Bau & ArchitekturWohnungsbau

Die Arbeiterstadt von Mühlhausen im Elsass

Deutsche Bauzeitung • 30.3.1867

Die bedeutsame Aufgabe der an Fabriken reichen Städte, Verbesserungen in den Wohnungsverhältnissen der Arbeiterbevölkerung herbeizuführen, ist ganz besonders glücklich in Mühlhausen von dem dortigen Industrie-Verein gelöst worden. Derselbe, 1832 gegründet, hatte bereits alle Vorbereitungen für die Reform der Arbeiterwohnungen getroffen, als durch Dekret vom 22. Januar 1852 ein Kredit von 10 000 000 Francs für die Verbesserung der Arbeiterwohnungen in den großen Fabrikstädten Frankreichs ausgesetzt wurde.

Die Gründer des Unternehmens, 12 an der Zahl, vereinigten sich als Gesellschaft mit einem Kapital von 300 000 Francs in 60 Aktien und erhielten demnächst eine gleiche Summe als Beihilfe von der Regierung unter folgenden Bedingungen:

  1. im Ganzen für ihre Zwecke 900 000 Francs auszugeben,
  2. die Häuser zu einem, den Selbstkostenpreis nicht um 8 % übersteigenden Preis zu vermieten,
  3. sie den Arbeitern zum Kostenpreis zu verkaufen,
  4. den Mietpreis für eine Dauer von mindestens 20 Jahren aufrechtzuerhalten.

Nach den Statuten war der Gesellschaft jeder Gewinn untersagt. Ihre Aktien gewähren nur einen Anspruch auf 4 % Zinsen des Nominalkapitals und auf Rückzahlung desselben.

Statt nur 300 Häuser zu bauen, wozu sich die Gesellschaft verpflichten musste, sind deren bis heute 792 ausgeführt und davon 669 an Familienväter verkauft worden.

Die Bauten, einschließlich des Grund und Bodens der Ländereien und gemeinnützigen Einrichtungen, kosten 2 500 000 Francs. Die Gesellschaft hat deshalb teils ihr Anlagekapital vermehren, teils Anleihen durch hypothekarische Verpfändung aufnehmen müssen,

Beim Bau sind verschiedene Normen befolgt worden. Es gibt Häuser mit nur einem Geschoss, auch solche mit einem Stockwerk darüber; letztere meist in Reihen von 10 bis 20 aneinander und mit der Rückseite gegen eine gleiche Anzahl Häuser gestellt, vorn mit einem Garten; andere in Gruppen zu vier Häusern und von allen Seiten mit Gärten umgeben. Letztere Anordnung nahm man später als unveränderliche Norm an, gleichviel ob dabei die Häuser ein oder zwei Geschosse haben.

Die Häuser mit Stockwerk enthalten unten zwei Zimmer und eine Küche, oben zwei Zimmer, ferner Klosett, Keller und Boden. Der vom Hause eingenommene Raum umfasst 30 m² der des Gartens 120 m².

Um Eigentümer zu werden, hat der Arbeiter zunächst zur Deckung der Abgaben etc. eine Einzahlung von 250 – 300 Francs und ferner durch monatliche Zahlungen den Kaufpreis zu erlegen, der von 2700 bis 3700 Francs beträgt. Die Miete eines Hauses, das 3000 Francs kostet, beträgt 18 Francs monatlich; werden 7 Francs monatlich mehr bezahlt, so wird der Mieter in rund 14 Jahren Eigentümer. Wie oben bemerkt, sind von 792 Häusern bereits 669 an Arbeiter verkauft.

Außer den zum Verkauf bestimmten Häusern ist ein Etablissement für unverheiratete Arbeiter, mit einzelnen Zimmern, welche für 6 Francs monatlich vermietet werden, nebst einem gemeinschaftlichen Saal vorhanden.

Alle Jahre findet eine Preisverteilung an diejenigen Familien statt, welche sich durch gute Erhaltung der Wohnung, Kultur des Gartens, Sparsamkeit, Pflege der Kinder und Verdienste der Familienglieder auszeichnen. Da auf diese Preise viel Wert gelegt, wird, so findet man Häuser und Gärten aufs Sorgfältigste gepflegt; die Arbeiterstadt gewährt einen sehr freundlichen Anblick. Die Hauptstraßen sind 11 m, die Querstraßen 8 m breit, mit einer Doppelreihe von Linden besetzt und durch Trottoirs begrenzt. Neben den Wohnhäusern sind noch verschiedene gemeinnützige Anstalten, als Bäder, Waschhäuser, Kinderbewahranstalt, Bäckerei, Garküche, Bibliothek und Verkaufsmagazine vorhanden, auch zwei Häuser, eines für eine Diakonissin zur Wohnung, ein anderes für einen Arzt zur Konsultation, beide unentgeltlich von der Gesellschaft hergegeben. Für den Gebrauch der Bäder und der Waschanstalt wird eine geringe Gebühr erhoben. Die Bewahranstalt, welche 33 000 Francs gekostet hat, und von den Frauen der ersten Fabrikanten überwacht wird, hat jetzt 250 Kinder in Obhut. Ein auf Subskription begründetes Invalidenhaus endlich nimmt Invaliden auf, die keine Angehörigen haben.

Obgleich die Beihilfe des Staates die ersten Schritte dieses Unternehmens wesentlich gefördert hat, so besteht es doch eigentlich erst durch die Opferwilligkeit und das humane Streben tatkräftiger Männer.

Ein ähnliches Ziel wie in Mühlhausen, jedoch ohne Staatsunterstützung, sonst auf demselben Wege, ist in Gebweiler, wenige Meilen von jener Stadt entfernt, erreicht worden.

• Auf epilog.de am 26. Oktober 2024 veröffentlicht

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