Feuilleton

Technik-Museum Speyer

100 Jahre Welte Philharmonie Orgel

tvi.ticker • 29. August 2016

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.
Welte Philharmonie OrgelFoto: Technik Museen Sinsheim und Speyer

23. Oktober 2002: Ein leiser Orgelton durchdringt die historische Liller Halle des Technik-Museum Speyer, in der sonst Oldtimer, Flugzeuge und andere Zeitzeugen der motorisierten Technikgeschichte den Ton angeben. Erst ganz leise, dann immer mächtiger, bis ein gewaltiges Fortissimo die Halle zum Beben und das Publikum zum Applaudieren bringt. Ein Orgelkonzert in einem Technikmuseum … passt das zusammen? Es passt, denn es ist eine ganz besondere Orgel, die im  Technik-Museum Speyer ihren großen Auftritt hat.

Seit dem Jahr 2002 ist im Technik-Museum Speyer eine Welte Philharmonie Großorgel zu sehen. Das einzigartige Instrument wurde 1916 von der amerikanischen Niederlassung der in Freiburg im Breisgau ansässigen Firma Welte gebaut und feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag.

Welte Philharmonie Orgel

Die Firma Welte war neben automatischen Klavieren und Orchestrien auch für Orgeln bekannt. Die im Museum ausgestellte Welte Philharmonie ist das größte Instrument, das je von Welte hergestellt hergestellt wurde. Das Instrument bewarb man damals als ein »wahrhaft ideales Hausinstrument für besitzende Kreise«. Wohlhabend musste man in der Tat sein und ausreichend Platz musste man ebenfalls haben, denn zum Aufbau wurde ein Raum von rund 6 m Länge, 5 m Breite und 4 m Höhe benötigt. Welte Philharmonie OrgelFoto: Technik Museen Sinsheim und Speyer Dies erforderte selbst bei herrschaftlichen Häusern oft einen Anbau, um das Instrument aufbauen zu können. Musikalisches Talent war dagegen keine Voraussetzung für den Musikgenuss. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Orgeln verfügt die Welte Orgel neben dem Spieltisch für den manuellen Betrieb auch über eine raffinierte Automatik, die mit einer gelochten Papierrolle gesteuert wird. Man legt eine Rolle ein, startet den Abtastvorgang und schon spielt das Instrument mit 2592  Pfeifen und einem Schlagwerk völlig selbsttätig. Als außergewöhnliche Besonderheit ist die Orgel sogar mit einem Rollenwechsler ausgestattet, mit dem bis zu 10 Rollen hintereinander abgespielt werden können.

Die Welte Philharmonie Orgel wurde nach dem Erwerb durch den Finanzinvestor und späteren Herausgeber der Washington Post Eugene Meyer in seinem 1915 gebauten Sommerhaus bei Mount Kisco aufgebaut. Seine Tochter erinnerte sich später an das Instrument wie folgt: Mein Vater liebte es, uns am Sonntagmorgen aus dem Bett zu jagen, indem er mit größter Lautstärke den Choral ›Nearer My God to Thee‹ auf der großen im Haus eingebauten Orgel spielte, deren Pfeifen sich über alle Stockwerke durch das ganze Gebäude zogen. Das hieß so viel wie ›Alles aufstehen!‹  Der damalige Preis betrug $ 22 000, was dem Wert von 50 Ford T-Modell Automobilen entsprach.

Welte Philharmonie im Technik Museum SpeyerFoto: Technik Museen Sinsheim und SpeyerWelte Philharmonie im Technik Museum Speyer

Bei der Ankunft in Speyer 1994 befand sich das einmalige Instrument in einem sehr schlechten Zustand. Zahlreiche wichtige Teile fehlten, die Windkanäle waren verschollen, viele Metallteile wiesen Korrosionen auf und die Verkabelung war weitgehend unbrauchbar geworden. Gotthard Arnold, Sina Hildebrand und ihr Team, mit Unterstützung der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur, stellten sich der Herausforderung die Fragmente wieder zu einem voll funktionsfähigen Instrument zusammenzufügen. Die Orgel musste praktisch von Grund auf Stück für Stück renoviert werden. Angefangen von dem englischen Compton-Parkinson Gebläse, über die notwendigen leise laufenden Elektromotoren, oder die zum Teil sehr porösen Bälge. Aber auch die alten Kabel erbrachten nur noch geringe Leitfähigkeit und der Spieltisch und sein Innenleben machten einen jämmerlichen Eindruck.

Am 23. Oktober 2002 konnte die Welte Philharmonie Orgel bei einem Einweihungskonzert endlich der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Seiter erklingt das Instrument bei Konzerten oder bei der Kultournacht Speyer. Besonders stolz ist man auf eine Sammlung von rund 600 Musikrollen, zumeist Originalmusik von 1914 – 1916. Diese Rollen wurden damals von bekannten Organisten wie Prof. Enrico M. Bossi, E. H. Lemare, F. J. Breitenbach, Prof. Dr. Max Reger, Prof. Josef Bonnet, Prof. Samuel A. Baldwin oder Prof. Eugen d’Albert eingespielt.

Fakten der Welte Philharmonie Orgel

  • Weltweit größte Welte Philharmonie Orgel.
  • Gebaut 1916 von der Welte Niederlassung in New York in Kooperation mit der Skinner Company.
  • Maße Orgel (H×B×T): 7 m × 14 m × 10 m.
  • Maße Spieltisch (H×B×T): 1,65 m × 1,45 m × 1,57 m.
  • Drei Manuale C – c5, ein Pedal C – g1, 36 Register, 2592 Pfeifen.
  • Schlagwerk (über Piston einschaltbar) mit kleiner und großer Pauke, Becken, Wirbeltrommel, Triangel und Effekten (drehbar).
  • Die Orgel kann sowohl automatisch mittels einer Papierrollen-Steuerung (Rollenbreite 385 mm) als auch manuell gespielt werden.
  • Interner Rollenautomat sowie externer Rollenwechsler (10fach Paternoster, zum internen Rollenautomaten parallel geschaltet).

Quelle:  Technik Museen Sinsheim und Speyer

• Auf epilog.de am 29. August 2016 veröffentlicht

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