Handel & Industrie – Fabrikation
Besuch in einer Firnisfabrik
Das Neue Universum • 1881
Jeder kennt wohl oberflächlich die glänzende, bernsteinfarbige Flüssigkeit, die man Firnis nennt, doch wahrscheinlich wissen nur wenige, wie viel des Wissenswerten und Interessanten diese zarte Masse in sich birgt, die fast jedem Gegenstand, der aus der Werkstätte oder dem Atelier hervorgeht, Schönheit und Haltbarkeit verleiht. Es gibt nur verhältnismäßig wenig Firnisfabriken und die Eingänge zu denselben sind gewöhnlich nicht jedem zugänglich. Die Firnisfabrikation ist jedoch kein Geheimnis. Dem Geruchssinn offenbart der Firnis seine Gemeinschaft mit Terpentin – ein Aroma, das einige zu lieben vorgeben, das jedoch den meisten Menschen zuwider ist. Das Leinöl im Firnis vermag ein Laie nicht herauszufinden; und tausende, die nicht Maler von Beruf sind und den Lack nur zum eignen Vergnügen im Haushalt verwenden, werden ohne Zweifel im Unklaren über den verfänglichen Bestandteil sein, der dem Firnis seine klebrige Beschaffenheit und die Elastizität verleiht. Dieser dritte Bestandteil ist der harzige Saft eines Baumes. Er ist analog den kleinen Harzstückchen, die man zuweilen auf einem tannenen Bord findet, das der Sonne ausgesetzt gewesen ist. Firnisharze gibt es nur sehr wenige im Vergleich zu der großen Anzahl anderer Harzarten. Man gewinnt sie nicht direkt von dem Baum, der sie erzeugt hat, sie werden vielmehr ein wenig unter der Erdoberfläche hervorgegraben, wo sie während hunderten, ja vielleicht während tausenden von Jahren gelegen, um zu reifen. Dieses ist besonders der Fall bei dem Kopal, der im Handel gebräuchlichen Bezeichnung für diese wertvollste aller Firnisharz-Arten.

Die drei Ingredienzien, Kopal, Leinöl und Terpentin werden dem Firnis-Fabrikanten ins Haus gebracht, jetzt ist es an ihm, dieselben nach bestimmten Regeln zu mischen, die sich durch angestellte Versuche und langjährige Erfahrung bewährt haben.
Die Firnisfabrikation ist eine neu erblühte Industrie der Vereinigten Staaten und erweist sich als überaus lohnend, da die Amerikaner mehr Lackfirnis verbrauchen als irgendein anderes Volk. Ich wurde eingeweiht in das Geheimnis der Firnisbereitung bei einem Besuche in der Fabrik Murphy & Co. in Newark, New Jersey, einer großen industriellen Stadt, die ihr rasches Emporblühen der Nähe der Metropole, den vortrefflichen Wasser- und Eisenbahnstraßen und dem Umstand verdankt, ihren Arbeitern billige und behagliche Wohnungen bieten zu können. Eine halbstündige Fahrt mit der Pennsylvania-Bahn brachte mich nach Newark. Nicht weit von der Station ist die Fabrik gelegen, deren anspruchslose Umfassungsmauer nicht die großartigen Fabrikgebäude, Vorratsspeicher und Werkstätten ahnen ließen, die hinter denselben verborgen lagen. Die Fabrik schien ihr eigenes Geräusch zu konsumieren, in der Straße herrschte tiefe Stille.
Das Büro der Fabrik, zu dem man von der Straße aus gelangte, war bequem, elegant und durchweht vom Geist der Ordnung und Geschäftigkeit. Die Geschichte der Firma ist bemerkenswert und eine vortreffliche Illustration des von Erfolg gekrönten amerikanischen Unternehmungsgeistes. Von einem ganz bescheidenen Anfang hat sich dieselbe in dem kurzen Zeitraume von vierzehn Jahren zu großem Ruf und großer Bedeutung emporgeschwungen.
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