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Ein Telegraf ohne Mechanismus

Die Gartenlaube • 1872

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Ein Telegraf ohne Mechanismus und ohne Benutzung des Lichts, der Elektrizität und des Magnetismus. Alle bisher bekanntgewordenen Telegrafen zeigen uns einen mehr oder weniger komplizierten Mechanismus, durch welchen die zu gebenden Zeichen – abgesehen von dem sie fortpflanzenden (leitenden) Teil des Apparates – produziert und reproduziert werden müssen, und bedürfen der Anwendung der eben erwähnten physikalischen Kräfte, denn die alten optischen Telegrafen bedurften des Tageslichts und die neueren benutzen bekanntlich die Elektrizität und den Elektro-Magnetismus.

Dem gegenüber ist eine von Professor Weinhold in Chemnitz angegebene und durch sehr günstig ausgefallene Versuche bewährte telegrafische Einrichtung schon darum von Interesse, weil sie nichts als einige einfache hölzerne Kästchen und einen Draht erfordert.

Weinholds Vorrichtung stützt sich nur auf die Gesetze des Schalls, ist also ein akustischer Telegraf, und pflanzt direkt die Laute der menschlichen Sprache (natürlich aber auch andere Töne) in die Ferne fort. Wir haben hier also einen wirklichen ›Sprechapparat‹ vor uns, während die elektrischen Telegrafen nur sehr uneigentlich so genannt worden sind.

Dass sich Schallschwingungen – seien sie nun Laute oder Töne ober bloß Geräusche – auf weitere Entfernungen fortpflanzen lassen, ist an sich freilich nichts Neues. Schon der englische Physiker Wheatstone bereitete seinen Gästen ein ›unsichtbares Konzert‹, indem er im Keller seines Hauses ein Klavier, eine Violine, ein Cello und eine Klarinette mit vier Stangen von Tannenholz in Verbindung brachte, die er durch die Wölbungen und Decken nach dem Gesellschaftszimmer des oberen Stockwerks leiten ließ, wo die Musik der unten gespielten Instrumente dann deutlich erklang. Vielen unserer Leser wird auch das von Dr. Paul Reis in Mainz erfundene ›Telefon‹ bekanntgeworden sein, bei welchem der elektrische Strom die Vermittelung der Schallfortpflanzung übernimmt. Beiderlei Vorrichtungen sind aber zu umständlich, und beim Telefon ist, wie gesagt, die Anwendung der Elektrizität und ein ziemlich diffiziler Apparat erforderlich; dabei ist die Wirkung nur schwach.

Weinholds Vorschlag empfiehlt sich dagegen durch seine große Einfachheit und Billigkeit für die praktische Anwendung: er erfordert nur zwei ›Resonanzkästchen‹ und einen Eisendraht. Unter einem Resonanzkästchen hat man einen kleinen Kasten aus dünnem, trockenem Holz zu verstehen, der aber nicht, wie unsere gewöhnlichen Schiebekästen, oben offen, sondern hier mit einer dünnen Holzplatte, dem ›Resonanzboden‹, verschlossen, dagegen an der vorderen (bei einem Schiebkasten zum Aufziehen bestimmten) Seite, sowie an der dieser gegenüberstehenden hinteren Seite offen ist – also gewissermaßen eine viereckige hölzerne Röhre. Wird nun ein tönender Körper mit dem Resonanzboden eines solchen Kästchens in Verbindung gebracht, so gerät die in dem Kasten befindliche Luft in starke Mitschwingungen, welche der umgebenden Luft mitgeteilt werden und so unser Ohr erreichen. Und treffen andererseits Schallschwingungen eines tönenden Körpers, zum Beispiel der Luft, den Resonanzboden des Kästchens, so werden sie durch einen mit demselben fest verbundenen Schallleiter weiter fortgepflanzt.

Ein solches Kästchen wurde nun in dem Bodenraume eines isoliert stehenden Hauses an einem Leiter befestigt, ein zweites im Dachraum eines etwa 600 m entfernten Hauses an vier Schnüren aufgehängt und beide durch einen nicht ganz 0,7 mm starken Eisendraht verbunden. Der Draht ging durch die Resonanzböden der beiden Kästchen hindurch und war mit jedem Ende außerhalb des betreffenden Kästchens um ein Stück Kupferdraht gewunden. Die Kästen waren so aufgehängt, dass der Eisendraht dadurch gehörig gespannt wurde, wodurch die Kupferdrahtstücke sich fest gegen die Resonanzböden anlegen mussten. Das ist die ganze Vorkehrung!

Der Draht war übrigens geglüht und bestand aus fünf Stücken, die durch sorgfältiges Zusammendrehen ihrer Enden vereinigt waren. Der horizontale Abstand der beiden Drahtenden betrug 646,5 m; doch war der Draht selbst natürlich etwas länger, da ja bekanntlich weder ein Seil, noch ein Draht und dergleichen in eine gerade Linie gespannt werden kann, sondern stets einen Bogen, eine sogenannte ›Kettenlinie‹ bildet; der senkrechte Abstand des tiefsten Punktes derselben von der geraden Verbindungslinie der Drahtenden betrug im Mittel 16,5 m.

Stellten sich nun zwei Personen in den beiden Stationen in geringer Entfernung von den Resonanzkästen auf, so konnten sie sich trotz der bedeutenden Entfernung bei ruhiger Luft bequem unterhalten, ohne die Stimme bedeutend mehr erheben zu müssen, als beim gewöhnlichen Sprechen. Die Stimmen verschiedener Personen, jeder Wechsel in der Tonstärke und Höhe der Stimme in der einen Station konnten auf das Genaueste in der andern unterschieden werden. Der Mund des Sprechenden befand sich hierbei in einem Abstand von dem Resonanzkästchen, der von 5 – 15 cm variierte; aber selbst Personen, die bis einen Meter von dem Kästchen entfernt standen, konnten die am andern Ende gesprochenen Worte noch deutlich hören. Nur bei starkem Wind wurden die Versuche durch zu starkes Tönen des durch den Wind in Schwingungen versetzten Drahts gestört; indes konnte man auch dann noch durch Klopfen mit einem Bleistift auf den Resonanzboden verständliche Zeichen geben. Gegen dies durch die Luft bewirkte Tönen des Drahts könnte man sich, wo es die Kosten erlauben, dadurch schützen, dass der Draht in eine an oder unter der Erde liegende Röhrenleitung eingeschlossen würde, wie dies ja auch für die unterirdische Stromleitung der älteren elektrischen Telegrafen geschah.

Es liegt auf der Hand, dass man auf diese Weise eine gesprochene Depesche auch auf erheblich größere Entfernungen fortleiten kann, wobei natürlich der Draht, der im geschilderten Versuch nur an seinen Enden befestigt war, noch durch Aufhängen an verschiedenen Zwischenpunkten unterstützt werden müsste. Richtet man außerdem eine größere Anzahl von Stationen mit Resonanzkästen ein, so eignet sich dies Verfahren selbst für bedeutende Distanzen.

Wir sind zwar nicht der Meinung, dass das Weinholdsche Verfahren die elektrischen Telegrafen verdrängen werde, wenn man aber die große Einfachheit und die sehr erhebliche Verminderung der Kosten im Vergleich mit anderen Telegrafen ins Auge fasst, so dürfte ein solcher ›phonischer Telegraf‹ aus dem engen Rahmen eines physikalischen Versuchs heraustreten und für nicht zu großartige Verhältnisse sich wohl zur praktischen Einführung empfehlen. Kann doch auch noch der Umstand, dass sich unterscheiden lässt, wer die Depesche gibt, in manchen Fällen von Nutzen sein.

Wir wollen schließlich noch bemerken, dass es für geringere Entfernungen, bis zu 150 m, schon genügt, zwischen den in den Händen gehaltenen Resonanzböden einen Bindfaden auszuspannen, so dass man sich durch einen Versuch im Kleinen, z. B. durch Fortpflanzung eines Stimmgabeltons, der Musik einer Spieldose etc., ohne große Kosten und Umstände von der Richtigkeit der Tatsache überzeugen kann.

Nachtrag: Zu dem Aufsatz ›Ein Telegraf ohne Mechanismus‹ sei mir erlaubt zu bemerken, dass ich an eine Verwendbarkeit des Schallleitungsversuchs im Großen weder gedacht habe noch glaube, und dass ich dem ganzen Aufsatz, also auch dem scherzhaften Vorschlag, einen Schallleitungsdraht in eine Röhre einzuschließen, völlig fernstehe. • Weinhold

• Auf epilog.de am 21. Juli 2017 veröffentlicht

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