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Die Drahtluftbahn
in Teutschenthal bei Halle a. d. S.

Illustrirte Zeitung • 26.9.1874

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Wohl besorgen oder vermitteln die Eisenbahnen die Beförderung von Gütern und Lasten auf den großen Verkehrsstraßen mit einer Schnelligkeit und Sicherheit, welche allen gerechten Anforderungen entspricht, wohl werden fortwährend neue Eisenbahnlinien gebaut und dadurch die Zahl solcher belebender Verkehrsstraßen beständig vermehrt. Trotzdem wird es nicht möglich sein, alle Gegenden und Ortschaften in das immer dichter werdende Netz der Schienenwege einzuschalten und die Eisenbahn allen Privatinteressen dienstbar zu machen. In solchen Fällen nun, wo die Herstellung einer Eisenbahnverbindung aus irgendwelchen Gründen nicht möglich oder nicht genügend rentabel ist, musste daher, um mit der Zeit fortzuschreiten, notwendigerweise an die Herbeischaffung irgendeines entsprechenden Ersatzmittels gedacht werden. Dass ein solches Ersatzmittel bereits gefunden und praktisch ausgeführt worden ist, beweist uns die Drahtluftbahn in Teutschenthal. Wir begrüßen diese Tatsache mit aufrichtiger Freude, denn durch die Drahtluftbahnen wird die Industrie an vielen Orten einen neuen segenbringenden Aufschwung erhalten. Was die Eisenbahnen bereits für die Allgemeinheit sind, das werden die Drahtluftbahnen für die Privatinteressen wahrscheinlich in kurzer Zeit werden. Die Drahtluftbahnen dienen zur Ergänzung des Eisenbahnwesens und haben vor diesem den Vorzug, dass sie überall möglich, überall mit verhältnismäßig geringen Kosten und auch in kleinerem Maßstab herstellbar sind und fast kein Terrain beanspruchen, sondern über Felder, Wiesen, Straßen und Flüsse sich spannen lassen.

Die ursprüngliche Idee zur Herstellung solcher Luftwege ist übrigens älter als die der Eisenbahn. Schon im Jahr 1644 benutzte der holländische Ingenieur Adam Wybe in Danzig ein vom Bischofsberg über den gegenüberliegenden Stadtgraben gespanntes Seil zur Beförderung von Erde; in ähnlicher Weise wurden seitdem, namentlich in Amerika, derartige Seilbahnen aufgestellt, um Lasten, z. B. Erze oder Kohlen, über Flüsse und Taleinschnitte zu befördern. Auch in Südtirol wurde im Jahr 1857 ein Drahtseil gespannt, um an demselben vermöge seines Eigengewichts Holz aus hochgelegenen Waldungen nieder­gleiten zu lassen. Alle diese Anlagen waren jedoch mehr oder weniger unvollkommen und vergänglich, und so blieb es denn unserer Zeit vorbehalten, dieser Idee Lebensfähigkeit zu geben.

Zu den am besten konstruierten Drahtluftbahnen unserer Zeit gehört unstreitig die in Teutschenthal nach dem System des Ingenieurs Bleichert in Schkeuditz ausgeführte. Dieselbe wurde für die Vereinigte sächsisch-thüringische Paraffin- und Solarölfabrik zu Teutschenthal angelegt, um den Transport der Braunkohlen von der Grube bis zu den Teer­schwele­reien zu bewirken. Sie erstreckt sich auf eine Länge von 740 m und wird von Säulen getragen, die in Abständen von 15 – 18 m aufgestellt sind. Auf derselben laufen 36 Förderwagen mit einer Geschwindigkeit von 3 m/s. Nach je 45 – 50 Sekunden wird ein Förderwagen gefüllt, und je eine Füllung beträgt 165 kg Kohlen, also bei 10-stündiger Arbeitszeit täglich 132 t Kohlen auf dieser Bahn transportiert werden. Die Bahn überschreitet außer zwei Kommunikationswegen eine Chaussee und erreicht stellenweise bei einer Steigung von 1 : 28 eine Höhe von 10 m. Die Förderungskosten betragen mit Ein-und Ausladen der Förderwagen weniger als ein Drittel früheren Transportkosten per Achse. Dabei sind Witterungszustände ohne Einfluss auf den Betrieb dieser Luftbahn.

Drahtluftbahn in TeutschenthalAbb. 1.

Die vorstehenden tatsächlichen Angaben werden sicherlich genügen, um das Interesse für die nun folgende kurze Beschreibung dieser Bahn, zu deren Verdeutlichung unsere Abbildungen dienen, anzuregen. Die Abb. 1, welche zunächst zur Erläuterung des Systems dient, lässt deutlich erkennen, dass die Bahnlinie von X ausgehend nach Z und von da nach Y zurückläuft. Die beiden Linien X Z und Z Y laufen, fest gespannt, parallel nebeneinander in einer Entfernung von 125 cm. Diese Linien werden gebildet von einem 30 mm starken festen Rundeisenstab, auf welchem sich an Rollen hängend die Förderwagen p p bewegen. Zur Vermittlung dieser Bewegung dient ein schwaches Drahtseil ohne Ende, welches durch die punktierte Linie m n f angedeutet ist und auf den Rollen g g g aufliegt. Durch eine Lokomobile wird das Drahtseil in der durch die Pfeile angedeuteten Richtung in kreisender Bewegung erhalten und zieht die Förderwagen, wenn dieselben an dem Seil befestigt, worden, mit sich fort. Das Ganze wird durch die Holzsäulen 1, 2, 3, 4, 5 … in der Luft schwebend erhalten. Bei a wird die Last aufgeladen und nach b befördert; von b gehen die Wagen leer über Z zurück nach a.

Drahtluftbahn in TeutschenthalAbb. 2.
Drahtluftbahn in TeutschenthalAbb. 3.

Nach dem Gesagten werden nun auch unsere speziellen Abb. 2 u. 3 leicht verständlich sein, um so mehr, als bei denselben wieder die nämlichen Buchstaben zur Bezeichnung der einzelnen Hauptbestandteile benutzt worden sind. Wir sehen jetzt (in B) die Lokomobile S, welche das Drahtseil m n vermittels der Seilräder r t und u in kreisende Bewegung versetzt. Dieses Drahtseil ist zusammengesetzt aus einzelnen Stücken, welche durch eine Art von Gliedern oder Gelenken in solider Weise miteinander zum Ganzen verbunden sind. An diesen Gelenken befindet sich eine Vorrichtung, um mittels eines S-Hakens die Förderwagen bequem einhängen zu können, wenn sie fortbewegt werden sollen, oder um sie auszuhängen, wenn sie zum Behuf der Füllung oder Entleerung aus der Zirkulation ausgeschaltet werden sollen. Die beiden Abb. 4 u. 5 lassen erkennen, wie der S-Haken mit dem Knoten im Seil über die Rollen gleitet, wie die Laufräder auf dem Rundeisenstab gehen und wie überhaupt der Kopf der Förderwagen sowie der Säulen beschaffen ist. Die Rollen oder Laufräder, die auf dem Rundeisenstab gehen, tragen den Förderwagen nur einseitig, wodurch das Überschreiten der Unterstützungspunkte ermöglicht wird.

Drahtluftbahn in TeutschenthalAbb. 4.
Drahtluftbahn in TeutschenthalAbb. 5.

Zur Anspannung des Rundeisenstabs an dem einen Ende bei X und W dienen entsprechende Ketten (s. Abb. 3), welche über die Rollen h h laufen und die Spanngewichte k k, d. h. zwei mit Steinen gefüllte große Kästen tragen. Bei der ersten Endstation a (Abb. 2) wird der Rundeisenstab durch das Gerüst Z Z gespannt. Auf dieser Station a wird die Last von einer Kohlenbühne aus aufgegeben; ein Arbeiter hängt dann den Wagen ein, und so geht der Wagen allein fort bis zur Station b (Abb. 3), wo er ausgehängt und in der Art ausgeschüttet wird, dass die Kohle durch einen Schlot auf einen untergestellten Wagen fällt. Der entleerte Förderwagen p wird nun von einem Arbeiter um die Wende­station d herum­gescho­ben, wieder aufgehängt und geht nun leer zurück, um die sogenannte Drehbahn W (Abb. 2) wieder nach a, wo er von neuem gefüllt wird, um denselben Kreislauf durchzumachen.

Zurzeit wird in der Nähe von Gohlis bei Leipzig eine ähnliche Drahtluftbahn, ebenfalls nach dem System des Ingenieurs Bleichert, aufgestellt, welche nächstens in Betrieb kommt.

Entnommen aus dem Buch:
Während Seilbahnen im ostasiatischen Raum schon recht früh zum Einsatz kamen, wurden in Europa erst ab dem späten Mittelalter vereinzelte Anlagen erbaut. Ausgehend von der Entwicklung von Seileriesen für den Holz-Transport begann dann um 1870 die systematische Konstruktion von Seilbahnen. Gustav Dieterich schildert die Geschichte der Seilbahnen von den Anfängen bis zum ›System Bleichert‹, und so bietet diese erweiterte und reichhaltig illustrierte Neuausgabe einen umfassenden Überblick über die Erfindung der Drahtseilbahnen.
  PDF-Leseprobe € 18,90 | 172 Seiten | ISBN: 978-3-7693-4011-2

• Auf epilog.de am 12. Februar 2025 veröffentlicht

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