Verkehr – Eisenbahn
Bergeisenbahnfahrten
in Europa und Nordamerika
Das Neue Universum • 1880
Wer die Schweiz besucht hat, ist unter 100 Fällen sicher 99-mal auf dem Rigi gewesen, denn nicht allein bietet diese Berggruppe, deren höchster Punkt, der Rigi-Kulm, sich zu 1800 m erhebt, eine der schönsten Aussichten, die man in der Schweiz überhaupt genießen kann, sondern er ist auch leicht zu erreichen und zu besteigen. Kommt man nun von Wien, Dresden, Berlin, Hamburg oder London, stets richtet man seine Reise zunächst nach Zürich, denn diese schöne Stadt ist der Ausgangspunkt für die Rigi-Besucher. Von hier aus umfährt man dann den 870 m hohen Uetliberg und gelangt nach Zug, am gleichnamigen See. Ein bequemer Salondampfer die ›Helvetia‹ führt über diesen fischreichen Alpensee, dessen Tiefe 400 m beträgt. Bald wird der Kulm sichtbar, der wie eine ungeheure Masse in die Höhe ragt. Diesseits zwischen dem Rigi und dem Rossberg liegt der alte Flecken Arth, der die merkwürdigsten Schicksale erlebt hat und noch im Jahr 1806 durch den furchtbaren Bergsturz von Goldau schwer geschädigt wurde. Von Arth aus beginnt die eigentliche Besteigung des Rigi. Früher geschah dieselbe meist zu Fuß, auch vielfach zu Pferd oder in Tragsesseln, gegenwärtig hat die Rigi-Bahn die letzten beiden Besteigungsarten schon fast der Vergessenheit überantwortet, während allerdings noch mancher Wanderer nach Sitte der Altvorderen zu Fuß den Gipfel des Rigi erklimmt.

Die Rigi-Bahn ist es, auf die wir hier zunächst einen Blick werfen wollen, um uns dann dem Flug des Gedankens folgend, jenseits des großen Wassers eine ähnliche Bahn anzusehen.
Die bedeutende Frequenz des Rigi war die Veranlassung zu dem Projekt, diesen Berg durch eine Eisenbahn zugänglich zu machen, doch es schien dieses Unternehmen so schwierig, dass selbst viele Fachleute nicht an eine wirkliche Ausführung desselben glauben konnten. Indessen haben das Genie und die Tatkraft der Herren Riggenbach und Zschokke in Aarau alle Schwierigkeiten überwunden und die Arth-Rigi-Bahn steht nun in Europa als Wunderwerk ihrer Art da, ebenso ausgezeichnet durch die Kühnheit der Anlage, wie durch die fast absolut zu nennende Sicherheit ihres Betriebes. Die ganze Bahn hat eine Länge von beiläufig 11 km, wovon jedoch 1400 m Talbahn sind. Der Höhenunterschied zwischen der Ausgangsstation Arth und Rigi-Kulm beträgt 1330 m. Die Steigung überschreitet nirgends das Verhältnis 1 : 5 oder 20 %. Die Fahrzeit dauert 1½ Stunden. Man fährt wie in jedem anderen Eisenbahnzug von Arth aus und nur die, wegen der späteren Steigungen eigenartig gebauten Sitze fallen auf. Erst in Oberarth beginnt die eigentliche Bergfahrt und zu diesem Zweck wird zunächst der bisherige Zug in mehrere Einzelzüge zerlegt. Es wird nämlich von jeder Bergbahn-Lokomotive nur je ein großer und ein kleiner Personenwagen befördert und nach 5 Minuten Zwischenzeit folgen die Züge aufeinander. Jetzt ist es nun an der Zeit, uns den Bau der Bergbahn etwas genauer anzusehen. Der Oberbau besteht aus dicht bei einander liegenden Querschwellen, die ungemein fest eingebettet sind und über welche sich Langschwellen hinziehen, so dass das Ganze wie eine mächtige Leiter aussieht. Diese Leiter trägt nun die Bahnschienen, die jedoch etwas schwächer sind als unsere gewöhnlichen Eisenbahnschienen. In der Mitte zwischen ihnen befindet sich eine mächtige Zahnstange, deren einzelne Zähne aus Schmiedeeisen bestehen und eingenietet sind. Die Anzahl dieser Zähne beträgt 97 770. Wegen der mittleren Zahnreihe bedürfen die Ausweichgeleise der Bahn einer besonderen Konstruktion. Dieselbe ist aus der Abb. 2 sofort verständlich.

Am eigentümlichsten erscheint aber dem Laien das Aussehen der Bergbahn-Lokomotiven mit ihren geneigten Kesseln, die nur bei Steigungen von 1 : 10 horizontal stehen. Diese auf der Rigi-Bahn benutzten Lokomotiven sind nach einem von Riggenbach und Zschokke vervollkommneten System gebaut und Abb. 1 gibt eine Ansicht von derartigen Lokomotiven.
Die Lokomotive besitzt in der Mitte ein Zahnrad, welches mit seinen Zähnen in die oben besprochene Zahnstange eingreift und hierdurch den ganzen Zug auf der geneigten Ebene fortbewegt. Es ist einleuchtend, dass bei der Beförderung die ganze Last des Zuges an diesem Rad hängt. Dementsprechend ist es aber auch mit der größten Sorgfalt und Solidität hergestellt und zwar aus dem vorzüglichsten Gussstahl. Übrigens besitzt auch jeder der Personenwagen vorn an der Achse ein Zahnrad, das jedoch für gewöhnlich nicht eingreift, durch Anziehen der Bremsvorrichtung jedoch augenblicklich den Wagen feststellt. Lokomotive und Wagen sind nicht miteinander verkuppelt, so dass jeder für sich festgestellt werden kann. Geht der Zug zu Tal, so wird in dem Zylinder der Lokomotive der Dampf abgesperrt und die Bewegung des Kolbens in der wünschenswert erscheinenden Weise reguliert. Wenn es nötig wird, den Zug zu hemmen, so kann dies in jedem Augenblick und mittels verschiedener Bremsvorrichtungen geschehen, und besonders in dieser Beziehung ist die größtmögliche Sicherheit vorhanden.
Von Oberarth aus überschreitet die Bahn dreimal den Aabach und führt an dem Trümmerfeld vorbei, das den Goldauer Bergsturz vom 2. September 1806 bezeichnet. Dann geht es weiter, durch einen kleinen Tunnel und über kühne Brücken zur Station Kräbel. Die Bahnlinie bei der senkrechten Kräbelwand konnte nur nach Überwindung ungeheurer Schwierigkeiten durch Einschneiden in die Felsen hergestellt werden. Noch mehrere Tunnel und Brücken werden vom Zug passiert, bis dieser endlich die Station Rigi-Kulm erreicht, den höchsten Punkt, den in Europa eine Lokomotive bis jetzt erklommen hat.
Ein Gegenstück zur Rigi-Bahn bildet die Eisenbahn, welche auf den Mount Washington im New Hampshire in Nordamerika hinaufführt, einem Berg, der sich in großer Steilheit, 2097 m über die Meeresfläche erhebt. Über diese Bahn, die wir aus eigener Erfahrung nicht kennen, entnehmen wir das Folgende dem Berichte, den ein Besucher in der Illustrierten Zeitung veröffentlicht hat.
Die Bahn wurde im Jahre 1866 begonnen und ist seit etwa 10 Jahren vollendet. Sie ist ungefähr 4,8 km lang, beginnt bei einem 890 m über dem Meeresspiegel gelegenen Punkt und steigt mithin 1207 m aufwärts. Die durchschnittliche Steigung beträgt nahezu 1 : 4. Das Material, aus welchem die Bahn, abgesehen von den Schienen, erbaut wurde, ist vorzugsweise Holz, das auf der felsigen Oberfläche des Berges ruht; zwischen den gewöhnlichen zwei Schienensträngen läuft eine dritte, eigentümlich konstruierte Schiene, in die ein an der Lokomotive befestigtes Zahnrad eingreift und ein sicheres und gleichmäßiges Auf- und Abfahren ermöglicht. Um den Zug vor einem unvorhergesehenen Unfall zu schützen, spielt eine Art eiserner Klammer fortwährend in das eingekerbte Treibrad, so dass, wenn aus irgendeinem Grund ein Teil der Maschine oder Waggons in Unordnung gerät oder zerbricht, der Zug sofort zum Stehen gebracht werden kann. Dies zeigte sich am 22. August 1878, als das Rad eines Waggons zerbrach und der Zug, ohne dass ein anderes Unglück geschah, augenblicklich gehalten wurde.

Von der ersten Station geht der Zug durch waldige Anhöhen bis zum Fuß des eigentlichen Berges, der verschiedene zackige Felsspitzen in die Höhe sendet, die sämtlich den Namen amerikanischer Präsidenten und Staatsmänner tragen. Bei der zweiten Station wird eine neue Lokomotive vorgespannt, die mit besonderen Vorkehrungen zum Hinaufklettern des Berges ausgerüstet ist. Der Kessel der Maschine gleicht einem weiten Mörser. Stöhnend und dampfend geht der Zug weiter, die kleineren Berge hinter sich lassend. Je höher man hinaufkommt, desto deutlicher sieht man die mächtig emporragenden Gipfel des alten grauen Felsenbergs, der schon seit vielen Jahrhunderten mit Sturm und Wetter wilde Kämpfe besteht. Zur rechten Hand erscheinen in ihrer ganzen Majestät die riesigen Felsspitzen des Mount Washington; tiefe und dunkle Schluchten starren dem Reisenden entgegen, während kleine Wasserfälle sich wie Silberfäden durch raue Bergspalten hinziehen und unter schattigen Bäumen in den Ammonoosucfluss ergießen, der dann stromartig den Berg herabfließt und wie in wilder Freude entfesselt über Gestein und Gestrüpp dahinstürzt, begierig mit den anderen Flüssen den Wettlauf zum Connecticut aufzunehmen. Zur Linken öffnet sich, so weit das Auge reicht, das herrliche Tal des Connecticut, geschmückt mit grünen Wiesen, fruchtbaren Feldern und freundlichen Weihern und Landhäusern.
Immer höher klettert die Lokomotive, nachdem sie wiederholt frisches Wasser geschöpft hat, an grausig gähnenden Abgründen vorbei. Die Wälder werden spärlicher und lichter, ein sicheres Zeichen, dass der Gipfel des Berges bald erreicht ist. Große, mit grauem Moos überzogene Felsstücke, wie von Titanenhand umhergeworfen, mehren sich; die Gegend wird immer wüster und wilder, die grüne Pflanzenwelt immer seltener. Zur Linken trennt ein tiefer, düsterer Spalt zwei hohe Felsenspitzen, den Jefferson und den Clay, von dem Washington und Schwindel erfasst den Reisenden, der in die Tiefen des Bergschlundes hinabblickt. Noch eine weite Biegung um den Berg und der Giebel des Hauses, das zur Aufnahme von Gästen auf der höchsten Höhe des Washington erbaut ist, kommt in Sicht. Man passiert eine kleine Steinpyramide, die zum Andenken an Lizzie Bourne, ein armes Mädchen, das hier im Elend umkam, errichtet ist und das ersehnte Ziel ist da. Man fühlt sich wieder auf festem, sicherem Boden, der Platz ist geebnet und gewährt eine überraschend schöne Aus- und Fernsicht über weite Hügelketten, schimmernde Seen und freundliche Städte und Dörfer. Im nächsten Tal sieht man das liebliche Glen House; links schlängelt sich der Androscoggin hin bis zum Städtchen Milan, gerade vor dem Beschauer steht der prächtige Pleasant Mountain, der seinem Namen Ehre macht, dicht daneben der Ort Sebago und zur Rechten grüßen freundlich Lovelés Pond, Kearsage und weiterhin das alte Chocorna und Winnipiseogean.

Die Reise auf der Washington-Bahn ist eine der angenehmsten und beliebtesten Vergnügungsfahrten in Neuengland. Das Hinauffahren auf den Gipfel dauert 90 Minuten, denn die Lokomotive hält, wie gesagt verschiedene Male an, um Wasser einzunehmen, die Niederfahrt, die ohne Anwendung von Dampfkraft geschieht, nimmt viel weniger Zeit in Anspruch.
Diese Bergeisenbahn hat zugleich eine neue Art von Sport ins Leben gerufen, die nicht ungefährlich ist und jedenfalls gerade wegen dieses eigentümlichen Reizes unter den abenteuerlustigen Amerikanern viele Liebhaber findet. Das Mittelgeleise der steil abfallenden Bahn wird nämlich von mutwilligen jungen Leuten zu äußerst rapiden Rutschpartien vom Gipfel des Berges bis zum Fuß desselben benutzt. Man bedient sich zu diesem Zwecke eines mit einer primitiven Bremse aus Holz versehenen Rutschbrettes, das man auf die Zähne der mittleren Schiene legt, in welche das Kammrad der Lokomotive eingreift. Die Schnelligkeit des herabrutschenden Bretts mit seinem Insassen steigert sich von Sekunde zu Sekunde, und wie der Blitz geht es an Abgründen hin über die steile, schiefe Ebene hinunter, dass einem Hören und Sehen vergeht. Es erheischt Mut und Geistesgegenwart um auf der halsbrecherischen Fahrt den Kopf nicht zu verlieren, nicht schwindlig zu werden und die Bremse geschickt zu handhaben. Ein Entgleisen des gebrechlichen Fahrzeugs würde zur Folge haben, dass der unglückliche Passagier von dem Schienenweg hinunter-, in den Abgrund geschleudert würde und Hals und Beine brechen müsste. Man sollte denken, dass sich nur mutige Männer an einem derartigen gefährlichen Sport versuchen und selbst das beherzteste weibliche Wesen vor einem so riskanten Vergnügen zurückschrecken würde. Und dennoch fanden sich kürzlich zwei ›unverfrorene‹ amerikanische Damen, welche die halsbrecherische Rutschpartie mit Nonchalance antraten, und kalten Blutes den Berg hinabsausten. Bei aller Gefahr bewahrten sie Geistesgegenwart genug, um die Bremse meisterlich zu führen und während der Fahrt eine möglichst malerische Haltung anzunehmen. Sie erreichten beide wohlbehalten die feste Erde und waren die ›Löwinnen des Tages‹.
Die beiden Eisenbahnen, die wir in Vorhergehendem kennengelernt haben, führen aus der Tiefe zu Aussichtspunkten auf hohen Bergen, deren Gestalt und Höhe keine Veränderung mehr erleidet. Nur unter dieser strengen Voraussetzung war es möglich, diejenige Einrichtung zu treffen, welche das Emporsteigen des Zuges und die Sicherheit der Reisenden erfordert. Ganz anders liegen die Verhältnisse bei einem Berg, der auch von Reisenden besucht wird, der aber von Zeit zu Zeit gewissen Veränderungen der einzelnen Teile unterliegt. Es ist der Vesuv, der bekannteste und am meisten besuchte von allen Vulkanen der Erde. Schon längst ging man mit dem Projekt um, eine Bahn herzustellen, welche dem Reisenden einen bequemen und gefahrlosen Ausflug zu dem eigentlichen Krater des Vesuvs ermöglichen sollte.
Abb. 7. Ansicht der Vesuv-Eisenbahn. Aber alle Projekte scheiterten an der Veränderlichkeit des Bodens, in Folge deren die absolute Unveränderlichkeit der Schienenlage nicht zu garantieren war. Der Ingenieur Olivier hat endlich alle Hindernisse überwunden, dadurch, dass er nur eine einzige, mittlere Schiene anwandte, wodurch der Wagen in der erforderlichen Richtung erhalten wird. Für die Auffahrt dient eine solche Schiene und eine andere für die Rückfahrt, beide liegen etwa 2 m voneinander entfernt. Die Bahn ist eine Seilbahn, die von einer feststehenden Maschine getrieben wird; einem heraufgehenden Zug entspricht stets ein herabgehender. Die Zeichnungen Abb. 5 u. 6 geben Ansicht der Waggons und der Art und Weise wie jeder Wagen in der Ebene der Bahn erhalten wird, ohne Neigung gegen die eine oder andere Seite hin. Jeder Waggon besteht aus zwei Räumen, welche je 4 – 6 Personen aufnehmen können. Der Fußboden ist horizontal und wegen der starken Steigung ist das eine Kabinett 90 cm höher angelegt als das andere. Man sieht aus der Abb. 6 die allgemeine Anordnung der Bremsvorrichtung, wodurch, im Fall, dass das Zugkabel reißen sollte, der Wagen sofort zum Stehen gebracht wird. Die Bahn selbst beginnt am Atrio del Cavallo in einer Höhe von 800 m und geht dann in gerader Linie, wie Abb. 7 zeigt, bis gegen die Spitze des Konus, wo sie in 1180 m Höhe endet, 70 m unter dem Gipfel des Vulkans. Die Steigung ist beträchtlich und beträgt im Durchschnitt 1 : 2, die ganze Bahnlänge ist etwa 800 m. Der Bau der Bahn wurde im August 1879 begonnen und im Juni 1880 vollendet. Seitdem ist die Bahn in regelmäßigem Betrieb.