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Vom Goggo zum Lifestyle-Mobil

Die Rückkehr der Bonsai-Autos

tvi.ticker • 15. April 2010

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.
Vom Goggo zum Lifestyle-MobilDie Sonderausstellung ›Vom Goggo- zum Lifestyle-Mobil: Die Rückkehr der Bonsai-Autos‹ war 2010 im Auto & Technik Museum Sinsheim zu sehen.

Die Sonderausstellung ›Vom Goggo- zum Lifestyle-Mobil: Die Rückkehr der Bonsai-Autos‹ war 2010 im Auto & Technik Museum Sinsheim zu sehen.

Die für heutige Betrachter billig und primitiv wirkenden Kleinstwagen der Nachkriegszeit haben damals vielen Normalverdienern überhaupt erst den Einstieg in die Motorisierung ermöglicht. Mehr als fünfzig Jahre später erleben die Mini-Autos, ausgestattet mit zeitgemäßer Komfort- und Sicherheitstechnik, eine überraschende Wiederauferstehung. In einer Sonderausstellung im  Auto & Technik Museum Sinsheim 2010 wurden zeittypische Winzlinge aus den 1950er Jahren (Glas Goggomobil, BMW Isetta, Messerschmitt Kabinenroller und Kleinschnittger Speedster) zwei gleich großen, aber ungleich moderneren Kleinstwagen von heute (Smart und Toyota iQ) gegenübergestellt. Die Ausstellung beschränkt sich dabei nicht darauf, die technischen Fortschritte im Automobilbau darzustellen, sondern geht auch ausführlich auf andere Aspekte ein, wie die Preisentwicklung bei Automobilen und Konsumgütern von 1960 bis heute, die Entwicklung der Unfallzahlen und die Erfolge bei der Verminderung von Verbrauch und Schadstoffausstoß.

Während die Motorleistung in den vergangenen fünf Jahrzehnten um fast das Zehnfache stieg, ging gleichzeitig der Schadstoffausstoß um mehr als 90 % zurück. Seilzug-Trommelbremsen wurden durch hydraulische Scheibenbremsen ersetzt, statt unsynchronisierter Dreiganggetriebe übernehmen heute automatisierte Fünfganggetriebe oder eine stufenlose CVT-Automatik die Kraftübertragung. Auch ansonsten haben die heutigen Kleinstwagen mit ihren Vorgängern außer der Größe kaum noch etwas gemeinsam. Den enormen Fortschritt an Komfort und Sicherheit gibt es allerdings nicht zum Nulltarif. Manche Kleinstwagen liegen preislich im Bereich der unteren Mittelklasse. Dennoch machen Parkraumnot, steigende Kraftstoffpreise, strengere Umweltgesetze und ein verändertes Käuferbewusstsein die ›Urenkel‹ von Goggomobil und Isetta vor allem bei Großstadtbewohnern immer häufiger zu Trendsettern für einen neuen Lebensstil.

Es war keineswegs – auch wenn es sein Name suggerierte – der Volkswagen, der in den ersten Jahren des Wirtschaftswunders die Deutschen auf die Räder brachte. Der ›Käfer‹, wie er später genannt wurde, war wegen seines Preises zu Beginn eher ein Auto für die Besserverdiener. Für die breite Masse kamen viel eher winzige, von schwachbrüstigen Ein- oder Zweizylindermotoren angetriebene Gefährte mit drei oder vier Rädern in Frage.

Unzählige Familien erfüllten sich in den 1950er und 1960er Jahren mit Kleinstwagen, wie BMW Isetta, Messerschmitt-Kabinenroller oder Goggomobil erstmals den lang gehegten Traum von individueller Mobilität.

Der schon eine Klasse höher angesiedelte Lloyd-Kleinwagen des Bremer Borgward-Konzerns (Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd! dichtete die neidische Konkurrenz) gehörte nach 1950 zu den meistverkauften Autos in Deutschland.

Die wichtigste Zielgruppe der zahlreichen Kleinstwagenhersteller war das Heer der Motorrad- und Motorrollerfahrer, die ein preiswertes, wetterfestes Transportmittel für den Weg zur Arbeit suchten, in dem sie sonntags auch die Familie mitnehmen konnten. Während die meisten Anbieter der teilweise skurrilen Primitivmobile schon bald wieder vom Markt verschwanden, erreichten die BMW Isetta oder der Kabinenroller von Messerschmitt respektable Stückzahlen. Ungekrönter König der Autozwerge war jedoch das viersitzige, 2,90 Meter lange Goggomobil aus der ehemaligen Landmaschinenfabrik Glas, das sämtliche Konkurrenten überlebte, nicht zuletzt, weil es auch mit dem alten Führerschein der Klasse 4 gefahren werden konnte. Von 1955 bis zum Produktionsende im Sommer 1969 liefen in Dingolfing (heute ein BMW-Werk) knapp 284 000 winzige Limousinen und Coupés vom Band.

Bonsai-AutosFoto: Technik Museen Sinsheim und SpeyerBonsai-Autos von damals und heute.

Nachdem dank wachsender Einkommen schon in den 1970er Jahren die Autozwerge aus dem deutschen Straßenbild verschwanden, wurden die Autos bis zum Ende des letzten Jahrhunderts stetig schwerer und größer. Beispiel: Der erste VW Golf von 1974 war 3,72 Meter lang und wog, in der einfachsten Variante, 790 kg. Sein aktueller Nachfolger Golf VI misst mit 4,20 Metern fast einen halben Meter mehr und bringt stolze 1300 kg auf die Waage.

Den Besuchern der Frankfurter IAA von 1997 musste daher der Smart mit seinen 2,50 Metern Außenlänge wie ein Fahrzeug von einem anderen Stern erscheinen. Es sollte allerdings noch etliche Jahre dauern, bis sein revolutionäres Konzept ernst genommen wurde.

Die Beseitigung der anfangs vorhandenen technischen Mängel trug dazu ebenso bei wie der gesellschaftliche Wandel. Immer mehr Autokäufer kaufen heute nach der Devise »Klein, aber fein« gut ausgestattete Kleinstwagen wie Smart oder Toyota iQ mit zeitgemäßen Extras wie ABS, ESP, Airbags, Klimaanlage und Automatikgetriebe, die dank ihrer einzigartigen Wendigkeit im Großstadtgewühl jede Menge Fahrspaß garantieren. Den neuen Bonsai-Autos gehört offensichtlich die Zukunft: 2009 wurden in Deutschland mit rund 350 000 Kleinstwagen doppelt so viele Fahrzeuge wie im Vorjahr verkauft, mehr als jemals zuvor.

Quelle:  Technik Museen Sinsheim und Speyer

• Auf epilog.de am 15. April 2010 veröffentlicht

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