hinfälligkeit des Menschengeschlechts, französischen Husaren zum Erobern holländischer Schiffe u. dgl.
Erst in neueren Zeiten beginnt, wie gesagt, mit der Erfindung der Eiskeller auch für dies spröde Stiefkind der Natur eine neue Ära. Diese Erfindung wird auch dadurch originell, dass sie nicht gebräuchlicher maßen zuerst von den Chinesen oder deren Vettern, sondern von den Eskimos gemacht worden ist. Jede wackere grönländische Hausfrau lässt seit alters ihre Vorräte von Beeren, Fischen und Seehundfleisch in einer Grube zusammengefrieren.
Die Herstellung von ›Gefrorenem‹ während der Hundstage, die Erzeugung von Lagerbier, dieses wichtigen Faktors in der neueren Geschichte, der Transport von frischem Fleisch und Obst durch alle Zonen ward nur dadurch möglich, dass man lernte, die Winterkälte in Form von Eis für den Sommer aufzubewahren, wie man ehedem die Sommerwärme in Form von Holz für den Winter reservierte. Wir brauchen nicht zu betonen, wie das Eis für tausende von Kranken und Verwundeten zur Wohltat, ja zum Lebensretter geworden, jeder wird seiner zur heißen Zeit bei einem Glas erquickenden Kohlensaures ›mit oder ohne‹ selbst schon dankbar gedacht haben.
Um die Bewohner der Tropen mit diesem Labsal des Nordens zu versorgen, trat der Eishandel ins Leben. Seit 1810 James Tulor die erste Schiffsladung Bostoner Eis nach Martinique führte und 4000 Dollar daran verdiente, bildeten sich zahlreiche Eis-Compagnien. Von New York laufen jährlich an die 700 Schiffe mit 300 000 Tonnen Eis nach dem Süden aus, und das Kapital, welches allein in den Vereinigten Staaten in diesem Artikel angelegt ist, wird auf 7 Mill. Dollar geschätzt. 1866 wurden auch von Norwegen aus über 62 000 Tonnen Eis nach England, Hamburg und Frankreich verfahren, und Ober-Italien sucht die Eisniederlagen der Alpen zu gleichen Zwecken auszubeuten.
Für die sorgende Hausfrau wird jedoch das Eis erst zum helfenden Hausfreund durch Vermittelung des Eisschrankes, eines nordamerikanischen Erzeugnisses, das vor etwa 12 Jahren durch einen gewissen Jage zuerst nach Leipzig übergesiedelt ward und sich von hier aus über Deutschland verbreitete. Der Eisschrank hat zum Schutz gegen die Wärme doppelte Wände, entweder nur von Holz oder mit einer Zwischenfüllung von Häcksel und Stroh. Innen ist er mit Zinkblech ausgeschlagen, enthält einen Behälter zur Aufnahme des Eises und rings um denselben Fächer für diejenigen Dinge, welche man seinem wohltätigen Schutze anvertraut. Das abträufelnde Wasser findet durch ein doppelt knieförmig gebogenes Röhrchen am Boden Abzug in ein untergestelltes Becken. Kleinere Eisschränke liefert in Leipzig z. B. die Fabrik von E. Stuck bereits für 10 Taler. In äußerer Eleganz, Größe und innerer Einrichtung lassen sie sich den verschiedensten Bedürfnissen der Wirtschaft willkürlich anpassen. Kleinere Eisschränke bedürfen täglich 5 Pfund Eis, mittlere 10 Pfund. In Leipzig, wo allein der Konditor Felsche jährlich 4000 – 5000 Tonnen Eis einheimset, erhält man täglich 5 kg Eislieferungen für den Monatspreis von 1 Taler 80 Kreuzer.
Der Eisschrank im Haus kühlt Bier, Wasser und Wein, bewahrt Speise und Getränk vor Sauerwerden, Gärung und Verschimmeln, er befreit selbst den ›guten Mond‹ von dem Verdacht, Fisch, Fleisch und Wildbret durch den ›bösen Blick‹ zum schnellen Verderben zu bringen. Soll eine Speise rasch zum Erkalten gebracht, Gefrorenes vor dem Zerfließen beschützt, Milch und Sahne selbst bei Gewitterluft vor dem Gerinnen bewahrt, feines Obst vor dem Faulen behütet werden, – der Eisschrank schafft Hilfe und ersetzt dadurch in einer größeren Haushaltung, wie in Restaurationen und Gasthöfen reichlich die Kosten seiner Anschaffung und des ihm täglich gespendeten Eisopfers.
Das Feuer des Herdes galt seit alters als Symbol des Familienglücks, – es gebührt heutzutage auch dem Eisschrank in der Haushaltung ein geachtetes Plätzchen. Wie in einer guten Wirtschaft auch ohne spezielle Mahnung des Nachtwächters das Feuer am gehörigen Ort verwahrt wird, so öffnet jetzt auch der Eisschrank bereitwillig seine Türen, um alle Kälte aufzunehmen, die an unrechtem Platz Schaden anstiften könnte!
• Hermann Wagner