Handel & Industrie

Schuhmaschine

Illustrirte Zeitung • 26.1.1861

Die häufigen Klagen, dass die Fabrikation – der Betrieb solcher dem Handwerk früher überwiesener Gegenstände – jetzt mit Hilfe der Maschinen im großartigen Maßstab betrieben dem kleinen Gewerbsmann sozusagen den Boden unter den Füßen weggezogen habe, sind zwar vielfach begründet; dies sind indes Klagen einzelner, während die Allgemeinheit alle solche Etablissements nur mit Freuden begrüßen kann. Sie sind Tatsachen geworden, Forderungen und Fortschritte der Zeit, denen sich die Einzelnen unmöglich widersetzen können und die jeder, dem es betrifft, nur in der Weise auffassen sollte, wie er sich selbst am besten dabei zu schützen hat.

Schuhmaschine

Einen solchen Schutz gegen die großen Fabriken sehen wir in dieser Schuhmaschine für den kleinen Handwerksmann. Schuhmaschinen überhaupt sind in England und Amerika nichts Neues mehr und es sind in diesem Jahr auch in anderen Ländern vielfach Patente auf Schuh- und Stiefelmaschinen, zum Nähen, Nageln, Fertigen der Schäfte, Krümmen des Leders etc. genommen worden. Besonders empfindlich für den kleinen Handwerksmann in Frankreich war bis vor kurzem die Schuhfabrik von Sylvain, Dupuis u. Comp. in Paris, welche mit Hilfe von Näh- und Nadelmaschinen und einer zehnpferdigen Triebkraft Unmassen von Schuhwerk aller Art zur Ausfuhr wie zum Gebrauch im eigenen Lande verfertigte und dadurch der Handarbeit und dem kleinen Kapital eine höchst unangenehme Konkurrenz bereitete.

Dieses erkennend, kam M. Sellier, Regimentsschuhmacher in Paris, auf die Idee, eine für den Handgebrauch zu benutzende Maschine zu konstruieren. Obwohl das von ihm erfundene Modell bereits auf der Pariser Ausstellung im Jahr 1855 gekrönt wurde, erlaubten ihm doch seine Vermögensverhältnisse nicht, die praktische Ausführung desselben zu bewerkstelligen. M. Sellier starb in höchst dürftigen Verhältnissen. Nach seinem Tod erst wurde durch Lemmercier das Modell angekauft und verbreitet. Nach Deutschland führte zuerst der Schuhmachermeister G. W. Bauer in Frankfurt a. M die Maschine durch Patent des Senats ein. Durch diese Maschine werden die Sohlen, nachdem der Schuh soweit fertig, mittels Messingschrauben in kurzer Zeit befestigt. Die Maschine macht die Schrauben, bohrt sie zu gleicher Zeit in das Leder fest und schneidet sie auch ab. Die Sohlen schließen dann so innig an das Oberleder und die Brandsohle, das unmöglich Nässe eindringen kann; auch können die Schrauben nicht herausfallen, wie dies bei Holz- und Drahtstiften sehr leicht vorkommt; die Hauptsache ist aber die, dass ein Arbeiter an einem Tag mindestens drei bis vier Paar Schuhe fertigmachen kann, wodurch bei solchen Schuhen gegen 20 – 30 % an Arbeitslohn gespart wird.

Herr Bauer hat bereits mehrere Maschinen dieser Art an andere Meister verkauft und dieselben haben sich sehr vorteilhaft bewährt. Jedenfalls sind diese Maschinen von großem Vorteil im Gegensatz zu großen derartigen Fabrikanlagen und geeignet, einer Konkurrenz mit diesen möglichst begegnen zu können.

Entnommen aus dem Buch:
Die ›Zeitreisen‹ knüpfen an die Tradition der Jahrbücher und Zeitschriften ›zur Bildung und Erbauung‹ aus dem 19. Jahrhundert an. Eine bunte Auswahl von Originalartikeln begleitet den authentischen und oft überraschend aktuellen Ausflug in die Geschichte. Kultur- und Technikgeschichte aus erster Hand, behutsam redigiert, in aktueller Rechtschreibung und reichhaltig illustriert.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 124 Seiten | ISBN: 978-3-7543-5702-6

• Auf epilog.de am 27. Juni 2017 veröffentlicht

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