Feuilleton – Land & Leute
Eine Fischerfamilie an den Küsten der Normandie
Illustrirte Welt • 1854
In keiner der am Meer liegenden Provinzen Frankreichs hat die Fischerei einen solchen Grad von Ausdehnung erreicht, als in der Normandie. Es ist, als ob die Abkömmlinge der alten Könige des Meeres, die sich unter Gang Roll in Neustrien niederließen, nicht auf das abenteuerliche Leben des schwimmenden Holzes hätten verzichten können, nur dass sie es in eine friedliche Industrie verwandelten. Der Überfluss an Fischen und die Nähe des Marktes von Paris haben die vererbte Neigung, welche noch von besonderen Institutionen begünstigt wurde, vergrößert. Auch sind die Interessen der normannischen Fischer nicht wie die der Fischer der übrigen Provinzen getrennt. Sie bilden Gesellschaften, welche zu eigentlichen Gemeinden werden, die ein Syndikus ihrer Wahl, der Equoreur, regiert.
Dieser befindet sich bei der Landung der Schifferboote am Ufer; er nimmt die Fische in Empfang, überwacht den Verkauf an die Fischgroßhändler, erhält das Geld und ist dafür verantwortlich. Er besorgt alle Angelegenheiten der Gesellschaft, macht die Verteilung, gibt den Mitgliedern Kredit, verwaltet ihren Gewinn und ihre Ersparnisse. Ein guter Equoreur bereichert die Gesellschaft, der er vorsteht, nicht allein durch seine Verwaltung, sondern auch durch die Autorität, mit der er den verbündeten Fischern seinen Rat erteilt und ihm Folge zu geben weiß.
Er erhält ein Prozent von den gewöhnlichen Fischzügen, ein halbes Prozent bei den großen Fängen; aber bei den Letzteren hat er nicht die Verantwortlichkeit des Geldeinzugs, da der Verkauf in solchen Fällen beinahe immer an entfernten Orten und durch Unterhändler geschehen muss.
Bei den Gesellschaften gehören die Boote gewöhnlich der Gemeinde; jeder Fischer bringt nichts mit sich als seine Arme und einiges Fischergeräte, die sogenannten Appelets. Die Verteilung des Gewinns geschieht nach der Anzahl und Größe der Garne. Die Boote fahren nicht sogleich ab, sondern nach freundschaftlicher Übereinkunft, die über die passendste Art und Reihenfolge entscheidet.
Die Familie eines Fischers aus der Normandie.Wenn eines der Mitglieder stirbt, so tritt die Witwe in seine Rechte ein, sobald sie dieselbe Anzahl von Appelets liefert und einen Menschen engagiert, der sich für sie einschifft.
Diejenigen Fischer, welche zu arm sind, um selbst das Fischergerät beizubringen, entlehnen welches und beteiligen sich auf diese Weise an dem Gewinn der Gesellschaft.
Von jedem Fischzug wird zum Voraus, ehe man teilt, ein Siebentel der Bruttoeinnahme für den Fonds abgezogen, aus welchem die Unterhaltung und Neubeschaffung der Schiffe besorgt wird.
Alle Gesetze der Gesellschaft sind durch den Gebrauch geheiligt und geben nie zu Streitigkeiten Veranlassung. Auf eine natürliche Gerechtigkeit und ein Gefühl der Brüderlichkeit begründet, bilden sie ein Recht, dem sich Niemand ungestraft entziehen kann. Der Fischer, der seine Pflichten nicht erfüllte, der seine Verbündeten zu hintergehen suchte, oder die Entscheidung des Equoreur nicht gelten lassen und an die Tribunale appellieren wollte, würde sich in den Augen der Gemeinde so tief herabwürdigen, dass er unbarmherzig von ihr ausgestoßen zu werden erwarten müsste.