DaseinsvorsorgeWasserwirtschaft

Neu entdeckte antike Wasserleitung des Mauritius in Neapel

Zentralblatt der Bauverwaltung • 20.1.1883

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.
Wasserleitung

Neben dem antiken Tunnel, welcher, unter dem Namen der Grotte des Posilipo bekannt, den Rücken des Posilipausläufers bei Neapel durchsetzt, wird zurzeit ein neuer Tunnel in etwa 50 m Entfernung und 8 – 10 m tiefer als jener behufs Herstellung einer Pferdebahn nach Pozzuoli ausgeführt. Hierbei ist man am Schluss des Jahres 1882 auf eine antike Wasserleitung innerhalb des Berges gestoßen, welche den Tunnel, etwa 100 m von dem nördlichen Tunneleingang entfernt, unter etwa 60° schneidet. Der Kanal ist so groß, dass ein Erwachsener im allgemeinen bequem darin gehen kann. 1,5 – 2 m hoch, im oberen Teil 0,5 – 0,6 m, im unteren 0,3 m breit (vergl. die Skizze). Die Decke ist halbkreisförmig, meistens ohne besondere Bedeckung, dagegen ist der übrige Teil der Wandung bis zur Kämpferhöhe mit einem sehr schönen gleichmäßig 15 mm starken, harten und marmorartig glänzenden Stuck überzogen, welcher bis zur halben Höhe mit Kalkablagerungen des durchgeflossenen Wassers bedeckt ist. Der Boden besteht aus sehr gleichmäßig dicht gelagertem Kalktuff.

Die Herstellung des Kanals ist in der Weise bewirkt, dass in gewissen Abständen runde Brunnen von etwa 0,9 m Durchmesser (wahrscheinlich 3 Fuß römisch) von der Erdoberfläche hinabgeführt sind, welche zum Herausschaffen des Ausbruchsmaterials und vielleicht auch zum Reinigen usw. der Leitung gedient haben. In dem nach Neapel zu gelegenen Teil des Kanals habe ich in dem von mir begangenen Teil, dessen Länge ich auf nahezu 500 m schätze, zwei derartige Brunnen gefunden. Wahrscheinlich ist der Schutt, welcher die weitere Begehung behinderte, durch einen dieser Schächte eingedrungen, da im übrigen der Kanal, abgesehen von einzelnen Stellen, wo der Stuck abgefallen ist, vollständig gut erhalten ist. In dem nach dem Capo Posilipo gelegenen Teil, welcher sich zunächst in derselben Weise unter der Grotte des Posilipo fortsetzt – man hört das Wagengerassel über sich – befindet sich ebenfalls ein Schacht, welcher, wie ich glaube, zur Materialausförderung vermittels des antiken Tunnels gedient hat, so dass man schließen muss, es sei jener antike Tunnel gleichzeitig oder früher als dieser Wasserleitungs-Kanal hergestellt worden. An diesem Schacht macht der Kanal fast einen rechten Winkel nach Norden und setzt sich, wiederholt seine Richtung ändernd, fort, um sich schließlich in drei Zweigkanäle zu teilen, deren weitere Begehung zurzeit nicht möglich ist, da sie durch Schutt versperrt sind. Auffallend ist bei dem ganzen Kanal, dass er so häufig die Richtung ändert und dabei in seiner Horizontalprojektion nicht gradlinige Teile, sondern meistens gekrümmte Linien zeigt. Es war mir nicht möglich festzustellen, nach welcher Seite der Kanal sein Gefälle hat, doch vermute ich, dass derselbe das Wasser in der Richtung von Neapel nach dem Capo Posilipo führte. Jene Verzweigung des Kanals würde also den Zweck gehabt haben, das Wasser nach verschiedenen Verbrauchsstellen zu leiten. Eine genaue Aufnahme der ganzen Anlage, sowie Freilegung der weiteren Kanalstrecken durch Beseitigung des stellenweise durch die Schächte eingedrungenen Schuttes ist angeordnet.

Besonders interessant ist auch das Vorhandensein von eingekratzten Inschriften und Zeichen auf dem Stuck des Kanals. Es findet sich eine Inschrift in Buchstaben von 150 – 200 mm Höhe sowohl auf der rechten als linken Seite, welche von Giulio Minervini und Alberto Avena in Neapel wie folgt gelesen ist:

MACRINVS . DIADVMIINI . AVG.(usti) L(iberti) . PROC(uratis) . ANTONIANI . DISP(ensator) . HIC . AMBVLAVIT . –NIIRVA–IIT . VIISTINO . COS . PR . IDVS . IANVARIAS.

Die Inschrift auf der rechten Seite hat nur statt ambulavit II VIT. Am wichtigsten unter den eingekratzten Inschriften ist indes eine dritte, welche folgendermaßen lautet:

Dreizackform

Macrinus . Diadumeni . Aug(usti) . L(iberti) . Proc(uratoris) . Antoniani . Disp.(ensator) . Hic . Ambulavit . A . VILLA . POLLI . FIILICIS . QVAII . IIST. IIPILIMONIIS .VSQVII . AD . IIMISSARIVM . PACONIANVM . NIIRVA . IIT . VIISTINO . COS.

Außerdem finden sich verschiedentlich mit Pinsel und roter Farbe ›Liberi vivas‹ sowie eingekratzte Zeichen vor, welche zum Teil Zahlen bedeuten wie C . CC . CCC . CCCC . D usw. Die letzteren sind, in je 29,5 m, also 100 römische Fuß Entfernung, wahrscheinlich nach erfolgter Herstellung behufs Auslohnung der Arbeiter eingeritzt worden.

Endlich sind Zeichen in Kreuzform, in Dreizackform, vier übereinanderstehende Dreiecke usw. vorhanden.

Der Schreiber dieser eingeritzten Inschriften usw. ist also ein gewisser Macrinus, der im Auftrag des Diadumeno beschäftigt war; aus seiner Zeitangabe geht hervor, dass der Kanal im Jahr 65 unserer Zeitrechnung hergestellt ist.

Über die vollständige Deutung der Inschriften dürften weitere Untersuchungen, sowie die Aufnahme und das Studium des noch aufzudeckenden Teils des Kanals Aufschluss geben.

• Neapel im Januar 1883
R. Bassel, Regierungs-Baumeister.

• Auf epilog.de am 31. Mai 2017 veröffentlicht

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