VerkehrEisenbahn

Beispielhafte Bauvorhaben

Neue Bedeutung für alte Bahnhöfe

Berliner Wirtschaft • September 1994

Voraussichtliche Lesezeit rund 10 Minuten.

Das Konzept für den Personenfernverkehr in Berlin steht bereits seit 1992 fest. Damit es auch funktioniert, müssen nicht nur alte Bahnhöfe umgebaut, sondern auch gänzlich neue errichtet werden. Vor allem an der Invalidenstraße wird an historischer Stelle ein neuer, stadtbildprägender Lehrter Bahnhof entstehen.

Mit der Wiedervereinigung Berlins entstand die Notwendigkeit, das zerrissene Eisenbahnnetz unserer Stadt wieder zusammenzufügen und gleichzeitig ein neues Konzept für den Personenverkehr zu entwickeln. Das Bahnsystem während der Teilung mit den Schwerpunkten Zoo und Lichtenberg war für die Zukunft ebenso wenig praktikabel wie das System der Kopfbahnhöfe aus der Vorkriegszeit.

Im Jahre 1992 fiel die Entscheidung für das sog. Pilzkonzept, das vorsieht, die Stadtbahn als Ost-West-Verbindung durch eine neue Nord-Süd-Strecke in der Stadtmitte zu ergänzen, die frühere Kopfbahnhöfe miteinander verbindet. Dieses Konzept hat den Vorteil, dass die Züge aus allen Richtungen direkt bis in das Stadtzentrum hineinfahren können. Sie enden auch nicht wie früher in der Stadt, sondern fahren durch, was für die Bahn eine einfache Betriebsabwicklung bedeutet. Reisende können Berlin schnell durchqueren. Kreuzungspunkt zwischen Nord-Süd-Bahn und Stadtbahn wird künftig der Lehrter Bahnhof sein. Die Ruine des Anfang der 50er Jahre stillgelegten Bahnhofs wurde schon vor vielen Jahren gesprengt. Sein Name überlebte aber als Haltepunkt der S-Bahn. Jetzt ist der Lehrter Bahnhof als zentraler Umsteigebahnhof des Berliner Eisenbahnsystems vorgesehen. Nahezu alle Fernverkehrszüge und ein großer Teil der Regionalzüge werden hier halten.

Streckenführung im Pilzkonzept

Da nicht alle Reisenden in die Stadtmitte wollen, sieht das Pilzkonzept an den Knoten des Nahverkehrs weitere Bahnhöfe vor, in denen neben Regional- auch Fernzüge halten. In diese Kategorie gehören die neuen Bahnhöfe Gesundbrunnen und Spandau sowie Papestraße [seit 2006: Südkreuz]. In Gesundbrunnen zeigten die vor einigen Jahren vorhandenen ›Vorortbahnsteige‹, dass dieser Bahnhof schon früher ein Halt des Regionalverkehrs war. Er blieb bis heute S-Bahn-Station. Künftig wird er wieder als Halt dem Regionalverkehr sowie Fernzügen in und aus den Richtungen Rostock und Stralsund/Stettin dienen. Die Bahnreisenden werden hier günstige Umsteigemöglichkeiten zur S- und U-Bahn haben. Im Bahnhof Spandau halten schon heute Fern- und Regionalzüge. Wegen seiner ungünstigen Lage am Stresow ist aber geplant, ihn auf das Gelände des heutigen Güterbahnhofs Spandau zu verlagern, wo direkt gegenüber dem Rathaus Anschluss an die U-Bahn besteht. Der neue Bahnhof Spandau wird Knoten für den Regionalverkehr auf der Lehrter und der Hamburger Bahn. Das Angebot im Fernverkehr wird sich verbessern, wenn auch wie in Gesundbrunnen nicht alle Fernzüge halten werden. So dürfte der Bahnhof Spandau als Halt von ICE-Zügen zusätzliche Attraktivität erhalten, wenn ab 1997 auf der Lehrter Bahn der Hochgeschwindigkeitsverkehr Berlin-Hannover aufgenommen wird. In dieser Ausgabe berichten wir über den Planungsfortschritt bei den Bahnhöfen Gesundbrunnen und Spandau sowie über den Lehrter Bahnhof.

Lehrter Bahnhof: Vieles ist noch in Fluss

Berlins heimlicher Hauptbahnhof soll er werden, der neue Lehrter Bahnhof an der Invalidenstraße. An der Kreuzung zwischen den auf der  Stadtbahn verkehrenden Zügen in Ost-West-Richtung und dem in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Fernbahntunnel wird Berlins modernster Bahnhof in unmittelbarer Nähe des Regierungsviertels entstehen. Zwar hat seine äußere Gestalt schon feste Formen angenommen, an seinem Innenleben wird jedoch noch kräftig geplant.

Grundlage für das Bahnhofskonzept ist der Entwurf von Gerkan, Marg und Partner, die Ende 1992 sich mit ihrer Machbarkeitsstudie in einem Gutachterverfahren der Senats-Bauverwaltung durchsetzten. Sie unterscheiden zwischen der Mantelbebauung und den Bahnbetriebsflächen. Während die Projektentwickler Tishman Speyer Properties für die inzwischen privatisierte Bahn vor allem ein Konzept für die Mantelbebauung erarbeiten, entwickeln Gerkan, Marg und Partner das Bahnhofsgebäude entsprechend den neuen Anforderungen der Bahn AG weiter.

neuer Lehrter BahnhofGrafik: Gerkan, Marg & PartnerDie äußere Hülle des ›neuen‹ Lehrter Bahnhofs zeichnet die sich kreuzenden Linien nach.

Weit vorangeschritten sind die Arbeiten an der äußeren Hülle des Bahnhofs, die unumstritten ist. Markant und stadtbildprägend ist eine 80 m breite und über 200 m lange Kuppelkonstruktion aus Glas und Stahl, die sich in etwa 15 m Höhe über die obere Etage der Gleisanlagen spannt. Die unterirdisch verlaufende Nord-Süd-Trasse wird überirdisch optisch durch ein die Ost-West-Achse kreuzendes Glasdach angedeutet. Bei der innenarchitektonischen Gestaltung sind bereits einige Änderungen vorgenommen worden. Neben den zunächst ausschließlich vorgesehenen Rolltreppen wird es jetzt auch ganz normale Treppen geben. Außerdem soll die Bahnhofshöhe in der Tunnellage niedriger ausfallen. Vorgesehen sind nach wie vor Einzelhandels- und Dienstleistungsflächen im Bahnhof. Damit der neue Bahnhof für Anwohner und vor allem für Reisende attraktiv wird, gilt es, den Branchenmix zu optimieren. Gegenüber den bisherigen Planungen werden die Vermarktungsflächen besser genutzt. Durch eine andere Anordnung wurden zudem neue 1A-Lagen geschaffen.

Gegenwärtig läuft für den neuen Bahnhof das Planfeststellungsverfahren, das im kommenden Jahr entschieden werden soll. Solche Verfahren sind bei Verkehrsanlagen wie Bahntrassen, Tunnel und Autobahnen zwingend. Darüber müssen bereits detaillierte Aussagen über die Organisation des Bahnhofs getroffen werden, bevor er überhaupt entworfen ist. Dies ist bereits im Auftrag der Bahn von der Ingenieurgemeinschaft Verkehrsanlagen im zentralen Bereich (IVZ) geschehen: Sie haben einen Funktionsplan für die unterirdischen Bahnhofsanlagen veröffentlicht. Darin ist u. a. ein System von künstlich belichteten Ebenen mit etwa 110 Rolltreppen vorgesehen, das die Entleerung des Bahnhofs in 90 Sekunden gewährleisten soll. Architektonisch räumliche Qualitäten sind darin aber nicht enthalten. Zumindest liegt man aber jetzt beim Planfeststellungsverfahren in der Zeit, so dass ein Beschluss, der Baurecht schafft, 1995 zu erwarten ist.

VerteilerhalleGrafik: Gerkan, Marg & PartnerZwischen zwei Gebäudebügeln liegt die große Verteilerhalle des ›neuen‹ Lehrter Bahnhofs.

Parallel dazu haben Gerkan, Marg und Partner ein Konzept der Offenheit und Transparenz entwickelt, das sich auf die unterirdische Organisation erstreckt. Geradezu zelebriert wird darin die Kreuzungsfunktion des Bahnhofs, dem u. a. aufblicke von den Tunnelbahnsteigen bis zur erhöht geführten Stadtbahntrasse angeboten werden. Zwei bügelartige Riegel flankieren zudem die Tunnelachse und überspannen dabei die filigrane Stadtbahnhalle. Gegenwärtig sind die Hamburger Architekten dabei, den Funktionsplan, der von der Bahn AG abgesegnet ist, in ihr architektonisches Bahnhofskonzept einzuarbeiten. Für das Areal um den Bahnhof herum soll es ein Gutachterverfahren geben. Hierbei geht es darum, 20 ha Fläche städtebaulich zu gestalten.

Viel Zeit hat man insgesamt eigentlich nicht mehr, obwohl die Inbetriebnahme, die in Etappen erfolgen soll, nicht vor der Jahrtausendwende vorgesehen ist. Bis 1998 sollen zumindest die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Tunnel überdeckelt sein. Bereits im Oktober dieses Jahres wird die Erneuerung und Elektrifizierung der Stadtbahntrasse beginnen. Bevor jedoch die Hochbaumaßnahmen für den neuen Lehrter Bahnhof in Angriff genommen werden können, muss der gleichnamige S-Bahnhof abgerissen werden. Die über die Stadtbahn verkehrenden S-Bahnzüge werden nämlich im Bereich des Lehrter Bahnhofs auf einer nördlich verschobenen Trasse geführt werden, während die Fernzüge aus verkehrstechnischen Gründen auf der bisherigen südlichen Trasse fahren sollen.

• Thomas Ebelt

Bahnhof Gesundbrunnen: Weit mehr als ein Kaufhaus mit Gleisanschluß

Eine interessante Mischung zwischen Einzelhandel, Büronutzung und Verkehrsflächen wird am künftigen Fernbahnhof Gesundbrunnen angestrebt. Ein Kaufhaus mit Gleisanschluss soll er jedenfalls nicht werden.

Der Bahnhof Gesundbrunnen war bis zum Bau der Mauer nicht nur Verkehrszentrum für den Norden, sondern stellte mit seinem Umfeld auch ein kommerzielles Zentrum für diesen Bereich dar. Von den städtebaulichen und architektonischen Qualitäten, die das Umfeld des Bahnhofes Gesundbrunnen 1931 bei der Fertigstellung des Großkinos »Lichtburg« hatte, sind heute nur noch Reste zu erkennen. Das 1930 von Alfred Grenander erbaute U-Bahn-Gebäude gehört zu diesem Rest und soll bei dem nun geplanten Gesundbrunnen-Center den Bezug zum historischen Vorbild darstellen.

Der 1991 durchgeführte städtebauliche Wettbewerb für den Bereich Gesundbrunnen brachte als Preisträger den Berliner Architekten Axel Oestreich hervor. In seinem Entwurf geht er von einem die Verkehrsströme optimal verbindenden funktionalen Bahnhof mit einer hohen Aufenthaltsqualität aus.

Die Verkehrsflächen sollen in einer Halle über den Gleisen auf Straßenniveau angelegt werden. Alle Bahnsteige können von einer verglasten Halle eingesehen und über Aufzüge und Treppenanlagen direkt erreicht werden. Als verbindendes Element zwischen Bad- und Brunnenstraße ist ein Bahnhofsplatz als Mittelpunkt geplant. Direkt an diesem wiederauflebenden Verkehrsknotenpunkt entwickelt die ECE Projektgesellschaft GmbH ein dreigeschossiges Einkaufszentrum. Als überdachte Verlängerung der Badstraße in den Bahnhof hinein sind rund 100 Läden mit einer Verkaufsfläche von insgesamt 25 000 m² vorgesehen. Im Sinne einer Einkaufs- und Erlebniswelt soll ein Branchenmix aus Warenhäusern, Fachgeschäften, Dienstleistungsbetrieben, Cafés und Bistros entstehen, der später auch von der ECE verwaltet wird.

Büroflächen von rund 5000 m² werden in den fünf in Richtung der Gleise entstehenden Bürogebäuden angeboten. Nachdem ursprünglich das Grenander Bahnhofsgebäude abgerissen werden und ein Textilkaufhaus bis an die Badstraße gebaut werden sollte, wird nach einer Einigung mit dem Denkmalschutz das Center etwas zurückversetzt und so der Grenander-Bau unangetastet bleiben.

Die Baugenehmigung für das Gesundbrunnen-Center wird für Ende 1994, die Fertigstellung dann für Ende 1997 erwartet. Das ›Pilzkonzept‹ der Bahnplanungen in Berlin beruht auf der Annahme, dass sich sieben Fernbahnhöfe miteinander verbinden und an das Regional- und S-Bahnnetz anschließen lassen. Soll der gesamte von Norden kommende Verkehr nicht allein über den Lehrter Bahnhof abgewickelt werden, so ist ein Fernbahnhof Gesundbrunnen absolut notwendig. Fest steht jedoch z. Z. nur der Ausbau zum zentralen nördlichen Bahnhof für den Regionalverkehr in das Berliner Umland.

• Bla

Schmucker Bahnhof für den ICE am Verkehrsknoten der Havelstadt

Lange warten kann man nicht mehr mit dem Neubau des Fernbahnhofs Spandau an der Klosterstraße: Zumindest einer der drei Bahnsteige muss mit der Aufnahme der durchgängigen ICE-Schnellbahnverbindung Hannover-Berlin bis zum Jahre 1997 fertig sein. Das Bauwerk inklusive Bahnanlagen wird rund 100 Mill. DM kosten.

Ursprünglich sollte ein Entwurf von Santiago Calatrava, der als Sieger aus einem Wettbewerb hervorging, verwirklicht werden. Nachdem sich jedoch kein Investor bereitfand, das Konzept zu realisieren und der Versuch, im Rahmen einer seinerzeit auch vorgesehenen Mantelbebauung die Finanzierung des Bahnhofs zu sichern, aufgegeben werden musste, entwickelten die Hamburger Architekten Gerkan, Marg und Partner einen neuen kostengünstigen, aber dennoch attraktiven Fernbahnhof für die Havelstadt.

Die 430 m langen drei Bahnsteige werden in voller Länge durch eine Glasdachkonstruktion überdeckt. In einem Abstand von rund 17,5 m sind Hauptträger vorgesehen, die sich als Bögen von Bahnsteigmitte zu Bahnsteigmitte wölben und jeweils seitlich an den gebogenen Drahtarmen ausbilden. Zwischen dieser Bogenkonstruktion ist eine den Bahnhof äußerlich prägende filigrane Gitterstruktur aus Stahlvollwandprofilen mit diagonaler Seitenverspannung eingefügt. Die auf diese Weise entstehenden Dachflächen werden über den Bahnsteig mit Glas geschlossen werden, wobei Drahtrohglas vorgesehen ist. Sämtliche auf den Bahnsteigen notwendigen Einrichtungen wie Hinweistafeln, Richtungsanzeiger, Uhren, Sitzbänke und dergleichen sollen dabei integral in die Stahlkonstruktion einbezogen werden. Dienst- und Warteräume werden als solitäre frei stehende gläserne Baukörper unter die Dachkonstruktion gestellt.

Die Haupt-Bahnhofshalle wird an der Klosterstraße parallel zur Seegefelderstraße direkt hinter der Eisenbahnbrücke, die die Klosterstraße überspannt, entstehen. Über zwei gleichwertige Zugänge auf der Nord- sowie Südseite wird eine Halle von rund 20 m Breite und 68 m Länge erschlossen. Mittig in der Halle werden die Aufzugsanlagen platziert, die jeweils über einen Bahnsteig für Behinderte und Schwertransporte vorgesehen sind. Auf der Ostseite sollen feste Treppenanlagen auf die Bahnsteige führen, während auf der Westseite ebenfalls senkrecht zur Bahnhofshalle Fahrtreppen die Verbindung herstellen. Vorgesehen ist auch eine direkte Verbindung zur Endstation der U-Bahn-Linie 7. Beiderseits der Bahnhofshalle sind entsprechende Nutzflächen für Betriebsräume und Serviceeinrichtungen angeordnet. Zusätzlich sollen die Bahnsteige über eine Fußgängerpassage in Höhe Wilhelmshavener Straße erschlossen werden.

Prägend für den Bahnhof wird u. a. eine gewellte Deckenstruktur sein. In der jeweiligen Achse der tragenden Stahlstützen, die unter den Gleisachsen angeordnet sind, verlaufen parallel zu der Gleisführung die ›Wellentäler‹. Granit wird dagegen den Fußboden zieren, wobei Farbnuancen und Intarsien vorgesehen sind. An den Wandflächen sind Dioramakästen als Werbeträger geplant.

Die für den Bahnhof typische Wellenstruktur wird auch auf die Vordächer übertragen, die die Zugänge auf der Nord- und Südseite überspannen. Auf der Nordseite des Bahnhofs will man den Vorplatz erweitern und dort einen Taxiwarteplatz, Kurzzeitparkplätze und eine Bushaltestelle einrichten. Die Kosten für den Bahnhof selbst belaufen sich auf 76 Mill. DM, jene für die dazugehörigen Bahnanlagen auf 22 Mill. DM. Zu den insgesamt sieben Gleisen des Bahnhofs gehören zwei Fernbahnsteige und ein S-Bahnbahnsteig.

Nicht weit vom neuen Fernbahnhof Spandau werden über die Havel die beiden vorhandenen durch vier neue Brücken mit einer auf sieben Gleise erweiterten Trasse ersetzt. Die Brückenentwürfe berücksichtigen dabei auch den künftigen Ausbau der Havel zu einer Europa-Wasserstraße mit einer lichten Breite von 64 m.

Voll funktionsfähig soll der neue Fernbahnhof Spandau spätestens Ende 1998 sein. Der bisherige, östlich der Havel gelegene Fernbahnhof Spandau wird dagegen zum S-Bahn-Haltepunkt Stresow umgestaltet. Wann S-Bahnzüge dort jedoch halten, steht noch nicht fest. Gegenwärtig wird eine Teilinbetriebnahme von Westkreuz bis Pichelsberg konzeptionell untersucht. Eine Weiterführung der S-Bahn nach Spandau erfordert jedoch zwischen der Charlottenburger Chaussee und der Klosterstraße noch den Neubau mehrerer aufwendiger Brückenbauwerke, so dass eine Inbetriebnahme nicht vor 1998 realisiert werden wird.

• Thomas Ebelt

• Auf epilog.de am 1. Oktober 1997 veröffentlicht

Reklame