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Der Autoturm

Das Neue Universum • 1920

Die Vereinigten Staaten sind das Land der Kraftwagen. Seitdem der bekannte Multimillionär Ford die rationelle Massenfabrikation des Kraftwagens eingeführt hat, ist der Preis für einen guten Personenwagen in den Vereinigten Staaten auf etwa 600 Dollar gesunken. Dafür aber hat sich der Absatz ins Fabelhafte gesteigert. Allein in New York schätzt man die Zahl der Privatkraftwagen auf mehr als 100 000, so dass etwa jeder sechzigste Einwohner sein Auto besitzt. Nun aber beginnt die Unterbringung dieser zahlreichen Wagen in der engen Großstadt Schwierigkeiten zu machen. Daher darf das Projekt von E. G. Higgins, das die Abbildung darstellt, als recht zeitgemäß gelten.

Higgins wendet das beliebte Wolken­kratzer­system auch auf die Autogaragen an und entwirft einen Autoturm von 20 Stockwerken Höhe. Im Inneren führt ziemlich dicht am äußeren Umfang des Turmes eine schraubenförmig gewundene Fahrbahn mit einer Steigung von 3 % bis zum obersten Stockwerk. Für einen modernen Kraftwagen bietet die Überwindung einer solchen Steigung keinerlei Schwierigkeiten. Die Wagen können also bequem bis unter das Dach fahren, und eine zukünftige Entwicklung kann uns auch Autotürme von 60 und mehr Stockwerken bescheren.

Für die Niederfahrt ist eine engere Spirale in der Nähe der Achse des Turmes mit 7 % Gefälle vorgesehen. Die Kraftwagen können diese Spirale bequem hinunterrollen, wobei der einge­kuppelte Motor bei ausgeschalteter Zündung als nützlichste Bremse wirkt und die eigentlichen Wagenbremsen nur gelegentlich zu Hilfe genommen zu werden brauchen. Für den Personenverkehr sind natürlich Fahrstühle vorgesehen, die unsere Abbildung im Vordergrund zeigt.

An die beiden Fahrspiralen schließen sich wie die Zellen eines Bienenstockes die einzelnen Garagen. Sie sind mit weitgehendster Raumausnutzung entworfen, so dass ein paar Tausend Kraftwagen in dem Turm untergebracht werden können. Man hat die einzelne Garage dabei nur als Abstellraum geplant, in dem der Wagen allenfalls gewaschen und nachgesehen werden kann, während für die Vornahme von Reparaturen besondere Werkstätten im ersten Stockwerk vorgesehen sind. AutoturmDer Autoturm, ein Wolkenkratzer für Automobile. Es leuchtet wohl ohne weiteres ein, dass es sehr viel wirtschaftlicher ist, wenn man grundsätzlich darauf verzichtet, in jeder dieser tausend Autozellen eine Werkstatt mit Pfeilbank und Schraubstock einzurichten und vorzieht, dafür gute, mit allen Hilfsmitteln versehene, gemeinschaftliche Werkstätten anzulegen. Der einzelne Wagenbesitzer befindet sich dabei in seiner Garage in derselben Lage wie auf der Landstraße, das heißt, er kann nur Arbeiten vornehmen, die mit Bordmitteln, mit dem Werkzeugkasten des Wagens durchführbar sind. Er hat aber den Vorteil, dass in demselben Gebäude eine große Werkstatt mit allen nur erdenklichen Spezialmaschinen, mit allen Ersatzteilen und schließlich mit einem Stab geschulter Autoschlosser vorhanden ist, die jede Reparatur viel schneller und viel besser erledigen, als der Besitzer selbst oder sein Chauffeur es jemals könnten.

Eine besondere Frage ist noch die Erreichbarkeit der Wagen. Die überwiegende Menge der amerikanischen Kraftwagenbesitzer hat keinen eigenen Fahrer, sondern fährt selbst. Will nun der Besitzer ausfahren, so müsste er sich erst etwa mit der Straßenbahn von seiner Wohnung zu dem Autoturm begeben. Das wäre aber recht langweilig und würde in vielen Fällen die ganze Autofahrt überhaupt überflüssig machen. Es wird daher im Autoturm eine Anzahl guter Wagenführer vorzusehen sein, so dass auf telefonischen Anruf jedem Besitzer sein Wagen schleunigst vor die Haustür gefahren werden kann. Bei einem solchen Verfahren kommt nur die kurze Zeitspanne für die Autofahrt zwischen Turm und Wohnung in Betracht, die alles in allem kaum mehr als zehn Minuten beanspruchen dürfte. Dafür braucht sich der Wagenbesitzer nicht mit dem Herausholen des Wagens aus einer eigenen Garage zu bemühen, so dass die Anordnung, die zweifellos sehr bald vom Papier in die Wirklichkeit übertragen werden dürfte, auch hier eine befriedigende Lösung bietet.

• Auf epilog.de am 19. März 2025 veröffentlicht

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