Verkehr – Eisenbahn
Die Eisenbahnzüge der internationalen Schlafwagen-Gesellschaft
Prometheus • 4.11.1891
Seit ein sehr vollkommenes und ausgedehntes Netz von Eisenbahnen unseren ganzen Erdteil überzieht, ist man mehr und mehr dazu übergegangen, große Reisen ohne Unterbrechungen und Ruhepausen auszuführen. Es ist heutzutage etwas ganz Alltägliches, von Paris nach Moskau, von Berlin nach Lissabon oder von London nach Konstantinopel ohne Aufenthalt durchzufahren. Die Eisenbahnverwaltungen tragen dieser zeitsparenden Gewohnheit der Reisenden Rechnung, indem sie ihre Schnellzüge so einrichten, dass sie überall Anschluss haben; da ferner die Spurweite der Bahnen in allen Ländern, mit Ausnahme von Russland, die gleiche ist, so kann auch meistens die Reise ohne alles Umsteigen in demselben Wagen fortgesetzt werden, was für den Reisenden eine nicht zu unterschätzende Bequemlichkeit darbietet.
Abb. 1. Innere Ansicht eines Salonwagens der Internationalen Schlafwagen-Gesellschaft.Trotzdem sind derartige lange Reisen ungemein anstrengend. Sehr viele Reisende, zu denen auch der Verfasser des vorliegenden Aufsatzes gehört, ziehen eine dreitägige Reise zu Schiff einer nur eintägigen mit der Bahn bei weitem vor. Der Unterschied beider aber liegt, abgesehen von der frischen Seeluft, die wir auf Landreisen natürlich entbehren müssen, lediglich darin, dass wir uns auf einem Schiffe bewegen, nach Belieben Speisesaal, Verdeck oder unsere Schlafkabine aufsuchen können, während wir in dem gewöhnlichen Eisenbahnzug dazu verdammt sind, fortwährend auf dem einen uns angewiesenen Platz zu sitzen, eine Aufgabe, die auf die Dauer geradezu unerträglich wird. Man sieht daher auf allen Stationen, auf denen auch nur minutenlanges Halten des Zuges stattfindet, die Reisenden aus ihren Wagen springen, um sich zu ›vertrampeln‹.
Zu den unangenehmen Punkten einer Eisenbahnreise gehören ferner die in größter Hast verschlungenen, meist recht schlechten Mahlzeiten, während im Gegensatz dazu die Mahlzeiten auf einem gut verwalteten Schiffe zu den angenehmsten Episoden der Reise gehören. Die Nachtruhe in einer Schiffskabine ist, wenn auch nicht immer sehr angenehm, so doch den rastlosen Nachtfahrten auf der Bahn bei weitem vorzuziehen.
Abb. 2. Speisewagen der Internationalen Schlafwagen-Gesellschaft.In den Vereinigten Staaten, deren ungeheure Ausdehnung lange Eisenbahnfahrten noch viel notwendiger machen, als dieselben bei uns sind, ist man auch zuerst daran gegangen, das Material der Bahnen so zu gestalten, dass die Eisenbahnfahrten einigermaßen erträglich werden. Der erste Schritt in dieser Richtung bestand in der Einführung von Wagen, welche in der Mitte zwischen den Sitzen einen Gang haben, so dass man sich im Wagen und unter Benutzung der am Ende desselben angebrachten Plattformen auch in die Nachbarwagen bewegen kann. Diese Wagen sind auch in der Schweiz eingeführt, wo aber ihr Hauptvorzug durch das Verbot des Aufenthalts auf den Plattformen wieder illusorisch wird. Auf den großen ungarischen Bahnen haben die Wagen einen seitlichen Gang und sind durch die weiter unten zu beschreibende Verbindung vereinigt, so dass auch hier die Reisenden nach Belieben im Zug umherspazieren können.
Wirklich bequem aber wurden lange Fahrten auf der Bahn durch den Amerikaner Pullman gemacht, der seine ›Palastwagen‹ auf den großen Linien des amerikanischen Kontinents einführte und es den Reisenden ermöglichte, im Zug selbst zu spazieren, zu essen und zu schlafen. Die Pullmanwagen sind auch auf einigen englischen Linien im Gebrauch, sonst aber in Europa bisher nicht eingeführt worden.
Dagegen hat sich hier seit etwa zwanzig Jahren die ›Internationale Schlafwagen-Gesellschaft‹ durch Einführung zweckmäßig konstruierter, bequemer Wagen ein entschiedenes Verdienst um das reisende Publikum erworben und dabei auch sehr gute Geschäfte gemacht, da jeder, der eine weite Reise unternehmen muss, sich von den Strapazen derselben gern durch Zahlung einer mäßigen Summe loskauft. Die Schlafwagen dieser Gesellschaft, die nun schon auf allen Linien laufen, sind zu bekannt, als dass wir hier besonders auf ihre Einrichtung einzugehen brauchten. Diesen Schlafwagen folgten später, wenn auch nur vereinzelt, besondere Speisewagen, in welchen der Reisende während der Fahrt in aller Ruhe zu Mittag essen kann. Als dann, durch den Ausbau der bulgarischen Bahnen, eine direkte Eisenbahnverbindung zwischen den westlichen Hauptstädten Europas und Konstantinopel geschaffen war, unternahm es die genannte Gesellschaft, einen ganzen Zug zusammenzustellen, der, aus mehreren unter sich verbundenen Wagen bestehend, dem Reisenden jede Bequemlichkeit bieten sollte, deren er, selbst bei hohen Ansprüchen, während der dreitägigen Fahrt von Paris bis Konstantinopel bedarf. So entstand der berühmte Orient-Express, ein Zug, der sich weniger durch übermäßige Schnelligkeit, als dadurch auszeichnet, dass er an keiner Haltestelle länger sich aufhält, als unbedingt nötig ist. Dieser Zug besteht aus vier der genannten Gesellschaft gehörigen Wagen. Nur die Lokomotive wird von den Eisenbahnverwaltungen, über deren Linie der Zug geht, gestellt. Das Personal des Zuges besteht aus Angestellten der Gesellschaft. Die Eisenbahnverwaltungen beziehen den üblichen Fahrpreis I. Klasse, während die Gesellschaft sich durch einen Preisaufschlag von 25 % auf diesen Fahrpreis, sowie durch den Verdienst an den während der Fahrt verabreichten Nahrungsmitteln bezahlt macht. Die Zollverwaltungen der einzelnen Länder, durch welche der Zug geht, gewähren den Reisenden desselben eine besonders rasche Abfertigung, so dass auch in dieser Beziehung die Benutzung des Zuges gewisse Bequemlichkeiten darbietet.
Ermutigt durch die Beliebtheit, deren sich der Orient-Express bald erfreute, hat die Gesellschaft später noch für den spanisch-italienischen Verkehr zwei weitere Züge, den Süd-Express und den Peninsularzug, in Betrieb gesetzt. Endlich hat sie noch einen vierten Zug hergestellt, der, alle Erfahrungen der früheren verwertend, ganz besonders bequem eingerichtet und auf der Pariser Weltausstellung 1889 ausgestellt wurde. Dieser Zug ist dann später auf der Linie Calais – Paris in Dienst gestellt worden und hat den Namen ›Club-train‹ erhalten, welcher andeuten soll, dass er den Reisenden alle die Annehmlichkeiten bieten soll, welche auch in einem guten englischen Club zu finden sind.
Der Club-train, der sich indessen nur in kleineren Einzelheiten vom Orient-Express und anderen derartigen Zügen unterscheidet, dürfte heutzutage der vollkommenste derartige Zug sein, wir wollen ihn daher unseren Lesern in Bild und Wort vorführen.
K. Küche, A. Anrichteraum, H. Heizung, W. Wäscheschrank.
Jeder dieser Züge besteht, wie aus dem Grundriss (Abb. 3) zu ersehen ist, aus vier Wagen. Hinter der Lokomotive folgt zunächst als erster der Speisewagen, an den sich der Salonwagen anschließt. Der dritte ist der Schlafwagen, in dem sich die Schlafkabinen befinden. Den Schluss bildet der Gepäckwagen, dessen vordere Hälfte abgeteilt und als Rauchzimmer eingerichtet ist.
Alle diese Wagen laufen auf sogenannten Boggies. Es ist dies eine Anordnung des Rädergestells, welche eine besonders zweckmäßige Anbringung von Federn gestattet und daher den sanften und ruhigen Gang des Wagens gewährleistet, welcher Hauptbedingung für eine bequeme Eisenbahnfahrt ist. Die Wagen sind bedeutend größer als gewöhnliche Eisenbahnwagen. So beträgt z. B. die Länge des Salonwagens im Club-train 18,34 m. Sein Gewicht ist 28 000 kg.
Abb. 4. Art der Verbindung zweier Wagen der Internationalen Schlafwagen-Gesellschaft.Alle Wagen sind kurz gekuppelt und unter sich verbunden. Die Art dieser Verbindung zeigt unsere Abb. 4. Wie man sieht, hat jeder Wagen einen Ansatz aus Stahlblech. In demselben befindet sich ein Lederbalg. Die Flansche der sich berührenden Bälge zweier Wagen sind unter sich verbunden und mit Kautschuk abgedichtet, so dass die Reisenden aus einem Wagen in den anderen gelangen können, ohne irgendwie von Zugluft, Staub oder Regen belästigt zu werden.
Die Wagen besitzen so viele Fenster als irgend möglich, aber alle diese Fenster sind doppelt und schließen dicht, so dass bei Staub oder schlechtem Wetter ein vollkommener Schutz erreicht wird. Zur Beleuchtung bei Nacht dient komprimiertes Ölgas nach dem Pintschschen System, doch ist auch in den neuesten Wagen dieser Art die Einrichtung zur Beleuchtung mit elektrischem Licht getroffen.
Am Tage halten sich die meisten Reisenden im Salonwagen (Abb. 1) auf. Im Club-train besteht derselbe aus zwei Abteilungen, von denen die eine 8, die andere 18 bequeme Sitze enthält, welche zum Teil drehbar sind und zwischen denen sich Tischchen zum Hinlegen von Zeitungen und Büchern befinden. Außerdem enthält der Salonwagen eine Kammer für Handgepäck, eine Heizkammer und zwei Waschzimmer. Die Einrichtung des Rauchzimmers im vierten Wagen ist der des Salons ganz ähnlich.
Die Mahlzeiten werden im Speisewagen (Abb. 2) eingenommen, in dessen vorderem Teile sich eine Küche und ein Anrichteraum befinden. In letzterem werden auch die mitgeführten Getränke aufbewahrt. Die beiden hier vorhandenen Speisesäle sind der eine für 24, der andere für 12 Personen eingerichtet. Die Reisenden sitzen zu zwei oder vier an bequemen Tischen, zwischen denen ein Gang für den Aufwärter frei bleibt. Der Speisewagen des Orient-Express hat nur 24 Plätze im Ganzen.
Abb. 5. Ein vierplätziges Abteil eines Schlafwagens der Internationalen Schlafwagen-Gesellschaft bei Tage und bei Nacht.Der Schlafwagen besteht aus 5 Abteilungen zu je zwei und 2 Abteilungen zu je vier Betten, welche längs eines gemeinsamen Seitenganges angeordnet sind. Das Innere einer vierplätzigen Abteilung zeigt unsere Abb. 5 am Tage und in der Nacht. Die Rückwand der Sitze kann emporgeklappt werden und bildet alsdann das obere Bett. Die Kissen, Decken und das sonstige Zubehör der Betten wird am Tag im Inneren des Sitzpolsters aufbewahrt. An den beiden Enden des Wagens befinden sich die nötigen Waschräumlichkeiten.
Durch die Benutzung eines derartig zusammengestellten Zuges kann man sich die Strapazen einer langen Eisenbahnfahrt ungemein erleichtern. Während unter gewöhnlichen Verhältnissen eine lange Bahnfahrt so sehr ermüdet, dass die durch sie ersparte Zeit nachträglich wieder durch die unumgänglich notwendige Erholung verloren wird, kann man tatsächlich bei der Benutzung eines solchen Zuges darauf rechnen, den Ort seiner Bestimmung ebenso frisch zu erreichen, als man seine Heimat verließ. Es ist dies ein nicht zu unterschätzender Gewinn, welcher oft durch den zu zahlenden Aufpreis billig genug erkauft wird.
Es kann wohl angenommen werden, dass derartige Züge sich auf den befahrensten Linien Europas mehr und mehr einbürgern werden. Das Reisen, der Besuch und das Studium fremder Länder und Völker ist unzweifelhaft die edelste und schönste Erholung des denkenden Menschen. Sie wird durch die beschriebenen Vorkehrungen auch jenen Personen immer zugänglicher werden, welche dieser Erholung durch Kränklichkeit oder Schwäche am meisten bedürfen, bis jetzt noch aber an weiteren Reisen durch die Furcht vor den mit denselben verbundenen Strapazen verhindert werden.