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Annaberg

Pfennig Magazin • 7.8.1841

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Die Bergstadt Annaberg (Sankt-Annaberg) im sächsischen Erzgebirge, zum Amt Wolkenstein gehörig, liegt hoch und frei, etwa 600 m über dem Meer, zwölf Meilen von Leipzig, neun von Dresden und nicht ganz eine Meile von der böhmischen Grenze entfernt, auf dem hohen Abhang des Stadtbergs, zwischen dem westlichen Fuß des basaltreichen, kahlen und langgestreckten Pöhlbergs (auch Biehlberg oder Balberg genannt), der 832 m Seehöhe hat, und dem rechten Ufer des kleinen Flusses Sehm oder Sehma, eines Nebenflusses der Zschopau. Die Lage der weithin sichtbaren Stadt, einer der höchsten in Sachsen, muss gewiss romantisch genannt werden. Eine Folge der großen Höhe ist aber Rauheit des Klimas und Zurückbleiben der Vegetation, die gegen die tiefer liegenden Gegenden um drei bis vier Wochen zurück ist, so dass die Rosenzeit in den Juli fällt. An Seelenzahl ist sie unter Sachsens Städten die elfte (nach der Zählung von 1837 hatte sie 6180 Einwohner in etwa 600 Gebäuden). Das Innere der Stadt mit ihren netten, reinlichen, meist geraden und langen Gassen (worunter besonders die schnurgerade Kirchgasse eben dieser Eigenschaft wegen zu erwähnen ist) ist freundlich und ansprechend; ihr stattliches Ansehen dankt sie freilich hauptsächlich den großen Bränden von 1731 und 1837. Die Häuser sind fast durchgängig mit Schiefer gedeckt, nur hier und da ist ein Schindeldach zu sehen, nirgends ein Strohdach. Die Stadt ist mit Alleen umpflanzt, durchaus mit Basalt gepflastert, mit Laternen erleuchtet und mit Brunnen wohlversehen. Auf dem großen und regelmäßigen Marktplatz stehen Linden und Bänke für Lustwandelnde.

Annaberg

Der Ursprung Annabergs fällt in das Ende des 15. Jahrhunderts. Seitdem der Knappe Daniel 1491 in dieser Gegend reiche Silbergänge entdeckt hatte, erhob sich eine Gruppe von Häusern, die 1496 unter Herzog Albert zu einer Bergstadt erklärt und als solche vom Kaiser bestätigt wurde. Ursprünglich hieß sie Schreckenberg oder die Neustadt am Schreckenberge, von einem der Stadt am andern Ufer der Sehma gegenüberliegenden, erzreichen Berg, der vor Erbauung der Stadt wild und unzugänglich war. Die ganze Gegend war vorher mit Holzung bedeckt und wurde ›die wilde Ecke‹ oder ›das Hungerland‹ genannt, und noch 1495 erklärten Abgeordnete des Herzogs Georg, es sei unmöglich, in dieser Wildnis eine Stadt anzulegen. Mit reißender Schnelligkeit blühte die Stadt, welcher Kaiser Maximilian 1501 den Namen St.-Annaberg erteilte, empor, stand bald selbst bei Kaiser und Papst in hoher Gunst und wurde unter den sächsischen Städten die liebste genannt, wie Dresden die feste, Leipzig die beste, Freiberg die größte. Einst zählte sie in 1200 Häusern an 10 000 Einwohner; aber große Drangsale, der Verfall des Bergbaues, Pest und andere Seuchen und mehrere Hauptbrände (1604, 1630 und 1664), namentlich auch der Dreißigjährige Krieg, wo Annaberg der stete Sammelplatz des Feindes war, brachten sie sehr herunter; in der neueren Zeit hat sie jedoch wieder sichtlich zugenommen.

Unter den Gebäuden steht ohne Frage die Haupt- oder Annenkirche oben an, gewiss eine der schönsten evangelischen Kirchen Sachsens und überhaupt Deutschlands. Sie wurde 1499 begonnen, schon 1507 zum Gottesdienst gebraucht, erst 1525 vollendet und 1834 mit Geschmack und Umsicht restaurier; für den Baumeister wird Jakob aus Steinfurt gehalten. Das in Kreuzform ausgeführte Gebäude, dessen Äußeres schlicht und schmucklos ist, besteht durchaus aus Porphyrquadern. Von den Altären besteht der Hauptaltar aus zehn verschiedenen Marmorsorten; der Knappschaftsaltar zeigt auf der Vorderseite, von weißem Marmor sehr kunstvoll ausgeführt, die Nachkommenschaft Abrahams, dargestellt als Zweige eines aus dem Leib des Erzvaters hervorgehenden Stammes, auf der Rückseite ein sorgfältig ausgeführtes Gemälde, das die Anfänge des hiesigen Bergbaus und die bergmännischen Beschäftigungen darstellt. Interessant sind ferner die mit Bronzefarbe überstrichenen 100 Hautreliefs von gebrannter Erde, die längs der Emporkirche hinlaufen und die seltsamsten Figuren enthalten. Noch sind an Kunstwerken zu nennen: die sogenannte schöne Pforte; mehre bronzene Denktafeln; Kranachs Ehebrecherin vor Christus und andere Gemälde. Einer der größten Schätze der Kirche ist die heil. Katharina von Albrecht Dürer. Der Turm, 78 Meter hoch, 13 Meter breit, gewährt von seiner Spitze eine reiche und interessante Aussicht. Man erblickt im Westen den Greifenstein bei Geyer, den Schreckenberg, das von Bergleuten bewohnte nahe Dorf Frohnau, im Südwesten den Scheibenberg, die ganz nahe, malerisch an einem Berge ausgebreitete Stadt Buchholz, im Süden den Fichtelberg (Sachsens höchsten Berg), den Keilberg und den Bärenstein, im Nordosten den Pöhlberg, im Norden die Stadt Wolkenstein. Eine andere Kirche führt den Namen die Bergkirche, weil sie seit 1530 insbesondere für den Gebrauch der Knappschaft bestimmt ist, und ist die einzige dieser Art in Sachsen. Bei der freundlichen Hospitalkirche, – die auch an ihrer Außenseite eine Kanzel hat, von welcher herab bei gutem Wetter am Trinitatisfest die Kirchweihpredigt gehalten wird – liegt der schöne Friedhof, ausgezeichnet durch viele alte und neue sehenswerte Denkmale, zum Teil wahre Kunstwerke (worunter ein 1834 gesetztes Sandsteindenkmal der Barbara Uttmann, von welcher unten die Rede ist) und eine uralte Linde, deren Krone von einigen 10 Metern Umfang ursprünglich das Wurzelwerk gebildet hat und fest auf vielen Stürzen und Säulen ruht.

Außerdem sind zu nennen: das große und stattliche, 1791 erneuerte Gebäude des Kreisgymnasiums (früher Lyzeums) mit doppelter Freitreppe, die danebenstehende Bürgerschule, das große getürmte Rathaus, nach dem Brand von 1731 massiv erbaut; das Bergamthaus, das Waisenhaus, das Gebäude des Museums (einer geschlossenen Gesellschaft) mit dem Friedrichssaal usw.

Die Industrie der Stadt, welche unter den sächsischen Manufakturstädten einen hohen Rang einnimmt, ist von großer Bedeutung. Oben an steht die zu Ende des 16. Jahrhunderts aus dem nahen Buchholz dort aber durch die 1589 – 91 aus Belgien ihres Glaubens wegen ausgewanderten Posamentier eingeführte Posamentenmacherei oder Bandfabrikation mit etwa 1000 Stühlen, die außer Zwirnband hauptsächlich Fransen, Borden usw. liefert. Die Spitzenklöppelei wurde 1561 hier erfunden von Barbara Uttmann, geborene von Elterlein, der Gattin eines reichen Gutsbesitzers, welche 1514 – 75 lebte und die Kunst angeblich von einer bei ihr wohnenden, durch Albas Grausamkeit aus ihrer Heimat vertriebenen protestantischen Brabanterin erlernt hatte; jetzt hat dieses Gewerbe an seiner früheren Wichtigkeit sehr verloren. Jeden Dienstag wird ein besonderer Spitzenmarkt gehalten. Bemerkenswert ist noch die 1827 gegründete große Thilo- und Röhling’sche Seidenwarenfabrik für Stabwaren, die bedeutendste dieser Art im Königreich Sachsen, welche über 100 Stühle, meist mit Jacquards Verrichtungen, beschäftigt. Der Annaberger Bergbau breitet sich etwa eine Meile (rund 7500 m) in die Länge und Breite aus; der Schreckenberg ist der Hauptsitz desselben. Die Gänge bestehen meist aus Quarz und Flussspat und führen außer Silbererzen auch Kobalt, Kupfer-, Kies und Fahlerz; doch sind Silber und Kupfer die Hauptprodukte. Im Jahre 1492 soll das hiesige Spezialrevier vier Tonnen Gold an Ausbeute gegeben haben, und im Jahre 1536 wurden 350 000 Taler unter die Gewerke verteilt. Vom Jahre 1545 – 1600 sind in der Münze zu Annaberg (wo auch die von dem silberreichen Berg sogenannten Schreckenberger geschlagen wurden) von annabergischem Silber 342 918 Mark oder 3 429 180 Speziestaler vermünzt worden. In der neuesten Zeit hat sich freilich die Ausbeute sehr vermindert und betrug 1782 nur 46 000 Taler. Die reichsten Gruben sind noch jetzt im Schreckenberg zu finden und die ergiebigste darunter ist Marcus Röhling.

Unter den Vergnügungsorten in der Umgegend steht oben an das eine Stunde entfernte, von anmutigen Anlagen und Promenaden umgebene Wiesenbad, das einem Annaberger Kaufmann gehört und aus sechs bis sieben Gebäuden besteht, unter denen das neu gebaute geräumige und schöne Badehaus hervorragt; außerdem sind das Schießhaus und der auf terrassierten Felsen angelegte Glumannsche Garten zu nennen. Wer aber mit Annabergs nächster Umgegend vertraut werden will, darf sich die Mühe nicht verdrießen lassen, unablässig bergan und bergab zu steigen.

Von den aus Annaberg gebürtigen Gelehrten und sonst merkwürdigen Männern ist der berühmteste der Jugendschriftsteller Christian Felix Weiße, der als Kreissteuereinnehmer in Leipzig lebte (1726 – 1804). Zu seinem Andenken wurde bei der Säkularfeier seiner Geburt 1826 eine wohltätige Stiftung, nämlich eine Erziehungsanstalt für arme Kinder, begründet.

Entnommen aus dem Buch:
Die ›Zeitreisen‹ knüpfen an die Tradition der Jahrbücher wie ›Das neue Universum‹ oder ›Stein der Weisen‹ an. Eine bunte Auswahl von Originalartikeln begleitet den authentischen und oft überraschend aktuellen Ausflug in die Geschichte.Kultur- und Technikgeschichte aus erster Hand, behutsam redigiert, in aktueller Rechtschreibung und reichhaltig illustriert.
  PDF-Leseprobe € 18,90 | 196 Seiten | ISBN: 978-3-7543-9786-2

• Auf epilog.de am 28. Mai 2017 veröffentlicht

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