VerkehrNahverkehr

Die Stufenbahn auf der Pariser Weltausstellung 1900 und ihre Vorläufer

Polytechnisches Journal • 8.7.1899

Voraussichtliche Lesezeit rund 21 Minuten.

Unter den jüngeren, zur Bewältigung der Personen-Massenbeförderung innerhalb beschränkter Gebiete, namentlich auf Ausstellungen in Versuch gekommenen Verkehrsmitteln ist die so genannte  Stufenbahn in vieler Hinsicht die interessanteste. Der Betrieb dieser Bahnen gilt als besonders sicher, indem sowohl der Fahrweg als die die Sitzplätze tragenden Fahrzeuge ein ununterbrochenes, in sich zurückkehrendes Ganzes bilden, und sonach nirgends durch Weichen oder Kreuzungen unterbrochen werden oder Hindernisse im Gleis vorfinden können. Alle auf diese Einrichtungen und Möglichkeiten zurückzuführenden Unfälle, wie beispielsweise Zugstreifungen, Zusammenstöße und Entgleisungen sind also von vorhinein hintangehalten. Da ferner die Schienen, Räder und Antriebsvorrichtungen durch Verschalungen vollkommen abgeschlossen sind, so entfallen auch alle diesfälligen Gefährdungen und selbst das Ausgleiten einer Person auf einer der Plattformen der Bahn kann keine größeren Nachteile nach sich ziehen als auf dem Erdboden. Für die Fahrgäste liegt ein besonderer Vorteil in der gleichmäßigen, vollständig stoßfreien Geschwindigkeit der Fahrzeuge, welche keinerlei Bremsvorrichtungen erfordern und für das Kommen und Gehen der Fahrgäste ihren Lauf nicht erst zu mäßigen brauchen. Die letzteren können vielmehr von jedem beliebigen Punkt der Straße aus die Sitzplätze der Bahn mit wenigen Schritten erreichen oder verlassen, ohne dass hierzu das sonstige, so zeitraubende Anhalten erforderlich ist. Mit dieser Bequemlichkeit verbindet sich noch eine Leistungsfähigkeit, welche die größten Anforderungen übertrifft, die an irgend ein Verkehrsmittel ähnlicher Art bisher gestellt worden sind. Wenn die Fahrgeschwindigkeit der wie die Glieder einer Kette ohne Ende aneinander gereihten Fahrzeuge einer Stufenbahn nur 9,6 km/h beträgt, wie es bei den bisherigen praktischen Ausführungen immer der Fall gewesen ist, und auf je 3,65 m Bahnlänge 12 Sitzplätze entfallen, so beläuft sich die Maximalzahl der Personen, welche in der Stunde befördert werden können, auf 31 578, eine Zahl, welche unter gleichen Gewichtsverhältnissen des rollenden Materials und unter Aufwendung der gleichen Zugkräfte wohl kaum von irgendeinem verwandten Verkehrsmittel erreicht werden kann. Dabei ist auch der Bedarf an Zugbeamten nur ein ganz geringer, da sich derselbe lediglich auf mehrere Schaffner erstreckt, welche die Aufgabe haben, den ungewandten Fahrgästen beim Aufsteigen oder beim Verlassen der Fahrbahn behilflich zu sein, und auf ein paar Beamte, welche die Bezahlung des Fahrgeldes überwachen.

Selbstverständlich fehlt es den Stufenbahnen nicht auch an leidigen Schattenseiten, an deren Spitze wohl die Misslichkeit steht, dass das System nur für relativ kurze Anlagen brauchbar erscheint und bezüglich des Befahrens schärferer Kurven keine Eignung besitzt. Die volle äußerste Leistungsfähigkeit wird während des Betriebstages nur in wenigen Stunden zur Geltung gelangen, wogegen in all der übrigen Zeit bei einer um so niedrigeren Leistung der ganze Betriebsaufwand derselbe bleibt. Schon die laufende Unterhaltung bietet Schwierigkeiten, insofern sie im Wesentlichen nur in den dienstfreien Stunden, also während der Nacht vorgenommen werden kann; einzelne plötzlich eintretende Gebrechen an dem rollenden Material können aber, selbst wenn sie an sich ganz geringfügig sind, kleinere oder größere Unfälle verursachen oder mindestens Verkehrsstörungen veranlassen, die sich stets auf den gesamten Verlauf der Bahn ausdehnen. Alle Reparaturen an jenen Teilen, welche unter den Bodenplatten liegen, werden sich in der Regel nur ausführen lassen, wenn die Bahn außer Betrieb gestellt ist. Tritt auch nur auf einem Punkte der Bahn die Notwendigkeit ein, dass daselbst die Bewegung aufhöre, so erstreckt sich dieser Zwang auf die ganze Bahnlinie. Im Übrigen sind die mit den Stufenbahnen gemachten praktischen Erfahrungen bisher so gering, dass die hieraus in Betreff der Vorzüge und Nachteile dieses Verkehrsmittels gewonnenen Urteile noch keineswegs als erschöpfend oder endgültig gelten können.

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Die Aufbruchstimmung und der technische Fortschritt im 19. Jahrhundert führten zu immer neuen Erfindungen, die den Verkehr beschleunigen und die Antriebe optimieren sollten. Dabei wurde oft das System von mit Dampflokomotiven bespannten Zügen auf zwei Schienen grundlegend in Frage gestellt. Manche dieser Ideen sind heute wieder aktuell, und so lohnt sich ein unverfälschter Blick auf dieses interessante Kapitel der Verkehrsgeschichte.
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• Auf epilog.de am 10. September 2024 veröffentlicht

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