Verkehr – Eisenbahn
Compound-Lokomotiven für Schnellzüge
Das Neue Universum • 1897
Im Dampfmaschinenbau sind seit etwa 25 Jahren eine Reihe von Fortschritten zu verzeichnen, infolge deren die Wirkung durch neue, speziell in dieser Absicht konstruierte Typen bedeutend verbessert worden ist. Hierdurch ist der Dampfverbrauch pro Pferdekraftstunde und daher auch der bezügliche Brennstoffverbrauch so gering geworden, wie man dies früher kaum für möglich gehalten hätte. Diese Fortschritte sind hauptsächlich durch die Anwendung hoher Dampfspannung und durch Ausbildung des Expansionssystems mittelst sogenannter Compoundmaschinen erreicht worden, in denen der Dampf durch weitgehende Expansion, die sich nacheinander in zwei, drei oder selbst vier Arbeitszylindern vollzieht, im höchstmöglichen Grade bezüglich seiner Wärmekraft ausgenutzt wird.
Abb. 1. Vierzylindrige Compoundmaschine für Schnellzüge.Bei dieser Art der Ausnutzung des Dampfes tritt der im Kessel möglichst hoch, etwa bis zu 10 oder 12 atm gespannte Dampf zuerst in den sogenannten Hochdruckzylinder, welcher den verhältnismäßig kleinsten Durchmesser hat und worin die Expansionsarbeit des Dampfes nur in geringem Grade zur Wirkung gelangt. Sobald der Kolben dieses Zylinders nach Eintritt in die äußerste Stellung, welche dem sogenannten toten Punkte entspricht, seinen Rücklauf beginnt, wobei er den an seiner Vorderseite befindlichen Dampf austreibt, tritt dieser in einen entsprechend weiteren Zylinder, wo er mit fortgesetzter Expansion auf den größeren Kolben einwirkt. In gleicher Weise kann alsdann die Expansion des Dampfes noch in einem zweiten, dritten und selbst vierten Zylinder von immer größerem Durchmesser fortgesetzt werden. Solche dreizylindrige Expansionsmaschinen finden gegenwärtig für den Betrieb von Fabriken, elektrischen Zentralstationen und Dampfschiffen vielfache Verwendung; für letztere benutzt man häufig aber auch vierzylindrige Compoundmaschinen.
Für den Betrieb von Lokomotiven hat dieses im Dampf- und Kohlenverbrauch so sparsame System ebenfalls Anwendung gefunden, und es werden in diesem Fall ebenso vier in der angegebenen Weise kombinierte Dampfmaschinenzylinder benutzt. Auf mehreren deutschen Bahnen sind solche Compoundlokomotiven bereits vor etwa zehn Jahren in Betrieb gekommen. In anderen Ländern, wie England und Frankreich, hat man schon etwas früher Versuche mit der Einführung dieses Systems angestellt. In Frankreich wurden Compoundlokomotiven etwa im Jahr 1882 von dem berühmten Konstrukteur Mallet für die kleine Eisenbahn zwischen Bayonne und Biarritz gebaut; dieselben ergaben so gute Resultate, dass auch auf größeren Bahnen derartige Maschinen eingeführt wurden, und zwar insbesondere zu dem Zweck, um bei Schnellzügen eine möglichst große Geschwindigkeit mit sparsamem Kohlenverbrauch zu erreichen.
Abb. 2. Aufriss der vierzylindrischen Compoundlokomotive.Abb. 2 zeigt das Modell einer derartigen Schnellzugslokomotive, nach welchem bereits eine größere Anzahl gebaut worden sind. Alle diese Maschinen sind mit vier Zylindern versehen, von denen die beiden inneren, als Niederdruckzylinder, großen Durchmesser haben, während die beiden äußeren, als Volldruckzylinder, von kleinem Durchmesser sind. Die großen Zylinder wirken auf die hintere Treibräderachse, die beiden kleinen Zylinder dagegen arbeiten auf die beiden verkuppelten vorderen Treibräderachsen.
Die beiden Hochdruckzylinder werden direkt mit Kesseldampf von 14 atm Druck gespeist. Der Dampf entweicht aus ihnen mit 4 atm Druck in ein Reservoir, den sogenannten Receiver, und tritt alsdann in die beiden Niederdruckzylinder ein. Soll die Maschine aber ihre größte Kraft entwickeln, so wird der Dampf in den Hochdruckzylindern nur bis 6 atm expandiert, so dass er mit diesem Anfangsdruck in den großen Zylindern wirksam wird.
Aus der Durchschnittszeichnung Abb. 3 ist ersichtlich, dass die Anwendung der Compoundverteilung den getrennten Betrieb von zwei Treibachsen gestattet. Hierdurch wird die Kraftleistung in sehr zweckmäßiger Weise verteilt, so dass die Maschinenteile weniger angestrengt werden, als wenn die ganze Treibkraft nur auf eine Achse wirkt. Es ist in dieser Beziehung darauf hinzuweisen, dass der auf die Kurbeln dieser neuen Schnellzugslokomotiven zu übertragende Druck der Kolbenstangen 18 280 kg beträgt, wogegen er bei den älteren Schnellzugslokomotiven kaum 8200 kg erreichte.
Ungeachtet dieser Druckverteilung, wodurch man eine vollständige Unabhängigkeit in der Anstrengung der beiden Treibachsen und somit eine minimale Beanspruchung derselben erhält, hat man es doch bei den ersten Maschinen für ratsam erachtet, die beiden Achsen zu verkuppeln, um die Ingangsetzung der Maschine zu erleichtern. Diese Anordnung gestattet aber außerdem auch die unabhängige Funktion der beiden Achsen herzustellen, sobald es sich um die Entwickelung der größten Geschwindigkeit handelt.
In diesem Fall wird der Dampf den Hochdruckzylindern durch das Auspuffrohr zugeführt, um den Gegendruck zu vermeiden, und die Niederdruckzylinder werden mit Dampf von 6 atm gespeist.
Diese Betriebsweise kann von dem Lokomotivführer nach Bedarf durch Drehung eines Dreiwegehahns in Anwendung gebracht werden. Außerdem ist zur raschen Ingangsetzung der Maschine dafür gesorgt, dass der Dampf bei jeder Stellung der vier Kurbeln mit Volldruck zugelassen werden kann. Zu dem Zweck sind die Kurbeln der an einer Seite befindlichen Zylinder unter einem Winkel von 162° gegeneinander verstellt, wodurch bewirkt wird, dass die Dampfzulassschieber der Zylindersteuerung stets offen sind. Man hat deshalb den Winkel von 162° dem üblichen Kurbelverstellungswinkel von 180° vorgezogen, obschon der letztere für die gleichmäßige Kraftverteilung günstiger ist.
Ferner ist die Einrichtung getroffen, dass man die kleinen Zylinder für sich allein arbeiten lassen kann, wobei man die großen auf Voreilen einstellt, oder man lässt umgekehrt die Kolben der kleinen Zylinder voreilen, indem man die großen Zylinder davon isoliert. Auf diese Weise kann man die Maschine entweder zur Entwicklung großer Zugkraft oder zur Entwickelung großer Geschwindigkeit benutzen. Zu dem Zweck ist ein besonderer Steuerungsmechanismus, System Walshaert in Anwendung gebracht, welcher beliebig auf die eine oder andere Betriebsweise eingestellt werden kann.
Wie schon angegeben wurde, liefern die Kessel Dampf von 14 atm Überdruck, wodurch auf den Quadratzentimeter der Kolbenfläche ein Druck von 14 kg ausgeübt wird. Um das Rauchen des Schornsteins dieser Maschinen möglichst zu verhüten, hat man dieselben mit der bekannten Tenbrückfeuerung versehen, wobei der Rost der Feuerung schräg in einen kleinen Vorkessel eingefügt ist, so dass die Feuerung ringsum von dem Wasserraum des Kessels Umgeben ist. Die Flamme der auf dem schrägen Rost von unten nach oben verbrennenden Kohlen wird hierdurch gezwungen, nach oben zu steigen, wobei sie den aus den oberen, in der Entzündung begriffenen Kohlen sich entwickelnden Rauch aufnimmt und verbrennt. Durch den kleinen Vorkessel wird die Verdampfungsfläche des Kessels in sehr zweckmäßiger Weise um 2,8 m² vergrößert, so dass sie im ganzen nahezu 50 m² beträgt.