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Die Berliner Blitzmädel

Die Gartenlaube • Dezember 1875

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Wenn man gegen ein Uhr mittags zufällig durch die Französische Straße in Berlin geht, so wird man durch die große Menge junger Damen überrascht, welche in ein düsteres Eckhaus an der Wallstraße treten. Die Meisten derselben richten unwillkürlich ihre Blicke auf die große, über dem Eingange befindliche Uhr, und je näher der Zeiger auf die angegebene Stunde rückt, desto rascher fliegen die kleinen Füße die Treppe hinauf, bis die Letzten verschwunden sind. Beinahe gleichzeitig sieht man eine ebenso große Anzahl fast ohne Ausnahme sauber gekleideter, den besseren Ständen angehöriger Mädchen das bezeichnete Haus verlassen und mit den sie ablösenden Kolleginnen einen freundlichen Gruß wechseln. Sie Alle scheinen fröhlich und zufrieden, und auf ihren oft recht hübschen und frischen Gesichtern glaubt man ein gewisses, nicht unangenehmes Selbstbewusstsein zu bemerken. Gewöhnlich standen noch vor einem Jahre in der Nähe der genannten Ecke um dieselbe Zeit verschiedene Herren vom Zivil und Militär, mit Brillen und Pince-Nez bewaffnet, um die an ihnen vorübergehenden Damen zu mustern und nach Berliner Weise allerlei witzige Bemerkungen über ›Stephans Blitzmädel‹ zu machen. Heute sind die edlen Ritter verschwunden, da sie wohl endlich eingesehen, dass die Liebesmüh hier eine verlorene sei.

Wir befinden uns nämlich vor der Telegrafen-Zentralstation, und die jungen Damen sind die angestellten Telegrafistinnen des deutschen Reiches. Die erste Anregung zu dieser Neuerung gab der Berliner ›Lette-Verein für die Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts‹.

Nachdem bereits in der Schweiz und im Großherzogtum Baden Frauen im Post- und Tele­grafen­dienst Verwendung und Anstellung gefunden hatten, richtete der genannte Verein eine Gleiches bezweckende Petition an den Reichstag, welcher der General-Postdirektor Stephan auf das Bereitwilligste entgegenkam. Zu diesem Behufe erhalten junge, dazu geeignete Mädchen in einer besonderen Abteilung des genannten Lette-Hauses in der Königsgrätzer Straße unter der Leitung eines kaiserlichen Ober-Tele­gra­fisten den nötigen theoretischen und praktischen Unterricht, wenn sie nachweisen, dass sie die erste Klasse einer höheren Töchterschule besucht haben oder ein Tentamen im Englischen, Französischen und in der Geografie, so wie der Ausarbeitung eines deutschen Aufsatzes bestehen.

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• Auf epilog.de am 4. Februar 2025 veröffentlicht

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