VerkehrSchifffahrt

Auf dem Leuchtturm

Das Neue Universum • 1880

Voraussichtliche Lesezeit rund 10 Minuten.

Zur Winterzeit, wenn die öffentlichen Blätter fast täglich Kunde bringen von allerlei elementaren Verdrieß­lich­keiten zu Wasser und zu Lande, von Sturm und Frost und Tauwetter, von Überschwemmung und Lawinensturz, da gedenkt man mit Dank der Leute, deren Aufgabe es ist, dem Menschen in den Gefahren dieser unheimlichen Welt beizustehen und ihn aus dem Bereich erbarmungsloser Mächte zu erretten. Ich will hier nicht von den Mönchen auf dem St. Bernhard sprechen und nicht von den verdienstvollen Männern, die an den Küsten unserer Meere die Anstalten zur Rettung Schiffbrüchiger unterhalten und mit Gefahr ihres eigenen Lebens Bedrohte in Sicherheit bringen, sondern von einer Klasse von Menschen, die Tag und Nacht im heiligen Dienst der Gesamtheit wachen und dabei ein Leben führen, wie es öder, einsamer und monotoner nicht gedacht werden kann, von denen aber so gut wie nie die Rede ist. Es sind die Leute auf den Feuerschiffen vor der Mündung der Ströme und auf den Leuchttürmen an der Küste. Sie haben ein Dasein ganz besonderer Art, voll Schrecken und Langeweile.

Als ich jüngst vor Sulina an der Mündung der Donau, am Ende des langen, schmalen, weit ins Schwarze Meer sich hinausstreckenden Steindammes, den Leuchtturm besuchte, fand ich dort als Wächter einen Mann, dessen schlanke Gestalt sehr gut zu den schmalen eisernen Stiegen passte, die sich in dem Turm hinaufzogen. Sein Angesicht hatte einen schwermütigen Zug wie das Meer da draußen, und seine Schweigsamkeit war fast so groß wie die des Himmels, der sich über diesem Meer wölbte und an dem große, stille Wolken entlang zogen. In dem Turme roch es nach Öl und Putzpulver; es war große Reinlichkeit dort, aber man sah kaum etwas Anderes als die Dinge, die zum Dienst des Lampenwerkes gehören, – einem Dienst, der sich jahraus jahrein bis auf den kleinsten Umstand in seiner Genauigkeit tagtäglich wiederholt. Mit Sonnenuntergang zündet er die Lampen an, und bei Sonnenaufgang dreht er sie wieder aus. So lebt der Mann ein stilles, einförmiges Leben in einer Atmosphäre von Licht, Melancholie und Ölgeruch. Die einzige Abwechselung ist, wenn Nachts bei stürmischem Wetter die düsteren Wellen mit den bleichen Köpfen gegen den Steindamm rennen und einer der großen Betonblöcke, aus denen der Stamm aufgewürfelt ist, in die Tiefe des Meeres hinab­kollert. Dann erbebt der Turm, die Lampen klirren und dem Manne fährt Entsetzen durch die Glieder; es ist ihm, als wollte die hungrige See auch ihm ans Leben, wollte den ganzen Turm verschlingen und sich rächen für so manche gute Beute, die der Gefräßigen entgangen, für all die Schiffe voll warmen Menschenlebens, die von seinem heiligen Licht geleitet, die Gefahren der heimtückischen Küste überstanden und ganz wohlbehalten den Ankerplatz erreichten.

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• Auf epilog.de am 31. Januar 2025 veröffentlicht

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