Handel & IndustrieFabrikation

Die Herstellung der Pneumatiks

Das Neue Universum • 1900

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Unter allen Teilen des Fahrrades oder Motorwagens sind die Luftreifen diejenigen, von deren Funktionieren oder Nichtfunktionieren die Leistungen des Fahrers am meisten abhängen und die bei einem plötzlichen geringfügigen Hindernisse, beim Überfahren eines Dornenstachels, eines Nagels oder einer Glasscherbe, auch den geschicktesten Fahrer mit Sicherheit lahmlegen können. Die Widerstandsfähigkeit des Pneumatiks gegen derartige Fälle zu steigern, ist von jeher das Bestreben der Pneumatikfabriken gewesen, unter denen einige, wie z. B. die Dunlop-Compagnie in England, die Excelsior- und Kontinental-Pneumatikfabrik in Deutschland, durch die Güte und den Umfang ihrer Erzeugnisse einen Weltruf erlangt haben. Der bewährte Excelsior-Pneumatik bildet ein Spezialerzeugnis der alten Hannoverschen Gummi-Kamm-Compagnie, deren weitläufige, besonders für die Pneumatikfabrikation eingerichtete Fabrikorganisation unsere Abbildungen zeigen.

Rohgummi-WaschsaalRohgummi-Waschsaal.

Unter den großen Mengen von Rohmaterial, die in den Lagerräumen der Fabrik aufgehäuft sind, zeichnet sich der für die Luftreifen verarbeitete feine Paragummi schon äußerlich durch seine helle Farbe, seine Reinheit und seine Elastizität aus. Schon bei seiner Gewinnung wird sorgsam darauf geachtet, dass der aus den angeschnittenen Bäumen träufelnde harzige Milchsaft nicht durch Rindenstücke, Erde und dergleichen verunreinigt wird. Trotzdem ist vor dem Gebrauch noch eine gründliche Durcharbeitung der Masse in besonderen Wasch- und Reinigungsmaschinen erforderlich. Die großen Stücke Rohgummi werden zwischen geriffelten Walzen einer rotierenden Maschine in kleine Fetzen zerrissen, und das durch vorheriges Kochen aufgeweichte Material wird während der Zerkleinerung durch fortwährendes Bebrausen mit kaltem Wasser auch von den kleinsten Unreinlichkeiten befreit. Auf Trockenböden wird das gereinigte Gummi bei einer Temperatur von etwa 40° getrocknet, dann in den Knetmaschinen wieder zu größeren Klumpen vereinigt und ihm hierbei das zur Vulkanisation erforderliche Quantum Schwefelblüte beigemischt. In großen Kalandern (Rotationsmaschinen mit vielen aufeinander folgenden Walzen, wie sie auch in der Papier- und Zeugfabrikation Anwendung finden) wird die Masse zu langen dünnen Platten ausgewalzt, die jedoch bei weitem nicht die Stärke besitzen, wie sie zur Herstellung der Pneumatikdecken erforderlich ist. Die Platten werden vielmehr in geräumigen Sälen wieder in schmale Streifen zerschnitten und durch Zusammenkleben zur erforderlichen Stärke vereinigt.

MischsaalMischsaal.
ReifenfabrikationssaalReifenfabrikationssaal A. Vollendung der Laufdeckenfabrikation bis zur Aufbringung auf die Form.
ReifenfabrikationssaalReifenfabrikationssaal B. Vollendung der Laufdeckenfabrikation bis zur Aufbringung auf die Formen.
ReifenfabrikationssaalReifenfabrikationssaal C. Konfektion der Laufdecken im Rohzustand.
ReifenfabrikationssaalReifenfabrikationssaal D. Zuschneiden der gummierten Stoffe und Gummiunterlagen für die Laufmantelfabrikation.
Deckelwickel- und VulkanisiersaalDeckelwickel- und Vulkanisiersaal.

Das so bereitete Gummi dient lediglich zur Herstellung der Laufdecken, die eine große Zähigkeit und Festigkeit mit Elastizität und Widerstandsfähigkeit gegen Nässe verbinden müssen. Die beiden letzteren Eigenschaften sind dem Gummi eigen, die erstere dagegen kann nur durch eine fest mit ihm vereinigte Unterlage von sehr dauerhaftem Stoff erreicht werden. Diese Unterlagen werden besonders für die Zwecke der Pneumatikfabrikation aus bester Baumwolle gewebt, in großen Stücken mit Hilfe besonderer Maschinen gummiert und zu mehreren Schichten übereinandergeklebt. Dann werden auch aus diesem Stoff, wie aus dem Gummi, schmale, passende Streifen geschnitten, und endlich auf besonderen Formen Stoffunterlagen und Gummidecken fest miteinander vereinigt. Dabei erhalten zugleich die Gummidecken durch Einpressen in die Formen die Verstärkungen oder Wulste, deren sie zur Befestigung auf der Radfelge bedürfen. Auf den Formen sitzend werden die Laufdecken auf besonderen Wickelmaschinen durch Bewickelung einem hohen Druck ausgesetzt und in diesem Zustande in die Vulkanisierkessel geschoben.

In denselben werden sie durch heiße Dämpfe einer Temperatur von 130° ausgesetzt und hierbei geht die Vulkanisation vor sich, indem Gummi und Schwefel sich gleichmäßig unter dem Einfluss der Hitze verbinden. Erst durch die Vulkanisation erhält der Gummi seine dauernde Elastizität und Widerstandsfähigkeit.

Die Luftschläuche des Pneumatiks werden direkt aus dem plastischen Material mit Hilfe von Schlauchpressen geformt, wobei ein nahtloser Schlauch entsteht. Von diesem werden genau passende Längen abgeschnitten, auf Stangen vulkanisiert, mit den Enden vereinigt, mit Ventilen versehen und mehreren Proben auf ihre absolute Luftdichtigkeit ausgesetzt, bevor sie gleich den Laufdecken oder Mänteln fertig zum Verkauf sind.

Entnommen aus dem Buch:
Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ersetzten Dampfmaschinen zunehmend die Muskelkraft und ermöglichten eine zunehmende Mechanisierung der bis dahin handwerklich geprägten Güterproduktion. Der Abbau von Handelshemmnissen und neue Verkehrswege eröffneten überregionale Märkte, immer mehr Produkte mussten immer schneller und billiger produziert werden. Arbeitsteilung und Spezialisierung veränderten ganze Wirtschaftszweige. Die historischen Originalbeiträge und Abbildungen in diesem Buch geben einen unverfälschten Einblick in die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 104 Seiten | ISBN: 978-3-7578-2490-7

• Auf epilog.de am 18. Dezember 2024 veröffentlicht

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