Handel & Industrie
Die automatischen Verkäufer
Polytechnisches Centralblatt • 26.11.1888
In den letzten Jahren hat sich ein Industriezweig herausgebildet, welcher binnen kurzem einen Umfang und eine Vielseitigkeit angenommen hat, wie man bei seinem ersten Auftreten es nicht erwarten konnte; wir meinen die automatischen Verkäufer, Waagen, Kraftmesser etc., welche, kurz als ›Automaten‹ bezeichnet, uns jetzt auf Schritt und Tritt in den Großstädten und an stark frequentierten Orten begegnen, stumm ihre Waren offerieren und lautlos nach Erlegung des bescheidenen Kaufpreises prompt aushändigen. Als der erste Automat seine Verkaufstätigkeit begann, hat wohl niemand geahnt, was dereinst alles auf diesem Weg kaufmännisch vertrieben werden könnte; der Erfindungssinn hat sich inzwischen des jedenfalls originellen und sinnreichen Prinzips bemächtigt und dasselbe in einem wahrhaft staunenswerten Maß ausgebildet. Die Wirkungsweise der Automaten besteht im allgemeinen darin, dass durch eine Münze, welche entweder dem Gewichte oder der Gestalt nach bestimmten Anforderungen genügen muss, ein Mechanismus in Tätigkeit gesetzt wird, welcher die Entnahme einer bestimmten Menge der Ware gestattet und zugleich die Erledigung des folgenden Auftrags insofern einleitet, als eine weitere Menge der Entnahmeöffnung genähert wird. Es liegt auf der Hand, dass je nach der Natur der zu verkaufenden Ware die Art und Weise der Tätigkeit des Apparates eine verschiedene ist, und hat sich denn auch bereits eine kaum noch zu übersehende Vielseitigkeit der Konstruktionen herausgebildet.
Die hauptsächlichsten Verkaufsobjekte der Automaten waren zunächst Genussmittel, wie Konditorwaren, Zigarren, Zigaretten, Getränke etc. Hinsichtlich der letzteren ist die Einrichtung entweder so getroffen, dass dieselben in Fläschchen abgegeben werden oder aber es wird nach Einzahlung des Betrages die Drehung eines Zapfhahnes oder der Zugang zu einem das Getränk enthaltenden Trinkgefäß gestattet. Bald zog man auch andere Gegenstände des täglichen Konsums in den Bereich des automatischen Verkäufers, wie z. B. Streichhölzer, Postkarten, Briefpapier, Zeitungen etc. Alle die zu diesen Verkaufszwecken erfundenen Apparate wiesen noch eine verhältnismäßig große Einfachheit auf. Bald jedoch wendete sich der Erfindungssinn weniger naheliegenden Objekten zu und es entstanden Automaten, welche z. B. den Einzahlenden mit einem Sprühregen von Wohlgeruch überschütten oder welche in ihrem Inneren Fotografien oder Mitteilungen enthalten, deren Anblick für einige Zeit nach Entrichtung einer bestimmten Münze gestattet wird.
Der bekannteste, nicht zu Verkaufszwecken dienende Automat ist die automatische Waage. Bei ihr besteht die Wirkung des eingeworfenen Geldstückes meist darin, dass durch dasselbe eine Vorrichtung ausgerückt wird, welche den Zeiger eines Ziffernblattes für gewöhnlich arretiert; an letzterem kann sodann das Gewicht des Zahlenden ohne weiteres abgelesen werden. Bei einer französischen Konstruktion ist insofern eine Änderung dieser Anordnung getroffen, als das Zifferblatt im Inneren des Apparates gewöhnlich im Dunkeln sich befindet, also nicht sichtbar ist; durch Einwerfen der Wiegegebühr wird nun der Stromkreis einer elektrischen Lampe geschlossen, welche das Zifferblatt erhellt. Einen bedeutenden Schritt weiter ist man in Amerika gegangen, indem man eine Waage konstruierte, welche ihren Kunden sofort auf einer sauber gedruckten Karte eine Bescheinigung ihres Gewichtes ausstellt und aushändigt.
Auch zur Feststellung der Körpergröße hat man Automaten konstruiert; dieselben sind derartig angeordnet, dass, nachdem man sich auf eine Plattform gestellt und die Gebühr entrichtet hat, ein an einer Skala sich selbsttätig verschiebender Schieber die Messung vornimmt.
Sehr verbreitet sind die automatischen Kraftmesser, welche dem Betreffenden ein Urteil geben über seine Zug-, Stoß- oder Schlagkraft. Unter ihnen ist neuerdings ein Apparat zu erwähnen, welcher insofern von Interesse ist, als derselbe den stärksten Personen selbsttätig den gezahlten Betrag, gleichsam als Lohn für ihre Kraft, wieder aushändigt. Auch zum Messen der Lungenstärke hat man das Prinzip der Automaten ausgebildet; bei diesen bläst nach Einwerfen der Münze derjenige, der sich über die Kraft seiner Atmungsorgane informieren will, in einen Zylinder, in welchem ein Kolben auf- und abbeweglich geführt wird. Je mehr dieser Kolben beim Einblasen gehoben wird, desto höher stellt sich der Zeiger eines Ziffernblattes ein.
Zum Schluss möge noch bemerkt werden, dass es auch Automaten gibt, welche einen bestimmten Betrag von Elektrizität zu medizinischen Zwecken verabreichen. Das Nonplusultra eines Automaten dürfte jedoch kürzlich in England patentiert sein, nämlich ein Automat, der gegen Erstattung einer bestimmten Gebühr die ihn benutzende Person fotografisch abkonterfeit und das Porträt derselben sofort aushändigt.
Die Verwendungsfähigkeit des den Automaten zugrundeliegenden Prinzips ist eine außerordentlich vielseitige. Es möge noch erwähnt werden, dass bereits vor Jahren als Ersatz der Pferdebahnkondukteure ebenfalls ein Automat in Vorschlag gebracht wurde und auch zur Einführung gelangte; derselbe gab gegen Entrichtung des Fahrgeldes selbsttätig den Fahrschein aus. Von einer bemerkenswerten Verbreitung dieses sinnreichen Apparates, der seiner Zeit viel Aufsehen erregte, verlautete jedoch nichts. Dieselbe scheiterte vor allen Dingen daran, dass die durch den Fortfall der Kondukteurgehälter erzielte Ersparnis durch die Vermehrung des Kontrollpersonals wieder aufgehoben wurde; die neue Art der Billettausgabe hatte stark mit der Unehrlichkeit des Publikums zu kämpfen. Letzterer Umstand gibt auch den jetzigen Automaten noch viel zu schaffen; es sind dieselben daher mit besonderen, äußerst sinnreichen Vorrichtungen ausgestattet, welche es unmöglich machen, die Herausgabe der Waren durch Einwerfen von Eisenstücken, Steinen usw. herbeizuführen. Jedenfalls haben sich die automatischen Verkäufer in einem Grad bei uns eingeführt, dass dieselben im höchsten Maße das Interesse des Technikers wie des Nichttechnikers in Anspruch nehmen.