Feuilleton

Der neue Skating-Rink in Berlin

Die Gartenlaube • 1876

Seit dem ersten Mai 1876 bietet die jüngste Weltstadt ein neues, interessantes Schauspiel, den sogenannten Skating-Rink im ›Hofjäger‹, wo sich in den Nachmittagsstunden und besonders des Abends die exklusive Gesellschaft versammelt um im Sommer – Schlittschuh zu laufen. Dieses eigentümliche Vergnügen ist eine englische Erfindung und verdankt seine Einführung einer Gesellschaft, an deren Spitze die Herren Campbell, Gow und Compagnie stehen. Die erste Anregung zu diesem netten Sport hat wahrscheinlich der berühmte ›Meyerbeer‹ durch seinen ›Propheten‹ gegeben, in dem bekanntlich das Ballett auf den Brettern der Bühne Schlittschuh läuft. Seitdem hat jedoch der ingeniöse Gedanke des großen Musikers oder seines Mitarbeiters Scribe wesentliche Verbesserungen erfahren. Statt der Bretter erblicken wir hier eine Bahn aus ›Patent-Eis‹, einer Mischung von Portland-Zement, Marmorstaub und verschiedenen chemischen Substanzen, welche eine glatte, feste und zugleich elastische Fläche im Umfang von 1500 m² darstellt. Die zum Laufen benutzten Schlittschuhe sind nach dem System Plimpton gearbeitet und bestehen aus einundzwanzig verschiedenen Teilen. Die eigentliche Bewegung wird durch vier Räder von Buchsbaumholz und durch eine höchst sinnreich eingerichtete elastische Gummifeder bewerkstelligt, welche dem leisesten Drucke nachgibt und jede beliebige Wendung nach vorwärts, rückwärts und zur Seite gestattet. Der neue Skating-Rink in Berlin Rings um die Bahn, welche zum Teil gedeckt und gegen den Regen geschützt ist, zieht sich eine elegante Balustrade für die zahlreichen Zuschauer. Zwei reizende Toilettenzimmer dienen zum An- und Auskleiden für die männlichen und weiblichen Besucher des Skating-Rink, und mehrere zierliche Pavillons, welche Herr Hofbaurat Klingenberg errichtet hat, enthalten eine ausgezeichnete Konditorei und das Buffet für erfrischende Getränke. Die ganze Anlage macht, besonders des Abends bei brillanter Beleuchtung und zu den Klängen der Musik, einen wirklich feenhaften Eindruck.

Wie der ehemalige Leibarzt des Prinzen Albert von England, Sir William Hull, versichert, soll es kein besseres Mittel gegen Bleichsucht, Herzklopfen und Nervenleiden aller Art geben, als die Bewegung des Skating-Rink. Aus diesem Grund findet der nette Sport besonders zahlreiche Liebhaber und Teilnehmer unter den höheren Ständen, welche zur Förderung des Unternehmens einen eigenen Club unter dem Vorsitz des Herzogs von Ratibor gebildet haben. Der Jahresbeitrag der Mitglieder beträgt für eine Familie sechzig, für die einzelne Person dreißig Mark. Vorläufig zeigt der Skating-Rink noch einen vorwiegend aristokratischen Charakter, obgleich das bürgerliche Element keineswegs ausgeschlossen ist.

Der Skating-Rink genießt einen sich täglich steigernden Beifall und wird besonders des Abends zahlreich von der besten Gefellschaft besucht. Der Anblick der belebten Bahn gewährt in der Tat ein interessantes Schauspiel. Die Mehrzahl der Skating-Läufer, unter denen man auch viele Offiziere und reizende junge Damen sieht, haben sich in kurzer Zeit eine bewunderungswürdige Geschicklichkeit und Fertigkeit erworben und bewegen sich mit vieler Eleganz und Sicherheit auf der glatten Fläche. Dazu kommt noch ein gewisses aristokratisches Parfüm, der eigentümliche Reiz, unter grünen Bäumen und duftenden Blumen mitten im Sommer Schlittschuh zu laufen, und die wirklich gesunde Bewegung in freier Luft, um dem neuen Sport auch bei uns Eingang zu verschaffen und den Skating-Rink zu einem Sammelplatz der guten Gesellschaft zu machen.

• M. R.

• Auf epilog.de am 18. September 2016 veröffentlicht

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