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Die Affen auf Gibraltar

Pfennig Magazin • 2.10.1841

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Gibraltar ist der einzige Ort in Europa, wo man irgendeine Affenart wild findet. Die Ansichten über diese Erscheinung sind bei den Bewohnern Gibraltar selbst verschieden, zum größten Teil absurd. Meist halt man aber die dortigen Affen für Abkömmlinge früher eingeführter, alsdann entsprungener Hausaffen, da man bis in die neueste Zeit dergleichen von dieser Gattung, die man sich von dem gegenüberliegenden afrikanischen Festland verschafft, sehr viele in Gibraltar sieht. Noch unlängst fand man einen solchen Flüchtling gerade aus der höchsten Spitze des Felsens mit seiner Kette in einer Spalte verwickelt. Ein Artilleriesergeant, der bereits zehn Jahre lang daselbst in Garnison steht, berechnet ihre Gesamtzahl auf wenig mehr als 80; dies war, seiner Angabe nach, die größte Zahl, die er jemals während der schärfsten Ostwinde gesehen hat, durch welche sie aus ihren Höhlen auf der Ostseite vertrieben werden; dass dieselbe sich aber nicht vergrößert habe, schloss er daraus, dass die Affenmütter ihre Jungen allenthalben mit herumschleppen und nur die durch Alter oder Krankheit ganz Entkräfteten zu Hause gelassen werden. Die Affen zu beobachten ist ein Lieblingsvergnügen in Gibraltar, wenn gerade nichts Besseres die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Gewöhnlich hat man, so oft sich Gelegenheit, sie zu zählen, darbot, sieben in einem Trupp zusammen gesehen.

Eine besondere Berühmtheit hatte unter ihnen ein alter munterer Veteran erlangt, der lange unter dem Namen des Platzmajors bekannt war. Er war immer an der Spitze eines solchen Trupps, führte ihn entweder auf die Weide, wobei er die Spiele seiner Kameraden unter den Abgründen beaufsichtigte, oder bildete im Falle der Gefahr das Hintertreffen, indem die geöffnete weite Batterie seiner Zähne hinreichte, um die mutigste Dogge zur Kapitulation zu bringen. Eine, welche unklug genug war, sich einmal in seine Nähe zu wagen, ward in Stücke zerrissen, ehe ihr Herr zu Hilfe kommen konnte. Der erwähnte Sergeant erzählt, dass er die Affen nicht ein einziges Mal während der Tageshitze habe zum Futter kommen sehen; zu dieser Zeit halten sie ihre Siesta und widmen ihren andern Beschäftigungen die angenehmen Abend- oder Morgenstunden. Kaltes Wetter scheinen sie gleichfalls zu vermeiden, denn an rauen, stürmischen Tagen bekommt man sie nicht zu Gesicht. Ihre Nahrung besteht hauptsächlich aus den Wurzeln und Beeren mehrerer auf dem Felsen wildwachsender Pflanzen; die Frucht der kleinen spannenhohen Dattel, die rings um den Felsen wächst und dort die Affendattel heißt, ist ein Leckerbissen für sie, wobei sie aber auch keine andere Sorte von Früchten verschmähen. Gerade wegen des großen Umfangs ihrer Verwüstungen in letzterer Hinsicht, wogegen auch die sorgsamste Wache bei ihrer Fertigkeit in deren Ausführung nichts hilft, werden sie von allen Gartenbesitzern mit keineswegs freundlichem Blick angesehen.

Der ›Platzmajor‹ zeichnete sich sowohl durch die Würde seiner Person aus, indem er der größte unter allen seines Stammes auf dem Felsen war, als auch durch seine große Vorliebe für Militärmusik und Paraden. Selten sah man einen Tag vergehen, an dem er nicht auf der Spitze eines der hervorragenden Felsen gesessen hätte, welche die den Revueplatz überragende Klippe bilden. Hier pflegte er mit einer Art von Genugtuung die flüchtigen Sprünge der Gefährten seiner Truppe von Busch auf Felsen und Felsen auf Busch zu betrachten, die sie längs der Vorderseite des Abgrundes, der zu seinen Füßen lag, ausführten, wobei er immer von Zeit zu Zeit einen Blick auf das Militär drunten warf, als wollte er sagen: macht das nach, wenn ihr könnt! Er und seine Truppe waren die Einzigen aus der Affengemeinde, welche sich zur Tageszeit den Grenzen der Zivilisation näherten und Geschmack daran fanden, das Treiben ihrer menschlichen Mitbrüder anzusehen. Aus diesem Umstand scheint sich die Annahme rechtfertigen zu lassen, dass der Major selbst einer der zu Anfang erwähnten Deserteure gewesen sei. Ein Engländer, dem man die vorliegenden Notizen verdankt, bemerkte, als er mit einer Partie von Begleitern durch den zu den oberen Höhlen führenden Tunnel plötzlich in die Mitte der Affen gelangte, dass alle Übrigen schleunigst die Flucht ergriffen, wogegen der Major sich nicht rührte, bis die menschliche Gesellschaft sich auf einige zwanzig Schritte genähert hatte; erst dann schlich er im Schneckenschritt fort, wobei er noch von Zeit zu Zeit einen Seitenblick zurückwarf, als wollte er sagen: Ich habe von eurem Geschlechte nichts zu fürchten.

Da er und seine Gesellschaft am häufigsten, und zwar in der Nähe menschlicher Wohnungen gesehen wurden, so legte man allmählich die Gartendiebstähle ihnen zur Last, obgleich man gerade bei ihnen, die man regelmäßig bei Tage auf Futter ausgehen sah, die wenigste Veranlassung, dies bei der Nacht zu suchen, hätte vermuten sollen und von den Tagschläfern Räubereien zu dieser Zeit am wahrscheinlichsten zu erwarten waren. Indessen erreichte dies Diebsystem endlich eine solche Höhe, dass der Gouverneur einen Preis auf die Habhaftwerdung des Majors setzte, indem er von der Gefangenschaft des Anführers eine respektvollere Haltung und ehrlichere Erwerbung des Lebensunterhaltes bei den Untergebenen hoffte. Er ward in dessen Folge von einer Partie Soldaten bei seinem Mittagsschlaf in einem seiner Lieblingsverstecke überfallen und nach heftiger Gegenwehr gefangen in die Garnison abgeführt, wo Kette und Halsband ihn sein künftiges Los erkennen ließen. Seine anfänglich wilden Ausbrüche von Wut gingen bald in Melancholie über, so dass er in einem verzweifelten Augenblicke einen Selbstmord versuchte, indem er seinen Kopf in einen Wassereimer steckte, woran er jedoch durch das zeitig genug erfolgte Hereintreten seines Wächters verhindert wurde.

Trotz des früher Gesagten kommt es doch vor, dass Leute jahrelang auf Gibraltar gewohnt und doch keinen einzigen wilden Affen gesehen haben. Der erwähnte Englander bemerkte selbst bei seinen mehrmaligen Aufenthalten zu verschiedenen Zeiten auf Gibraltar eine ansehnliche Verschiedenheit in der Zahl der zum Vorschein kommenden. Eine Partie von ihnen stieg in der Regel vom Gipfel des Felsens gegen zehn Uhr morgens längs der Oberfläche der Mauer Karls V. nach einer kleinen Batterie herab, die den Paradeplatz beherrscht, und machte sich ihr Vergnügen damit, von Geschütz zu Geschütz, von Busch zu Busch längs des Abhangs hin und her zu springen. Auch aus dieser Richtung ihrer Bewegung lässt sich schließen, dass sie ihre eigentliche Behausung auf der Ostseite der Küste haben. Rebhühner und Füchse sind außer den Affen die einzigen anderen bedeutenden Tiere in wildem Zustand auf dem Felsen. Die Rebhühner sind gleichfalls erst hierher verpflanzt und dürfen ebenso wenig, wie die Affen, gestört werden. Die Füchse dagegen sind eine Stammgattung; sie haben gleichfalls an der Ostseite ihre Höhlen, wo sie niemand stören kann. Mit Leichtigkeit klettern sie die weiten Klüfte hinauf und hinab, und nur für sie und die Affen sind die Pfade gangbar, welche sie beschreiten.

• Auf epilog.de am 21. Mai 2017 veröffentlicht

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