Handel & Industrie
Die Ausbildung von Lehrlingen
bei der Maschinenfabrik R. Wolf Magdeburg-Buckau
Maschinenfabrik R.Wolf • 1912
Der Ausbildung für den Beruf geeigneter Facharbeiter hat Wolf von Anfang an große Aufmerksamkeit zugewendet. Immer wieder hat er erkannt, wie sehr naturgemäß auch bei weitgehender Maschinenanwendung der Erfolg einer Qualitätsindustrie von der Leistungsfähigkeit der Arbeiter, demnach von Erziehungsfragen abhängig ist. Die Firma hat sich deswegen nach und nach ein wohldurchdachtes System für die Lehrlingsausbildung geschaffen. Als Vorbedingung zum Eintritt in die Lehre wird der erfolgreiche Besuch der zweiten Klasse, nach Möglichkeit sogar der ersten Klasse der Volksschule verlangt. Lehrlinge, die in die Abteilung für Maschinenmonteure und Schlosser kommen wollen, müssen die erste Klasse der Volksschule mit gutem Erfolg besucht haben. In elf Betriebsabteilungen des Werkes werden Lehrlinge ausgebildet, und zwar für die Schlosserei, Dreherei, Montage, Schmiede, Kesselschmiede, Rohreinzieherei, Mechanikerwerkstatt, Blechschmiede, Modelltischlerei, Stellmacherei, Formerei. Die Lehrzeit beträgt im Allgemeinen vier Jahre, einschließlich einer Probezeit von drei Monaten. Die tägliche Arbeitszeit beläuft sich auf zehn Stunden einschließlich der Pausen. Sehr bemerkenswert ist die Verteilung der Lehrzeit in Wochen auf die einzelnen Abteilungen sowie die Höchstanzahl der in diesen gleichzeitig beschäftigten Lehrlinge, die in der folgenden Tabelle wiedergegeben ist.
Die vielseitigste Ausbildung erfährt der Maschinenmonteur, der mit Ausnahme der Tischlerei in allen Werkabteilungen einige Wochen zuzubringen hat. In der ersten Spalte der Tabelle sehen wir auch noch die Ausbildung für zukünftige Maschinentechniker angegeben, für die man eine Lehrzeit von drei Jahren, verteilt auf die sämtlichen Betriebsabteilungen des Werkes, eingerichtet hat.
Man legt Wert darauf, dem Lehrling auch vom ersten Tage an einen Lohn zu geben, um ihm so auch die Verpflichtung zur Arbeit deutlicher vor Augen führen zu können. Wenn sich der Lehrling sehr gut führt und in seiner Ausbildung gute Fortschritte macht, so wird ihm gestattet, in besonderen Fällen schon im dritten Lehrjahre, im Allgemeinen dagegen erst im vierten Lehrjahre im Akkord zu arbeiten. Er erhält dann bis zu 75 % des für den Gesellen festgesetzten Akkordsatzes ausbezahlt. Diese Lehrlinge können es mit ihrem Wochenverdienst bis auf 18 – 20 Mark, einzelne sogar auf 25 – 27 Mark bringen. Nach Beendigung der Lehrzeit erhalten die Lehrlinge ein Geldgeschenk bis zu 200 Mark je nach ihrer Leistung. In der Regel wird dieser Geldbetrag voll ausgezahlt und nur in seltenen Fällen, bei ganz minderwertigen Leistungen der Lehrlinge, gekürzt oder ganz einbehalten.
Der Andrang zu allen Lehrstellen ist seit Jahren so groß, dass mit Ausnahme der Kesselschmiede, Blechschmiede und Formerei, zu der sich verhältnismäßig wenige Lehrlinge melden, nur noch Lehrlinge eingestellt werden können, die gute Schulzeugnisse aufzuweisen haben, und deren Väter bereits 10 Jahre und länger im Werk beschäftigt sind. Besonders groß ist der Andrang zum Schlosserberuf.
Leistungen und Fortschritte bei der Arbeit, sowie das sittliche Betragen während der Arbeitszeit unterliegen natürlich seitens der Firma dauernder Beobachtung. Einen großen Wert legt die Firma auf den regelmäßigen Besuch der Pflichtfortbildungsschule. Die Lehrlinge werden bis zum vollendeten 17. Lebensjahre hierzu angehalten. Der Unterricht findet vormittags statt, wöchentlich einmal, im Sommer von 7 bis 13 Uhr und im Winter von 8 bis 14 Uhr. Diese Lehrlinge müssen sich 2 Stunden nach Beendigung des Unterrichtes wieder in ihrer Werkstatt einfinden. Die Firma sichert sich durch den Lehrvertrag das Recht, den Lehrling später noch eine zweite von ihr zu bezeichnende Schule besuchen zu lassen. Das Schulgeld bezahlt dann die Firma. Die Errichtung einer eigenen Lehrlingsschule ist in Aussicht genommen.
Sehr interessant ist die Feststellung, dass nach Beendigung der Lehrzeit etwa die Hälfte der jungen Gesellen im Werke bleibt. Auch von denen, die sich nun erst einmal außerhalb umsehen wollen, kehrt ein erheblicher Prozentsatz später wieder gern zur Firma zurück, so dass die Bemühungen, diese jungen Leute heranzubilden, auch unmittelbar für die Firma einen großen Wert haben. Neben den Lehrlingen beschäftigt die Firma eine große Zahl von sogenannten Arbeitsburschen. Auch hier wird darauf gesehen, besonders Befähigte unter diesen gleich den Lehrlingen in einem bestimmten Beruf auszubilden. Es wird ihnen dann auch der gleiche Lohn wie den durch Vertrag eingestellten Lehrlingen bewilligt.
Was nun die Ausbildung der Arbeiter anbelangt, so haben von 100 gelernten Arbeitern im Gesamtdurchschnitt 90 ihre Ausbildung in Fabriken erhalten, nur durchschnittlich 10 sind aus dem Handwerk hervorgegangen. Es macht sich deutlich bemerkbar, dass handwerksmäßig ausgebildete Arbeiter nicht ohne weiteres im Fabrikbetrieb zu verwenden sind. Für die Dreherei, Montage, Kesselschmiede, Rohreinzieherei, Modelltischlerei und Formerei kommen sie überhaupt nicht in Frage. In der Schlosserei müssen sie manches Neue erst dazu lernen. Meistens vermögen sie nicht nach Zeichnungen zu arbeiten, auch wissen sie nicht mit den für die heutige Maschinenfabrikation unentbehrlichen Feinmessungen genügend Bescheid, um gleich verwendbare Arbeit zu leisten. Nur bei den Mechanikern, den Schlossern für Rohrarbeiten, den Zimmerleuten und Stellmachern stammen die meisten aus der Lehre von Handwerksmeistern.
• Conrad Matschoss
Der Technikhistoriker Conrad Matschoss (1871 – 1942) verfasste diese Denkschrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens der Maschinenfabrik R. Wolf in Magdeburg-Buckau und schuf damit ein ausführliches und mit über 150 Fotos und Zeichnungen reichhaltig illustriertes Zeitdokument der Industriegeschichte.