Forschung & TechnikTechnik

Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit

Lampen der Zukunft

Die Gartenlaube • 1895

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Die Elektrotechnik hat nicht nur mit neuen ›Wundern‹ die Welt erfüllt, sondern auch auf alle Industrien anspornend eingewirkt. Am offenkundigsten gestaltete sich dieser Einfluss auf dem Gebiete der Lichterzeugung. Vor zwanzig Jahren stand das Leuchtgas namentlich für Zwecke der öffentlichen Beleuchtung ohne Nebenbuhler da und die Gasanstalten gaben sich keine besondere Mühe, durch neue Fortschritte der Menschheit ein immer helleres Licht zu bieten. Da wurden die alten Gasbrenner durch das neue elektrische Licht überstrahlt, und siehe da, durch den Wettkampf gezwungen, nahm die Gasbeleuchtung einen neuen ungeahnten Aufschwung; sie wurde durch neue zweckmäßigere Brenner, durch Einführung des Gasglühlichtes etc. wesentlich verbessert.

Die Wunderfee Elektrizität ist aber berufen, das Leuchtgas noch in einer anderen Weise zu verbessern. Aus früheren Schilderungen kennen unsre Leser bereits den elektrischen Schmelzofen, in dem Temperaturen bis 3500° C erzeugt werden. Er erreichte eine Berühmtheit, als Moissan versuchte, in ihm auf künstlichem Wege echte Diamanten zu erzeugen. In diesem Schmelzofen können aber noch viele andere Stoffe hergestellt werden, die für das Wohl der Menschen sicher viel wichtiger sind als funkelnde Edelsteine, und in der Tat ist aus diesem Schmelzofen bereits ein Körper hervorgegangen, der demnächst in der Lichterzeugung eine hervorragende Rolle spielen wird.

Als Moissan vor Jahresfrist Kalk mit Kohle vermengte und diese Mischung in dem elektrischen Ofen schmolz, erhielt er eine Verbindung von Kohlenstoff und Calcium, welche Calciumcarbid genannt wird. Es ist dies eine schwarze Masse mit deutlichem kristallinischen Bruch, die sich durch eine wichtige Eigenschaft auszeichnet. Kommt das Calciumcarbid in Berührung mit Wasser, so zersetzt es sich sofort, wobei eine starke Gasentwicklung stattfindet. Das Gas, das mit dem Wasser emporsteigt, ist ein Kohlenwasserstoff, den Chemikern längst unter dem Namen Acetylen bekannt und für die lichthungrige Menschheit von der höchsten Bedeutung. Diese wird uns klarwerden, wenn wir die Zusammensetzung unseres Leuchtgases etwas näher betrachten. Als wesentliche Bestandteile desselben sind hervorzuheben: Wasserstoff, Methan oder Sumpfgas, Kohlenoxid, Äthylen, Propylen und Benzol. Verbrennen wir diese Bestandteile einzeln, so nehmen wir wahr, dass die drei ersten nur eine schwach leuchtende Flamme ergeben, während die Flamme der drei letzteren helles Licht ausströmt; somit sind Äthylen, Propylen und Benzol die eigentlichen Lichtgeber unseres Leuchtgases. Das Acetylen zeichnet sich nun durch ähnliche Eigenschaften aus, wobei es aber an Leuchtkraft alle anderen Kohlenwasserstoffe übertrifft. Seine Flamme leuchtet fünfzehnmal so stark als die unsrer guten Leuchtgassorten, und es ist klar, dass wir dieselben bedeutend verbessern könnten, wenn wir ihnen Acetylen zuführten.

Bis vor kurzem war dies jedoch nicht gut möglich, da man das Calciumcarbid nur in chemischen Laboratorien in geringen Mengen und mit großen Kosten herzustellen vermochte. Neuerdings aber hat Henry Morton in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ein Verfahren zur fabrikmäßigen Herstellung von Calciumcarbid erfunden und berechnet, das eine Tonne des Stoffes nur 80 Mark und ein Kubikmeter mit dessen Hilfe erzeugten Acetylens nur 30 Pfennig kosten würde. Der Augenblick ist also gekommen, da die Industrie im Ernst daran denken kann, das leuchtendste aller Gase in den Dienst der Menschheit zu stellen, und da bietet sich eine ganze Reihe von Verwendungsarten des billiger gewordenen Acetylens.

Da zur Gasentwicklung nur das Eintauchen eines Stückes Calciumcarbid in gewöhnliches Wasser erforderlich ist, so wird man kleine Gaserzeugungsapparate in verschiedensten Arten aufstellen können; Privathäuser könnten sich von den großen Gasanstalten unabhängig machen und ihre eigenen Gaserzeuger einrichten. Ja, man kann noch weiter gehen und kleinste Gaserzeugungsapparate in tragbare Lampen verwandeln. Eine solche ›Lampe der Zukunft‹ bestände z. B. aus einem Behälter, auf dessen Grund sich ein Stück Calciumcarbid befände, über demselben würde ein Wasserballon angebracht werden, aus dem das Wasser langsam auf das Calciumcarbid tropfte, durch eine selbsttätig wirkende Vorrichtung könnte der Wasserzufluss leicht je nach dem Gasdruck in dem Behälter reguliert werden. Das entwickelte Gas würde einen passenden Brenner speisen und ein überaus helles Licht liefern. Solche Lampen würden gewiss leicht zu handhaben sein, man brauchte keinen Docht zu beschneiden, brauchte keine Flecken zu fürchten wie bei Benutzung der Petroleumlampen. Mit einer Büchse Calciumcarbid und der Wasserflasche ausgerüstet, könnte der Junggeselle seine Lampe stets allein in Ordnung halten.

Es ließen sich auch Acetylenkerzen anfertigen, metallene mit Wasser gefüllte Behälter; setzte man in dieselben eine Calciumcarbidstange ein, die nach und nach ins Wasser tauchen würde, dann träte Gasentwicklung ein, das Acetylen würde zum Brenner gelangen und jeden Augenblick verbrannt werden können. Solche Apparate würden sich namentlich zur Beleuchtung der Eisenbahnwagen eignen.

Wie verlockend aber auch diese Zukunftsaussichten erscheinen mögen, so steht der Verwirklichung derselben noch manches im Wege. Das Acetylen ist kein harmloser Körper, wie alle andern Kohlenwasserstoffe explodiert es, wenn es mit der Luft in gewissem Verhältnis vermengt und dann entzündet wird; es ist auch giftig und hat einen unangenehmen Geruch. Das sind allerdings Fehler, die es mit dem Leuchtgas und zum Teil auch mit dem Petroleum gemeinsam hat. Die Technik wird also zunächst die Aufgaben lösen müssen, Acetylenlampen zu schaffen, die eine zuverlässige Sicherheit gegen Explosionsgefahr bieten würden. Auch die Brennerfrage wird einiges Kopfzerbrechen verursachen, da das Acetylen in gewöhnlichen Leuchtgasbrennern mit stark rußender Flamme brennt.

Ob diese Schwierigkeiten unüberwindlicher Natur sein werden? Das ist kaum anzunehmen, wenn man z. B. die Fortschritte beachtet, welche im Laufe weniger Jahrzehnte in der Konstruktion der Petroleumlampen erzielt wurden. Jedenfalls steht dem Acetylen eine Zukunft bevor; die Techniker werden allen Scharfsinn dransetzen, um es zu bändigen und auszubeuten, denn es ist ein Lichtspender ersten Ranges.

• Auf epilog.de am 8. September 2016 veröffentlicht

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