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Ein neues Fahrrad

Prometheus • 25.3.1891

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Als vor etwa zwanzig Jahren die Fahrräder in den Gebrauch kamen, da fehlte es nicht an Ärzten, welche dringend vor dem neuen Sport warnten, weil nach ihrer Ansicht eine höchst schädliche Erschütterung des Körpers durch denselben hervorgebracht werde. Diese Warnung war nicht so ganz unbegründet, denn die damalige Form des Fahrrades war in der Tat eine solche, dass man sich wundern muss, dass irgendjemand sie zum Vergnügen benutzen konnte. Unsere Leser werden sich gewiss noch der etwas schwerfälligen Maschine mit zwei nahezu gleich großen Rädern erinnern, welche beim Fahren den Sportsmann so kräftig durchschüttelte, dass sie in England den wohlverdienten Namen ›bone shaker‹ erhalten hat.

Die Sache wurde ganz anders, als unsere jetzigen Zweiräder eingeführt wurden, bei denen das Gewicht des ganzen Körpers hauptsächlich auf das eine Rad gelegt wurde. Alle lockeren, klapperigen Verbindungen wurden unterdrückt, die Räder wurden aus feinen, aber äußerst kräftigen Stahldrähten zusammengesetzt, und das Gerüst der Maschine erhielt eine höchst zweckmäßige, sehr steife Form. Die Hauptsache aber war, dass durch Anwendung von Gummireifen, welche um die Räder gelegt werden, sowie durch die Lagerung des Sitzes auf sehr kräftigen Federn, die von den Unebenheiten der Straßen herrührenden Stöße auf die Person des Reiters nicht übertragen werden, so dass die Bewegung eine äußerst gleichmäßige und sanft gleitende wird. Durch Verwendung eines sehr großen Triebrades ist auch die Schnelligkeit bis ins Außerordentliche gesteigert worden. In dieser neuen Form, welche hauptsächlich in England ausgearbeitet wurde, ist das Fahrrad ein höchst beliebtes Instrument und die Benutzung desselben ist ein eifrig gepflegter Sport geworden. Der ursprüngliche Name Veloziped ist dem alten Marterinstrument verblieben, während die neue zweckmäßige Form als Bicycle bekanntwurde, ein Name, der in Deutschland erst vor Kurzem durch die deutsche Bezeichnung ›Fahrrad‹ ersetzt worden ist.

Indessen blieb die Vervollkommnung bei den beschriebenen Abänderungen nicht stehen. Mit der erhöhten Leichtigkeit und Schnelligkeit war auch die Kunst des Radfahrens schwieriger geworden, nur junge, kräftige Leute konnten sich derselben hingeben, und auch sie brauchten geraume Zeit, ehe sie es erlernten, sich auf der Maschine im Gleichgewicht zu halten. Die nunmehr anerkannte zweckmäßige und wohltätige Wirkung des neuen Sports legte aber den Wunsch nahe, eine Form des Fahrrades zu finden, welche auch ohne besondere Übung von jedermann benutzt werden konnte. Es war hierzu nur notwendig, das Fahrrad anstatt auf zwei auf drei Räder zu stellen. So einfach diese Lösung der Frage erscheint, so bot ihre Ausführung dennoch ganz erhebliche Schwierigkeiten, welche bewirkten, dass alle Versuche zur Herstellung von Dreirädern im Anfang scheiterten. Man glaubte nämlich genug getan zu haben, wenn man statt des einen kleinen Hinterrades deren zwei anbrachte; man fand aber, dass damit alle Vorteile des Bicycle illusorisch wurden, dasselbe verlor den größten Teil seiner Lenkbarkeit, wurde schwerfällig und zeigte in der neuen Form eine höchst unliebsame Neigung, mit dem Reiter nach vorn überzukippen, sobald es auf ein Hindernis stieß. Dieses Überkippen ist schon bei der zweirädrigen Maschine eine gefährliche Unart, welche manchem Radfahrer das Leben gekostet hat, bei dem Dreirad, welches ja gerade für weniger gewandte Personen dienen sollte, führte sie zu einem entschiedenen Misserfolg.

Die Dinge änderten sich erst, als man eine Maschine baute, bei der gerade so wie bei dem ursprünglichen Veloziped das Gewicht des Reiters von den Hinterrädern getragen wurde. Hierzu war es notwendig, diese hinteren Räder größer und kräftiger zu machen, als das vordere, und nunmehr entstand die neue Schwierigkeit, dass eine so gebaute Maschine nicht mehr die nötige Schnelligkeit zu erreichen gestattete. Aber auch diese Schwierigkeit wurde überwunden, als man das Tretwerk nicht direkt mit der Achse des vorderen Rades verband, sondern eine Kettenübersetzung zwischen Tretwerk und hinterer Radachse einschaltete, welche so angeordnet war, dass die Bewegung wesentlich schneller wurde; eine einmalige Drehung des Tretwerkes bewirkte eine zweimalige Umdrehung des Rades, und die erreichte Schnelligkeit war eine solche, als wenn der Fahrende ein nahezu doppelt so großes Rad durch direktes Treten in Umdrehung versetzt hätte. Die ganze Anordnung wurde so sorgfältig ausgearbeitet, dass alles Schlottern des Mechanismus und damit fast aller Kraftverlust vermieden war. In dieser neuen Form war das Dreirad ein wahrhaft vollkommenes Instrument, die geniale Anordnung der Übersetzung durch eine Kette erwies sich als so vorteilhaft, dass sie auch auf das ursprüngliche Bicycle übertragen wurde, welches dadurch die Tendenz zum Überkippen verlor. Heute sind die übersetzten, mit zwei nahezu gleichgroßen Rädern versehenen Maschinen fast ebenso zahlreich, als die alten ungleichrädrigen Formen.

Das neue Dreirad aber ist ein allgemeiner Liebling geworden, in England sieht man alte Herren und auch Damen dasselbe vielfach benutzen und auch in Deutschland ist es längst nicht mehr im ausschließlichen Gebrauch der kräftigsten Jugend. Die Ärzte haben die Benutzung desselben als ein höchst nützliches Vergnügen anerkannt und mancher wird heute zum Radfahrer auf den direkten Rat seines Arztes. Die Beinmuskeln werden durch das Radfahren sehr gekräftigt, der Fahrsport vertritt im Frühjahr und Sommer die Stelle des auf den Winter beschränkten Schlittschuhlaufens.

Gerade vom ärztlichen Standpunkt aus aber ist das Dreirad noch weiterer Vervollkommnung fähig; es wird ihm vorgeworfen, dass es die Übung lediglich auf die Beine beschränkt, die Rumpf- und Armmuskeln dagegen so ziemlich in Untätigkeit belässt. Es ist das Verdienst des Oberstabsarztes Dr. Tiburtius, den ersten Versuch gemacht zu haben, auch in dieser Richtung das Instrument zu vervollkommnen. Derselbe hat eine Form des Dreirades erfunden, welche alle die bisher geschilderten Vorzüge unverändert beibehält, dabei aber noch dem Fahrenden ermöglicht, nach Wunsch den Antrieb auch mit den Händen in einer Weise bewirken zu können, welche der Ruderbewegung analog ist. Wir freuen uns die ersten zu sein, welche die neue Erfindung in Wort und Bild einem größeren Leserkreise vorführen.

Ruder-FahrradDas neue Ruder-Fahrrad.

Unsere Abbildung, welche nach dem ersten Modell des soeben patentierten Apparates angefertigt ist, bedarf keiner sehr eingehenden Erklärung, um unseren Lesern verständlich zu sein. Alle Teile eines gewöhnlichen Dreirades sind vorhanden, das hintere Räderpaar hat etwa den doppelten Umfang des Vorderrades, welches nur zum Steuern dient. Das Tretwerk befindet sich im Mittelpunkte der Anordnung, seine Bewegung wird durch eine Kette auf die Achse des hinteren Räderpaares übertragen. Der Sitz ist auf Federn gebettet und hängt über der hinteren Radachse. Wenn man mit den Füßen fährt, so benutzt man zum Steuern die beiden Handhebel, welche in schwach ansteigender Richtung von der Gabel des Vorderrades nach dem Sitz zu verlaufen. So weit sind die Teile der Maschine alt und wohlbekannt. Die neu hinzugekommenen Elemente sind ebenfalls in der Zeichnung wohl erkennbar und bestehen aus folgenden Teilen: Hinter dem Sitze befindet sich ein mit der Hand leicht erreichbarer Hebel, durch dessen Drehung die Kettenübersetzung von dem Tretwerk abgekuppelt und eine zweite an die Radachse angekuppelt wird. Diese zweite Kettenübersetzung verläuft, wie man sieht, von der hinteren Radachse zu einer in der Mitte des Apparates befindlichen Trommel; ein auf derselben angebrachtes kleines Zahnrad wird durch ein zweites, darüber gelagertes, größeres Zahnrad in Bewegung gesetzt. Dieses größere Zahnrad steht mit dem eigentlichen Rudermechanismus in Verbindung, welcher in Form zweier gegliederter Hebel noch oben hinausragt.

Ergreift man diese Hebel und legt sie, indem man den Körper vorbeugt, nach vorn über, so greifen sie in Zähne ein, welche zu beiden Seiten des oberen Zahnrades angebracht sind. Zieht man die Hebel nun zurück, so wird natürlich das Zahnrad bewegt und damit auch die Radachse in Umdrehung versetzt. Sind die Hebel hinten angelangt, so stoßen sie auf eine keilförmig gestaltete aufgelagerte Platte, werden dadurch zur Seite gebogen und vom Zahnrad abgelöst; sie können nun frei wieder nach vorn gelegt werden, worauf das ganze Spiel aufs Neue beginnt. Man sieht, dass die Ruderbewegung aufs Vollkommenste nachgeahmt ist, es sind nur noch zwei Bedingungen zu erfüllen, um dem Apparat eine praktisch brauchbare Form zu geben. Erstens muss man beim Rudern die Füße bei ziemlich gestreckten Beinen gegen eine feste Widerlage anstemmen können. Zu diesem Zwecke ist vorn an der Maschine eine verstellbare Vorrichtung angebracht; dieselbe besteht aus zwei aufzuklappenden Bügeln, welche an Haken verschieden hochgestellt und durch Keile festgeklemmt werden können. Auf diese setzt man während des Ruderns die Füße in ähnlicher Weise, wie in einem Boot auf die verstellbaren Fußbretter. Die zweite zu erfüllende Bedingung ist die Steuerbarkeit. Da man beim Rudern die Hände nicht frei hat, so ist der gewöhnliche Steuermechanismus nicht mehr ausreichend. Deshalb sind an der Maschine zwei Flügel angebracht, deren einer auf unserer Abbildung sichtbar ist und den Rudermechanismus zum Teil verdeckt. Diese Flügel befinden sich ungefähr da, wo die Knie des Rudernden sind; drückt er mit einem Knie gegen einen der Flügel, so wird damit die Gabel des Vorderrades gedreht und der Apparat gesteuert.

Durch die beschriebenen Zusätze wird natürlich die Leichtigkeit der Maschine etwas herabgemindert, es ist indessen keineswegs beabsichtigt, durch die Verwendung der Hände eine größere Schnelligkeit oder Leichtigkeit der Bewegung hervorzubringen, die Aufgaben der Maschine sind lediglich hygienische. Die höchst gesunde und zweckmäßige Bewegung des Ruderns ist nur wenigen in ihrer normalen Form als Wassersport zugänglich, ihr hygienischer Wert ist aber so sehr anerkannt, dass z. B. unter den Apparaten der schwedischen Heilgymnastik auch solche sich befinden, welche die Ruderbewegung nachahmen, hier fehlt aber das Hauptheilmittel, die frische Luft. Es muss daher als ein glücklicher Gedanke bezeichnet werden, die Ruderbewegung auf das Dreirad zu übertragen und so dieses zu einem gymnastischen Apparat zu machen, welcher sämtliche Muskeln des Körpers in heilsamster Weise in frischer Luft in Tätigkeit versetzt. Wenn auch an dem Apparat diese und jene Änderung noch vorgenommen werden dürfte, ehe derselbe seine endgültige und zweckmäßigste Form erreicht, so ist doch der in demselben verkörperte Gedanke ein so glücklicher, dass wir der Erfindung eine gute Zukunft prophezeien zu können glauben. Hoffentlich sehen wir recht bald zahlreiche ›Ruderräder‹ auf unseren Straßen sich bewegen.

• Auf epilog.de am 12. September 2024 veröffentlicht

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